Eine Rezension von Karl F. Faltenbacher

 

Die „Suche nach Stabilität“

Predrag Matvejevic: Die Welt „ex“. Bekenntnisse.

Amman Verlag, Zürich 1997, 223 S.

 

Es ist nicht leicht für mich, dem Schriftsteller Matvejevic gerecht zu werden. Zu umfassend und zu zersplittert kommt mir sein Anliegen vor. Lassen Sie mich dies an einem Zitat aus seinem Buch Der Mediterran. Raum und Zeit illustrieren:

„Die Maßstäbe des Mediterran (gemeint ist das Mittelmeer) sind irreduzibel. Es wäre Verrat, ihn nur eurozentrisch zu sehen (als rein lateinische, römische und romanische Schöpfung) oder ihn nur vom panhellenischen, panarabischen, zionistischen Standpunkt zu betrachten; es wäre Verrat, ihn aus partikularistischer Sicht national, religiös oder parteilich zu beurteilen. Das Panorama des Mediterran wurde nicht nur von verschiedenen Geschichten, sondern auch durch verschiedene Geschichtsauffassungen geschaffen; fanatische Tribunen und fromme Exegeten, Gelehrte ohne Phantasie und Prediger ohne Glauben, Berufschronisten und Gelegenheitsdichtern, Staaten und Religionen, Herrscher und Prälaten, weltliche und geistliche Gesetzgeber teilten Raum und Menschen in mannigfaltiger (sic) Weise. Doch die mediterranen Bindungen waren stärker als diese Trennungen. Der Mediterran ist mehr als nur eine Zugehörigkeit.“

Abgesehen von der scheußlich-konsequenten Verwendung des Begriffs „Mediterran“ für unser schönes deutsches Wort „Mittelmeer“, die man wohl dem Verlag ankreiden muß, will der Autor immer zuviel: Das eben gebrachte Zitat veranschaulicht dies wohl zur Genüge. Auch „Die Welt ,ex‘“ will alle Probleme, die aus der Auflösung der beiden großen Blöcke entstanden sind, zumindest erfassen, am liebsten aber lösen.

Matvejevic wollte d a s Buch zum Mittelmeer vorlegen. Es scheint aber gerade die meines Erachtens unzulässige Personifizierung des Mittelmeers zu sein, an der das Buch leidet, diese Vorgeschichte glaubte ich dem potentiellen Leser des neuen Buches unseres Autors schuldig zu sein. Laut Tilman Spengler (in der „Woche“ vom 21. März 1997) ist Matvejevics Anliegen folgendes: „M. sucht einen Begriff der politischen Stabilität, welcher tiefer reicht als die im Westen zur Zeit so gebetsmühlenartig durchgeleierten Kriterien der ökonomischen Absicherung. (Überhaupt scheint ihn die Dimension Wirtschaft im klassischen Verständnis nur sehr peripher zu berühren.)“

Ich zitiere den ersten Satz des neuen Buches: „In der Folge der Ereignisse, die das Ende unseres Jahrhunderts kennzeichnen, ist mancher von uns zu einem ,Ex‘ geworden. In der Zeit nach dem kalten Krieg sehen wir einen Teil der Welt, jener im Osten, eine Art posthume Existenz fristen: ein Ex-Imperium, zahlreiche Ex-Staaten und Ex-Bündnisse zwischen Staaten, viele Ex-Gesellschaften und Ex-Ideologien, Ex-Staatsbürgerschaften und Ex-Zugehörigkeiten, ja sogar Ex-Dissidenzen. So ist es berechtigt zu fragen, was das bedeutet, ein ,Ex‘ zu sein oder sich als ,Ex‘ zu bezeichnen.“

Das Kürzel oder „ex-akter“ die Präposition ,ex‘ wird im folgenden arg strapaziert: Über die „Ex-Kommunisten“ zu den „Dissidenten von gestern“, von den „Trümmern“ zu den „Phantasmen von Mitteleuropa“ usw. ...

Kein Zweifel besteht an der fast universalen Bildung und geradezu enormen Belesenheit des Autors. Es scheint zweifelhaft, ob ein bundesdeutsches Publikum derzeit bereit ist, dem Autor auf seinen klugen Erkundungen zu folgen. Zu sehr sind die einen mit dem Geldverdienen, die anderen mit Wundenlecken beschäftigt; es gibt sicher noch andere Gruppierungen, aber diese beiden hauptsächlichen stellen bereits einen großen Teil des deutschen Publikums. Es schließt sich aber auch nicht aus, und dies ist eine unerwartete Entdeckung des Rezensenten in den neuen Bundesländern, daß man einerseits gutes Geld verdient, sich aber dennoch die Wunden leckt, die einem der Kapitalismus angeblich geschlagen hat. - Auch Madame de Staël kommt bei Matvejevic zu Wort: „Die Nationen müssen einander gegenseitig als Führer dienen; sie hätten unrecht, wenn sie diese Erkenntnisse ablehnen würden, die sie sich gegenseitig leisten können.“

Kluge Gedanken in Hülle und Fülle. „Die Welt ,ex‘“ ist ein durchaus beachtenswertes Buch, nur - wer wird sich die Zeit nehmen, die Welt-Vergegenwärtigungen des Predrag Matvejevic lesend nachzuvollziehen? Schon die berühmten Mittelmeer-Studien eines Fernand Braudel haben - meiner Meinung nach - an Faszination verloren, ihr pointillistisch-sprunghafter Ökonomismus fordert jedem auch noch so gutwilligen Leser ein Maximum an Geduld ab, Matvejevics Darstellung dürfte für die Leser, die überhaupt erreicht werden können, vielleicht einerseits zu „pleonastisch“, andererseits zu moralistisch sein.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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