Eine Rezension von Bernd Heimberger

Büßer ohne Buße

Dan van der Vat: Der gute Nazi
Albert Speers Leben und Lügen.

Henschel Verlag, Berlin 1997, 576 S.

 

Bruno Henschel hat sich im Grab umgedreht. Bruno Henschel, Buchfreund und -macher, bekam als einer der ersten Verleger im Nachkriegs-Berlin eine Drucklizenz. Henschel baute einen bekannten Theaterverlag auf, der zu einem der bedeutendsten Fachverlage der DDR wurde. Der Verlagsgründer ist lange tot. Der Henschel Verlag segelt seit Jahren im Aufwind der Dornier-Medienholding. Nun donnert Dornier-Henschel mit Düsenjägerlärm knapp über die deutsche Bundeslandschaft. Aufgeschreckt wird das Volk ohne Reich durch den Band Der gute Nazi. Der Antifaschist Bruno Henschel wußte durchaus Nazis von Nazis zu unterscheiden. Dieser Titel hätte ihm in kein Programm gepaßt.

Wer war ein guter Nazi 1945? Waren die Abermillionen gute Nazis, die 1932 und 1933 gläubig die schlechten Nazis gewählt hatten? Waren die „Mitläufer“ gute Nazis, die sich nach dem „Zusammenbruch“ an der großen deutschen Volkssportbewegung Fragebogenfälschen beteiligten? Um so, als mitlaufende Mitläufer, bürokratisch korrekt, entnazifiziert, in angestammte Betriebe und Büros zurückzukehren? Wer war kein guter Nazi, als die Nazis nicht mehr gut genug für die Weltgeschichte waren? Als sie nur noch für das Nürnberger Weltgericht taugten, vor dessen Schranken die ausgemachten unguten Nazis als selbsternannte Unschulds-Männer saßen. Mancher juristische Mangel wurde dem Tribunal von Nürnberg in späteren Tagen nachgewiesen. Nun auch das Mißgeschick, einen reuigen, bekennenden guten Nazi mit den schlechten in einen Topf geworfen zu haben? Zur Ehre des Gerichts sei gesagt: Der gute Nazi wurde nicht auf den Henkersweg seiner Genossen geschickt. Er war eine Ausnahme in den Reihen der Angeklagten. Er war Albert Speer. War Rüstungsminister und Hausarchitekt des A. H. und somit des Dritten Reiches, das die Volksweisheit ad absurdum führte, daß aller guten Dinge drei sind. Zur Ehre der Deutschen sei gesagt: Es ist der unverdächtige holländisch-britische Publizist Dan van der Vat, der den „guten Nazi“ der Nazi-Nachwelt präsentiert. Nicht, um einen Menschen mit sauberer Seele für die Menschheit zu retten. Der Porträtierte selbst sah sich als Sauberen, Guten. Das weiß die gemeine Welt, die der „Erinnerungen“ anheimfiel, die der 1966 aus dem Spandauer Kriegsverbrechergefängnis Entlassene veröffentlichte.

Gibt's was Neues über Albert Speer? Weshalb das Buch? Weshalb der Titel? Der Publizist provoziert. Weil der Porträtierte provozierte. Durch Lügen und nichts als Lügen. Van der Vat stiehlt Speer den selbstgebastelten Heiligenschein. Der gute Nazi ist eine Antibiographie zur Autobiographie des Albert Speer. Der Autor übernahm die Rolle des Aufdeckers, dem die Rolle des redlichen Rächers fremd ist. Kann van der Vat der aufrechte Gerechte sein? Wer maßt sich an, das zu beurteilen? Zu bestätigen ist dem Verfasser, daß er ein Aufrechter ist, der es nicht als seine Aufgabe sah abzurechnen. Aufrechnen ist die Absicht. Sie verlangte jahrelange, aufwendige Arbeit.

Der Publizist ist ein Pedant. Genau verglich er das von Speer Gesagte mit dem von Speer Getanem. Zu lesen gibt's die Story eines wahren Schwerstarbeiters des Regimes, der sich 1943 in der Situation wähnte, möglicherweise den „Größten Feldherrn aller Zeiten“ im Amte zu beerben. Speer ist eine Künstlernatur gewesen. Jede Inszenierung, die sich der Politiker leistete, war eine Selbstinszenierung, die keine kritische Bescheidenheit kannte. Speer, unerschrocken und unerschütterlich, verfügte über das Talent, rigoros Lebensrealitäten zu überspielen und zu verleugnen, die seine Selbstliebe gestört und zerstört hätten. Albert Speer hat gut überlebt und gut bis 1981 gelebt, weil er alle Achtung seiner Selbstachtung schenkte. Selbstliebe und Selbstlüge sind ein untrennbares Paar und garantierten, daß das Gewissen des gewissen Speer ein sanftes Ruhekissen war. Wer war Speer? Das heißt: Wie war er? Van der Vat stellt Speer-Sprüche und historische Wider-Sprüche gegenüber. Wer und was kommt zum Vorschein? Ein schrecklicher Stratege? Ein terroristischer Taktiker? Ein netter Nazi, der mit „manipulatorischem Charme“ seine Sachen und Widersacher gleichermaßen gut erledigte? Nicht im Wettstreit mit dem „Meister der Manipulation“, der Goebbels hieß, waren Speers Täuschungsmanöver nicht weniger bedenklich, also gefährlich und gefährdend. Der Autor baut keinen Gegen-Mythos auf, der den Über-Übeltäter zeigt, der seine in Unschuld gewaschenen Hände der Welt glaubhaft vorführte. Um sich nicht verdächtig zu machen, ließ der Porträtist dem Porträtierten alle irdische Gerechtigkeit widerfahren.

Der Publizist trägt ein Plädoyer vor. Ein wortreiches Plädoyer, das einem Mann entschieden widerspricht, der menschliche Moral demonstrierte und sie demolierte, indem er die Schandtaten des Faschismus bereute, ohne die Scham zu haben, die in Schuld einmündet. Also mit der Schuld, an Verbrechen beteiligt gewesen zu sein, die er aus allen öffentlichen Bekundungen, jeder vorgetäuschten Buße ausblendete. Die Tat des Täters Albert Speer war, die Liquidierung der Juden Berlins forciert zu haben. Van der Vat weist mehr Täter-Spuren nach, als Albert Speer verwischen konnte. Die neue Speer-Biographie wiederholt nicht nur hinlänglich bekannte Historie. Unbekanntes wird bekannt gemacht. Nur wer Speer glaubte, dem kann der Glaube an den „guten Nazi“ gestohlen werden. Kein Grund, sich im Grab umzudrehen, Bruno Henschel!


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite