Eine Rezension von Kathrin Chod

 

„Preußentum und Sozialismus“

Birgit Rätsch-Langejürgen: Das Prinzip Widerstand
Leben und Wirken von Ernst Niekisch.

Bouvier Verlag, Bonn 1997, 392 S.

 

Genau dreißig Jahre nach seinem Tod erscheint dieses Buch über einen schillernden Politiker und Publizisten, an dessen Person sich wohl nach wie vor die Geister scheiden. Ist er für die einen Symbolfigur einer verhängnisvollen Suche nach einem deutschen Sonderweg, so ist er für die anderen ein origineller Denker, ein Nichtangepaßter zeitlebens, ein großer Unzeitgemäßer, wie es gerade in Deutschland nur wenige gab und gibt.

Birgit Rätsch-Langejürgen schrieb die erste Biographie über Niekisch nach 1990, die sich somit auch auf Material aus DDR-Archiven stützen kann. Die Lebensbeschreibung des Politikers umfaßt die Stationen Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, DDR und Bundesrepublik, einschließlich einer ideengeschichtlichen Einordnung seines Schaffens. Das Kapitel über die Weimarer Republik widmet sich zudem ausführlich Niekischs Standortbestimmung innerhalb der radikalen Nationalisten. Da ist zum einen das philosophisch-ideologische Umfeld, von Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck und Ernst Jünger maßgeblich bestimmt. Da sind zum anderen die verschiedensten rechtsnationalen Gruppen, angefangen von der bündischen Jugend bis zu paramilitärischen Organisationen wie Stahlhelm und Bund Oberland.

Niekisch war sein Leben lang Fürsprecher einer preußisch-russischen Allianz, deren Notwendigkeit er mit historischen bis mentalen Argumenten begründete. Der Politiker, eigentlich ja nur „Herkunftspreuße“ und in Bayern aufgewachsen, formulierte für sich Preußentum und dessen Ostorientierung zu seiner zentralen Idee. Eine Idee, die Protest und Revolution mit einschloß. Kein Wunder, wenn so die russische Oktoberrevolution für ihn zum Fanal wurde. Gleichzeitig schien sich hiermit die Möglichkeit zum deutsch-russischen Schulterschluß zu öffnen, hatte doch der Versailler Vertrag begründete Ressentiments gegen die westlichen Siegermächte auch in Deutschland geschürt. Dennoch konnte die Mehrzahl der Deutschen aufgrund einer verbreiteten antirussischen sowie antikommunistischen Einstellung dieser Option nichts abgewinnen. Abgesehen von den Kommunisten, begriffen allerdings auch einige nationale Politiker die Ostorientierung als Chance. Die Konsequenz, die Niekisch hierbei verfolgte, blieb allerdings einzigartig.

Widerstand bedeutete für Niekisch vor 1933 zuallererst Kampf gegen die Westmächte, gegen das Bürgertum, einschließlich der „Ideen von 1789“, und gezielt gegen die Republik von Weimar. Sein Gegenentwurf sah im nationalen Interesse ein „mächtiges, germanisch-slawisches Weltreich“ vor. Die Autorin sieht in der Synthese von preußischem Prinzip und russischem Raum in diesen Jahren Niekischs politische Allzweckformel. Niekisch befand sich schon früh im Gegensatz zu Hitler, er sprach der NSDAP ab, ein Instrument nationaler Revolution zu sein, und veröffentlichte 1932 seine Schrift Hitler, ein deutsches Verhängnis. Bis zu ihrem Verbot im Dezember 1934 gab Niekisch die Zeitschrift „Widerstand“ heraus, in der er versteckt, aber auch teilweise überraschend offen, gegen Hitler opponierte. Schritt für Schritt entzogen ihm die nationalsozialistischen Behörden in der Folgezeit die Existenzgrundlage. 1937 wurden Niekisch und rund 70 Anhänger verhaftet. Zwei Jahre später verurteilte der Volksgerichtshof den Publizisten zu lebenslänglichem Zuchthaus. 1945 erlebte er „nahezu bewegungsunfähig und erblindet“ seine Befreiung aus dem Zuchthaus Brandenburg-Goerden. Noch im gleichen Jahr trat er der KPD bei. Allerdings fand der eigenwillige Denker hier keine echte Heimat, der gewünschte politische Einfluß blieb trotz Ämtern und Funktionen in Kulturbund, Nationaler Front und Humboldt-Universität aus. 1955 zog Niekisch jedoch erst den Trennungsstrich, indem er aus der SED austrat. Wahrscheinlich war der Anhänger eines starken Staates charakterlich ein zu großer Anarchist, um sich auf Dauer in autoritären Systemen unterordnen zu können. Darüber hinaus unterschied sich die DDR doch recht erheblich von den Idealen des nationalen Revolutionärs. Niekisch hatte immer im westlichen Teil Berlins gelebt, seine Tätigkeit für die DDR wurde ihm hier jedoch nicht verziehen. So mußte er elf Jahre dafür kämpfen, daß die Bundesrepublik seinen Anspruch auf Entschädigung anerkannte. Als er an seinem 78. Geburtstag starb, war er als Mensch verbittert und als Politiker gescheitert.

