Eine Belletristik-Annotation von Thomas Przybilka

McDermid, Val: Das Lied der Sirenen

Droemersche Verlagsanstalt, München 1997, 479 S.

Die vier bisher tot aufgefundenen Männer sind ganz offensichtlich einem wahnsinnigen Killer zum Opfer gefallen. Der „Schwulenkiller“, wie ihn die ermittelnde Polizeibehörde der nordenglischen Stadt Bradfield nennt, oder „Handy Andy“, wie ihn der hinzugezogene Psychologe Tony Hill bezeichnet, befördert seine durchweg unschuldigen Opfer nach den Vorgaben des Handbuches der Inquisition vom Leben zum Tode. Und die ehemaligen Vollstrecker der Kirche waren als nicht eben einfallslos in der Wahl ihrer Torturen und tödlich endenden Foltermethoden bekannt! „Andy Handy“ scheint neben seinem äußerst grausamen Potential auch noch höchst intelligent zu sein. Ein Wesenszug, der ihn sowohl beim Ausspähen des persönlichen Umfeldes wie auch bei der anschließenden Entführung seiner Opfer in die „Kathedrale des Vergnügens“ einen immens großen Vorsprung vor den Ermittlungen garantiert. Tony Hill, mit der Erstellung eines psychologischen Profils des Serienkillers beschäftigt, läuft mit seinen Überlegungen regelmäßig ins Aus, wie auch die Ermittlungen der Sonderkommission stets ins Leere gehen. Dies alles nicht von ungefähr, trägt doch „Handy Andy“ bei seinen Entführungen stets die gleiche Kleidung wie seine Opfer. Die KTU (kriminaltechnische Untersuchung) kann also am Tatort gefundene Stoffpartikel und Fusseln immer nur der Garderobe der Opfer zuordnen. Mit größter Raffinesse und unter Beachtung aller Details verwischt „Handy Andy“ sämtliche auch nur irgendwie mögliche Spuren. Und um auch später noch den Reiz seiner pervertierten Vergnügen voll auskosten zu können, bedient sich „Handy Andy“ der neuesten Errungenschaften der Computermanipulation. Videoaufnahmen seiner Blutexzesse verarbeitet er am PC zu Spezialfilmen, um so die Agonie seiner Opfer immer wieder aufs neue erleben zu können.

Als es der Polizei endlich gelingt, diverse Puzzleteile zu verbinden, gleichzeitig Tony Hill dem Serienkiller fast schon zu nahe gekommen ist, wird auch er in dessen Folterkammer verschleppt. Im Endszenario gelingt McDermid noch einmal eine für viele Leser überraschende Auflösung.

Val McDermid ist ein äußerst dichter und spannender Psychothriller gelungen. Sie versteht es in einmaliger Weise, die Abgründe der Seele eines Serienkillers auszuleuchten und auszuloten. Selbst ihre kurze Danksagung zu Beginn des Psychothrillers Das Lied der Sirenen kommt schon fast einem kleinen Vorwort nahe und läßt ahnen, was sie in ihrem Buch von Anfang bis Ende intelligent und konsequent durchhält: nämlich beste, sprich spannendste, Krimi-Unterhaltung. Und dies alles ohne in den Machostil zu verfallen, der oftmals für das „serial-killer“ Topos verwendet wird. Ihre Kollegin Minette Walters urteilte „ungeheuer fesselnd“, und die Jury der berühmten (britischen) Crime Writers' Association wählte Val McDermids Thriller 1995 zum besten Kriminalroman des Jahres. Freunde des „serial-killer“-Buches, aber auch Fans des klassischen psychologischen Kriminalromans werden voll auf ihre Kosten kommen.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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