Eine Rezension von Walter Unze

 

Erhard Eppler zu Ehren

Wolfgang Thierse (Hrsg.): Ist die Politik noch zu retten?
Standpunkte am Ende des 20. Jahrhunderts.

Aufbau-Verlag, Berlin 1996, 333 S.

 

Dieses Buch ist Erhard Eppler zu seinem 70. Geburtstag am 9. Dezember 1996 gewidmet. Durch den Herausgeber Wolfgang Thierse (stellv. SPD-Vorsitzender), die Autoren Oskar Lafontaine (SPD-Vorsitzender), Herta Däubler-Gmelin (stellv. SPD-Vorsitzende), Johannes Rau (stellv. SPD-Vorsitzender), Hans-Jochen Vogel (ehem. SPD-Vorsitzender) und andere namhafte politische Repräsentanten der SPD wie Manfred Stolpe, Henning Scherf, Reinhard Höppner oder Egon Bahr gewinnt der Sammelband nahezu den Charakter einer parteioffiziellen Ehrung. Das wird noch bestärkt durch eine Reihe von Autoren aus dem theoretischen Umfeld der Sozialdemokratie: Iring Fetscher und Detlev Albers, Helga Grebing und Johanno Strasser, Thomas Meyer und Richard Schröder. Dem wirken aber - man kann sagen: zum Glück - die Beiträge von Richard von Weizsäcker, Heiner Geißler, Vertretern der Kirche sowie von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen entgegen. Denn so verständlich es ist, daß dem aktiven Sozialdemokraten Erhard Eppler von seinen Genossen ehrende Artikel gewidmet werden, so bedeutsam ist es, daß der Politiker und anregende Denker Eppler eine allseitige Würdigung erfährt. Denn wenn ein Sammelband aus Anlaß eines runden Geburtstages mehr sein soll als ein papiergebündelter Strauß verschiedener („trockener“) Blumen, dann müssen die geistigen Anregungen und Provokationen im Mittelpunkt stehen, die von dieser Persönlichkeit ausgehen. Und bei einem Mann wie Erhard Eppler ist das natürlich besonders wichtig.

Der Herausgeber hat aus den 42 Beiträgen nach einigen mehr einführenden Artikeln „Erhard Eppler zu Ehren“ vier Schwerpunkte gebildet, die mit wichtigen Wirkungsfeldern aus Epplers praktischer und theoretischer Arbeit korrespondieren: „Christlicher Glaube und Politik“, „Deutsche Teilung - Deutsche Vereinigung“, „Sozialdemokratie als Programm“ und „Zukunfts- und Überlebensfragen der Politik“. Dabei wird die als Buchtitel gestellte Kernfrage nach der „Rettung der Politik“ überall auf unterschiedliche Weise thematisiert, meist jedoch weniger in „Standpunkten“ als in Fragen und Feststellungen zu einer „Krise der Politik“, oder - wie der den Band beschließende Artikel von Michael Müller lautet - in der Behauptung, „Die Krise der Politik ist eine Krise der Gesellschaft.“ Friedrich Schorlemmer stellt sachlich fest, daß auch die Kirchen - wie die politischen Parteien - „in einer Substanz- und nicht nur in einer Formkrise“ (S. 81) stecken. Herta Däubler-Gmelin identifiziert sich mit der Aussage von Wolf Lepenies, wonach sich die Krise der Arbeitsgesellschaft, die Krise der Demokratie und die Orientierungslosigkeit der Wissenschaft zu einer „Krise der Moderne“ (S. 224) auswachsen. Ulrich Beck charakterisiert die industrielle Moderne als „wildgewordene Menschenmaschine“, spricht von einem „Fünf-Minuten-vor-Zwölf-Gefühl“ und propagiert eine „Utopie der Selbstbegrenzung“ (S. 250 ff.). Und Ernst Ulrich von Weizsäcker warnt, daß irgendwann „die Markt-Party“ zu Ende gehe, weshalb man dringend Politiker benötige, „die die Auseinandersetzung mit den Vertretern dieses Establishments nicht scheuen“ (S. 274). Aber wo solche Politiker mit eigenen Positionen in Sicht sind, wird nirgendwo markiert. Nicht zufällig ist der Teil über die SPD-Programmatik der schwächste im vorliegenden Band. So treffend viele Fragen gestellt sind, so eindringlich Warnungen ausgesprochen werden, so dürftig sind die Antworten. Vielleicht sollte man unter diesem Aspekt auch noch von einer Krise der Intellektuellen sprechen?

Bedauerlich am vorliegenden Sammelband ist zweierlei: daß erstens kein ausführlicher Beitrag zum Leben und Wirken, zum Denken und Schreiben von Erhard Eppler enthalten ist und daß zweitens nicht einmal eine kleine, geschweige denn eine vollständige Bibliographie des Jubilars vorgelegt wird. Dem interessierten Leser sei daher empfohlen, sich an Erhard Eppler selbst zu halten und sein Erinnerungsbuch Komplettes Stückwerk (1996) mit viel Gewinn zu lesen.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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