Sämtliche Stationen dieser bewegenden Biographie hat Birgit Rätsch-Langejürgen im vorliegenden Buch beschrieben. Wobei sie fleißig, das muß man neidlos anerkennen, viel Quellenmaterial über und von Niekisch zusammentrug. Zudem bewertet sie auch andere Arbeiten zum Thema. Hans Buchheims Veröffentlichung ist „sehr fundiert“, Ruth Fischers Beitrag bietet „wenig Neues“ und Sebastian Haffners Text ist „fast hagiographischer Natur“. Jean-Pierre Fayes Werk „läßt allerdings einiges zu wünschen übrig“, zumal „Ungenauigkeiten, die zuvor schon anderen Autoren unterlaufen waren, einfach übernommen“ wurden. Das passiert nun Birgit Rätsch-Langejürgen nicht, wenn schon Ungenauigkeiten, dann sind es selbstfabrizierte, die weniger Niekisch als das weitere Umfeld betreffen, in dem er agierte. So orientierte sich die Zeitschrift „Sinn und Form“ zweifellos an Thomas Manns Exilpublikation „Maß und Wert“, sollte aber kaum das „Pendant“ dazu werden.

Ob man es als „Realpolitik“ bezeichnen kann, wenn linke Andersdenkende keine Wiedergutmachung in der Bundesrepublik erhielten, sei dahingestellt. Bezeichnend für die Haltung der Autorin ist es hingegen, wenn sie schreibt: „Der realistische Blick indes lehrte: Gerade die Armut des Proletariers trug nicht zu dessen Erhöhung bei, sondern mündete in Mißgunst und Sozialneid.“ Sozialneid, das ist ja nun eine wirklich wunderbar moderne Vokabel, und da verwundert es auch nicht mehr auf solche Lehrsätze zu treffen wie: „Indem er die Macht des Geldes als Wurzel allen Übels erkannte, verriet er seinen kommunistischen Hintergrund.“ Seltsam ist die natürlich von ihr unterstützte Feststellung, daß die DDR überhaupt gar kein Staat gewesen sei: „Christian-Friedrich Menger weist mit Recht darauf hin, daß die Machthaber der DDR im Prinzip immer nur das Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone verwaltet hätten und niemals einen Staat schaffen konnten, da dessen Gründung durch einen freien Willensakt des Staatsträgers - laut Art. 3 der Verfassung der DDR das deutsche Volk - vollzogen hätte werden müssen.“ Althergebrachte Auffassungen, wonach sich ein Staat über Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt konstituiert, werden, streng wissenschaftlich natürlich, über den Haufen geworfen.

Hinzu kommen stilistische Kostbarkeiten wie „totalitäre Liebedienerei“ oder „den goldenen Boden des Handwerks mit Füßen treten“. „Die Russische Oktoberrevolution mußte auf den ersten Blick als geniales Musterbeispiel für das Kunststück gelten, einen verlorenen Krieg doch noch zu einem Sieg umzuwandeln - kraft der Koalition Nationalismus/Sozialismus. Auf sowjetrussisch: Bolschewismus.“ Wenn zu diesem Zeitpunkt der Bolschewismus schon eine Koalition von Nationalismus und Sozialismus war, was soll dann noch der Begriff Nationalbolschewismus. Vielleicht National-Nationalsozialismus? Da die Autorin offenbar so nebenbei Spezialistin für die Bolschewiki ist, läßt sie diese auch noch unter „Führung Lenins und der organisatorischen Regie Trotzkis das Moskauer Winterpalais“ stürmen. Da biegen sich nun allerdings im Berliner Hofbräuhaus vor Lachen die Balken.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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