Eine Rezension von Manfred Lemaire

 

Da doch alles bekannt ist ...

Friedrich von Schönfels/Jürgen Leske: Den Redlichen fressen die Steuern
Der grassierende Betrug, die nutzlose Reform.

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1997, 318 S.

 

Da ist der Beamte Oberstudienrat Georg, einst engagierter Vertreter der 68er Protestbewegung, jetzt wertvolles Mitglied der Gesellschaft. Er unterrichtet und unterrichtet. Am Vormittag schulisch, am Nachmittag ab 15 Uhr außerschulisch. „Am Anfang seiner Paukerlaufbahn“, so die Autoren, „brachte er es pro Werktag und Schultag auf 200 Mark zusätzliche Einnahmen. Samstags und sonntags erwirtschaftete er nochmals 600 Mark. Pro Monat summierte sich das Nachhilfegeld auf sechs- bis siebentausend Mark“. Nun, im vorgerückten Alter, nahe der Pensionierung, tritt er etwas kürzer. Lehrer Georg ist ein kleiner Fisch in puncto schwarzes, unversteuertes Einkommen. Ein wenig größer erscheint da schon der ehemalige Diplomat Hermann. Er ist, sein staatlich erworbenes Auslandswissen vermarktend, Offshore-Berater geworden, „ebnet also Superreichen den Weg zu Auslandsinvestitionen, die die Steuern zu Hause erheblich reduzieren und sich gleichzeitig für das diskrete international plazierte Privatvermögen günstig erweisen“. Durchschnittliches Honorar pro erfolgreich vermittelte Anlage: 150 000 Mark. Es versteht sich, daß „das Finanzamt bei solchen Strategien nicht mehr störend eingreifen kann“.

Schillernder als der Offshore-Berater ist sicherlich die genüßlich geschilderte Dame, die in Diamanten macht. Sie kauft in Amsterdam ebenso privat wie billig ein und verkauft in der deutschen Provinz per Inserat als notleidende Witwe ebenso privat wie teuer, mit frisierter Expertise. Pro Woche 40 000 bis 50 000 Mark Gewinn. Steuerfrei. Nach Meinung eines zitierten Insiders hat die Steuerfahndung an der Dame „wahrscheinlich kein Interesse, weil hier nur Schwarzgeldbesitzer ausgenommen werden“.

Die Autoren des Buches, sachkundige Wirtschaftsjournalisten, führen im ausführlichen ersten Teil 31 reale Fälle von Steuerbetrug vor, mit geänderten Namen, Schauplätzen und Umständen. Die Beispiele stehen für eine These, die man wohl akzeptieren muß: „Daß der Steuerbetrug kein Privileg für einige wenige ist, beweist die Tatsache, daß man bereits von einem Volkssport spricht.“ Zu bezweifeln allerdings ist eine andere These, daß nämlich „der sonst so brave Bürger durch die kleinen Tricks und Schummeleien den Staat vom Volumen her wahrscheinlich mehr schädigt als die Vorzeigesünder mit Rang und Namen“. Aber fehlen da nicht die vielen feinen Leute, die sich ganz legal und halb legal der großen Tricks bedienen und unbehelligt bleiben?

Dargestellt werden auch die häufigsten Kürzungs- und Betrugsmöglichkeiten des kleinen Mannes wie etwa Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, Zinserträge, Arbeitszimmer und Arbeitsmittel. Aber was ist der Arbeitnehmer, der ein paar Fahrkilometer mehr aufschreibt oder ein Arbeitszimmer erfindet, beispielsweise gegen den ebenfalls geschilderten Steuerberater Alfred, der als fiktiver Arbeitgeber seiner Frau und seiner vier Kinder monatlich steuermindernde 18 000 Mark aufschreibt und dazu noch pro Monat 20 000 Mark privaten Konsum als Betriebsausgaben deklariert!

Zornig meinen die beiden Verfasser: „Die Politik hilft nicht, sie hilft dem Übel eines verquasten Steuerrechts nicht ab, will nicht, kann nicht.“ Ja, warum eigentlich kann und will „die Politik“ nicht? Und was dann wie eine allgemeine Forderung klingt, könnte zugleich ein sehr persönliches Anliegen zweier geschröpfter Freiberufler sein: „Ein Steuerrecht muß her, das den einzelnen nicht überfordert, sondern ihn zur Leistung anspornt.“

Am gegenwärtigen Steuersystem (und ein anderes ist trotz großen Geschreis über eine große Steuerreform nicht in Sicht) jedenfalls bleibt kein gutes Haar. Wenig geschont wird auch der Finanzminister, wobei „die Bevorzugung der Großen durch Theo Waigel“ nur am Rande erwähnt ist - das Steuergebaren der Großunternehmen und superreichen Privatleute wird bemerkenswert dezent ausgespart. Nach Ansicht der Autoren bringt Verfassungsrichter Kirchhoff, Steuerspezialist des Bundesverfassungsgerichts, „es auf den Punkt, wenn er das Steuersystem als widersprüchlich, undurchsichtig und häufig ungerecht bezeichnet“.

Dies allerdings ist seit vielen Jahren bekannt, und im Laufe der 90er ist der Zustand ständig schlechter geworden, haben Steuerhinterziehung, Steuerschwindel, Steuerflucht, Steuerungerechtigkeit ständig zugenommen. Die nächstliegende Frage, warum denn, da doch dies alles bekannt ist, nichts geändert wird, beantworten die Verfasser eigentlich nicht. So dringen sie auch nicht zu einer Erörterung darüber vor, ob solch ungerechtes und unübersichtliches, zum Versteckspielen einladendes Steuerrecht dem Gesellschaftssystem der Bundesrepublik adäquat sein könnte, mit Bedacht gezüchtet.

Schönfels und Leske fordern „eine neue Finanzhygiene, damit Solidarität und Solidität sich wieder die Hände reichen“ (was doch wohl noch nie der Fall war). Sie schlagen als Pendant zur Bundesbank eine Finanzkammer vor, die den Auftrag haben soll, „den Staat und seine Organe mit Geld auszustatten“, wollen also den Politikern die Haushaltsentscheidungen wegnehmen. Ein utopisches Modell. Notwendig dagegen wäre - neben einer Fülle von Vereinfachungen - konsequentes Vorgehen gegen Steuerfreiheiten für Spekulationsgewinne und Abschöpfen explodierender Konzerngewinne, Kampf gegen Steuerflucht und Verschleiern von riesigen Kapitalerträgen, Maßnahmen gegen das Umgehen von Steuern für Mega-Erbschaften und gegen das steuerbegünstigte Anhäufen enormer Vermögen.

Unter Hinweis auf die exemplarisch beschriebenen Fälle puppenleichten Steuerbetrugs heißt es in dem Buch: Jetzt wissen Sie, lieber Leser, warum solche Leute „an unserem Steuersystem Gefallen finden und jeden Reformvorschlag vehement verwerfen“. Da sich aber dieses Steuersystem von Regierung zu Regierung, von Wahl zu Wahl hält, muß es wohl auch genügend ehrenwerte Politiker, Regierende und Parlamentarier geben, die daran Gefallen finden oder gehalten sind, es zu erhalten, damit alles schön beim alten bleibe.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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