Eine Rezension von Karl-Heinz Arnold

 

Essays für Intellektuelle

Christoph Nix: Deutsche Kurzschlüsse
Einlassungen zur Justiz, Macht und Herrschaft.

Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1997, 177 S.

 

Die eva-Taschenbücher zeichnen sich durch Themenvielfalt und hohes intellektuelles Niveau aus. Christoph Nix reiht sich mit Band 233 würdig ein. Er umfaßt 18 Essays. Im einleitenden ersten - „Philosophen, Maler, Detektive“ - teilt der Autor mit: „Meine Essays sind eine Hommage an Ulrich Sonnemann“ (von dem bei eva vier Titel erschienen sind, ein fünfter als Festschrift für ihn). Nix läßt den gesellschaftskritischen Schriftsteller, Jahrgang 1912, gestorben 1993, zusammen mit dem Maler und Graphiker George Grosz, bürgerlich Georg Ehrenfried, auftreten. Beide, nach Exil in den USA wieder in Deutschland, treffen sich manchmal in einer Kneipe im Berliner Scheunenviertel, das noch in Trümmern liegt, trinken „und denken nach über den Zustand dieser Welt“. Verdichtete Geschichte, wie Nix sie schreibt. „Am nächsten Tag, nach einer dieser Trunkennächte, am 6. Juli 1959, stirbt Grosz. Vordergründig ist es Herzversagen, hintergründig nichts weiter als der Kummer.“ Auch diese Sätze sind charakteristisch für die Schreibart des gelernten Juristen und Theatermannes Nix, Jahrgang 1954, der ebenso als Literat einen guten Namen hat: knapp, jedes Wort genau gewählt, scheinbar emotionsfrei, tatsächlich parteinehmend, heißen Herzens. Es tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch, sollte jedoch vermerkt werden, daß der einleitende Text einige Ungenauigkeiten enthält. „Grosz ist knapp sechzig“, schreibt Nix, bezogen auf 1956. Zu dieser Zeit war Grosz dreiundsechzig. Sonnemann tritt im selben Jahr bei Nix noch in New York auf, war jedoch bereits 1955 wieder in Deutschland. Und die beiden gehen in Berlin gemeinsam über den „Checkpoint Charley“, der sich nicht so, sondern „Charlie“ schreibt. Ungenauigkeiten, der leichten Hand des Schreibens geschuldet, von keinem Lektor bemerkt (sofern es einen gab, heutzutage pflegt man dergleichen als Luxus einzusparen). Ähnliches, scheinbare Kleinigkeit, in der brillanten Schilderung „Der Präsident“ über Kirchenobere und Stasi. Da hat ein Oberkirchenrat „die große ,Verdienstmedaille der DDR‘ überreicht bekommen“, aber das silbrige Ding ist in Wahrheit nicht viel größer als anderthalb Daumennagel, übrigens Dutzendware, hierarchisch unterhalb der offiziellen Orden angesiedelt.

In den Geschichten - einige konnte man in der Berliner „Wochenpost“ lesen, ehe sie aus poli-tischer und Verleger-Räson liquidiert wurde - finden wir Themen und Erwägungen, die nur einem Juristen voll verständlich sind. Mancher wird dies als Handicap empfinden. „Über das Ende des Strafvollzugs“ gehört dazu. Ganz anders „Perikles und das Shakespeare-Komplott“. Der Autor, ausgebildeter und ambitionierter Theatermann, der seit 1994 Intendant des Theaters Nordhausen ist und dort lebt, schreibt mit dem Anspruch, als Theaterwissenschaftler akzeptiert zu werden. Literarisch meisterhaft „Der Tod des Physikers“, Tatsachen und Mutmaßungen über das ungeklärte, wohl gewaltsame Ende des Professors Wilhelm Maier aus Freiburg, früher in Halle lebend, umgekommen an der Steilküste nahe Genua.

Nix liebt das prinzipielle Aufarbeiten von Kriminal- und Rechtsfällen. Er kann den Strafverteidiger und Rechtslehrer nicht verleugnen. Einmal Jurist - immer Jurist. So schreibt er denn „Über Ungebührlichkeiten vor Gericht“, eine kurze, fundierte, glänzende Abhandlung. Ausgangspunkt ist jene in die deutsche Rechtsgeschichte (wenn nicht sogar als Marginalie in die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts) eingegangene Szene, da Fritz Teufel, anno 1967 wegen angeblicher Brandstiftung vors Landgericht Berlin gestellt, in Wahrheit zusammen mit Rainer Langhans als unerwünschtes, subversives Element verfolgt, die wiederholte Aufforderung des Vorsitzenden Richters zum Aufstehen zwecks Verkündung des Urteils mit den geflügelt gewordenen Worten quittiert „ ... wenn es denn der Wahrheitsfindung dient“, und sich lässig erhebt.

Was Nix schreibt, ist in der Hauptsache Gesellschaftskritik und speziell Justizkritik. Unverkennbar die Absicht, sowohl Formen als auch Inhalte - und besonders die sinnleeren - zu beschreiben, sie ohne anprangernde Worte bloßzustellen. Er hat nicht die ätzende Schärfe, die seinem Kollegen Kurt Tucholsky zur Verfügung stand, aber die geistige, politische Verwandtschaft ist unverkennbar. Er kritisiert, daß „die Scheu deutscher Intelligenzler vor dem Alltagsdreck gesellschaftlicher Wirklichkeiten stets ungeheuer groß war“, und scheut sich selbst nicht, die Realität anklagend vorzuführen. Zum Beispiel in „Verschlossen und verriegelt“, der beklemmenden Nachricht von einem Straftäter, der in der denkbar finstersten Psychiatrie seit fünf Jahren hinter Gittern darauf wartet, „daß irgend etwas mit ihm passiert, das würdig wäre, Hilfe genannt zu werden“.

Berliner LeseZeichen 1/1998


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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