Eine Rezension von Herbert Mayer

 

Von den Schwierigkeiten mit der Einheitspartei

Hans-Joachim Krusch: Irrweg oder Alternative?
Vereinigungsbestrebungen der Arbeiterparteien 1945/46 und gesellschaftspolitische Forderungen.

Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 1996, 272 S.

 

Der Titel kann etwas irritieren. Wer eine analytische Darstellung der Vereinigungsbestrebungen der Arbeiterparteien (in Deutschland) und ihrer gesellschaftspolitischen Forderungen erwartet hat, wie vielleicht der Untertitel erhoffen ließ, betritt einen „Irrweg“. Die vorgefundene „Alternative“ ist vielmehr ein Text-Dokumenten-Band. Das muß aber kein Mangel sein. Im Unterschied zu vielen der im Umfeld des 50. Jahrestags der SED-Gründung erschienenen Publikationen beschränkt sich das Blickfeld von Krusch nicht auf die östliche Besatzungszone, sondern er bezieht (zumindest teilweise) die westlichen Besatzungszonen mit ein. Im 60 Seiten umfassenden Vorwort geht der Autor davon aus, daß das Streben nach einer einheitlichen Partei tief in der deutschen Arbeiterbewegung verwurzelt und nicht allein auf die unmittelbare Nachkriegsentwicklung zurückzuführen war. Er weist darauf hin, daß in den ersten Wochen und Monaten nach Kriegsende überall in Deutschland Mitglieder der Arbeiterparteien zusammmenarbeiteten, Einheitsausschüsse bildeten, mancherorts gar gleich zur Bildung einer einheitlichen Partei übergehen wollten bzw. übergingen. Für den Westen konstatiert Krusch, daß im Spätherbst 1945 die Einheitsbestrebungen rückläufig waren, Ende des Jahres die Zusammenarbeit von KPD und SPD in Aktions- und Arbeits-ausschüssen zumeist zum Erliegen kam und zum Jahreswechsel 1945/46 die Vereinigungsbestrebungen im Westen im großen und ganzen gescheitert waren. Als ausschlaggebend für die Entscheidung zugunsten einer Einheitspartei im Osten bewertet er die Praxis gemeinsamen Handelns von Kommunisten und Sozialdemokraten auf den verschiedensten Gebieten. Dennoch war auch in der sowjetischen Besatzungszone das Verhältnis von Kommunisten und Sozialdemokraten nicht konfliktlos und ohne Belastungen. Insbesondere nach der Sechziger-Konferenz vom Dezember 1945 gab es scharfe Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern der Einheitspartei, die zu einer Polarisierung bis zum organisatorischen Bruch führten. Zu den grundsätzlichen Differenzen gehörten u. a. das Demokratieverständnis, das Verhältnis zu den Siegermächten, West- oder Ostorientierung und die traditionelle Bindung der KPD an die Sowjetunion. Nach Kruschs Auffassung gelangten nach der Sechziger-Konferenz jene Sozialdemokraten „nach vorn, aus deren Sicht die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Parteien überwogen und die nun entschlossen für eine baldige Vereingung eintraten. Sie waren bereit, mit den Kommunisten auch dann die Einheitspartei zu schaffen, wenn deren Gründung nur in der Ostzone möglich sein sollte.“ (S. 41) Die Entscheidung im Zentralausschuß der SPD fiel am 11. Februar 1946, nachdem keine Übereinkunft mit Kurt Schumacher über einen gesamtdeutschen SPD-Parteitag erzielt werden konnte. Die Entwicklung, insbesondere die Diskussion program- matischer Fragen und einzelne Schritte auf dem Wege zur SED, skizziert Krusch in den folgenden Abschnitten, in denen er auch auf die „zugespitzten Auseinandersetzungen“ in Berlin eingeht. Er resümiert, daß zur Unterstützung der Anhänger der Sozialistischen Einheitspartei es durch die sowjetischen Behörden „zu administrativen Eingriffen“ kam, „Druck auf einzelne Funktionäre ausgeübt“ wurde und „es Zwänge gegenüber Sozialdemokraten (gab), die Einheitsgegner waren“. (S. 60) Unverständlich bleibt dann, daß der Autor Verhaftungen von Sozialdemokraten im Grunde in Abrede stellt, da es schwierig sei, ohne einschlägige Aktenbestände in jedem Fall eine wahrheitsgetreue Klärung zu erzielen. Statt dessen zitiert er ein Rundschreiben des SPD-Bezirksvorstands Berlin vom 28. März 1946, in dem mitgeteilt wurde, daß es in Berlin keine solche Verhaftungen gegeben habe.

Kruschs „Sympathien gehörten und gehören jenen, die für die Einheit der Arbeiterbewegung und das Zusammengehen aller Antifaschisten stritten, für ein neues, antifaschistisch-demokratisches Deutschland, dessen Perspektive der Sozialismus sein sollte“. (S. 9) Von dieser Position aus ist das Vorwort geschrieben, von dieser Position sind die Dokumente und Materialien im Hauptteil der Publikation ausgewählt worden.

Krusch bringt 126 „Quellenstücke“, wobei er sich auf gemeinsame Dokumente und Materialien von SPD und KPD auf Landes- und Provinzial- bzw. Bezirksebene konzentriert. Im I. Abschnitt sind die auf dieser Ebene 1945 zustande gekommenen Vereinbarungen über Aktions- und Arbeitsgemeinschaften enthalten, erweitert um gemeinsame Erklärungen mit anderen Parteien. Im II. Teil werden gemeinsame Tagungen von Leitungsgremien und Funktionärskonferenzen beider Parteien auf Landes- bzw. Provinzebene nach der Dezemberkonferenz 1945 dokumentiert. Dokumente und Berichte der gemeinsamen Parteitage in den Ländern der SBZ einschließlich Berlins sind im III. Teil publiziert. Abweichend von der Struktur der vorherigen Abschnitte sind im IV. und letzten Teil Materialien unterschiedlichen Charakters abgedruckt, darunter Tabellen zur Mitgliederbewegung von KPD und SPD, Max Fechners „Offener Brief an Dr. Schumacher“ oder Anton Ackermanns „Fragen und Antworten“.

Während die meisten der 1996 erschienenen Publikationen zum Thema einseitig vor allem den Zwang und den Widerstand gegen die Bildung einer sozialistischen Einheitspartei in den Vordergrund stellten, orientiert sich Krusch mit seiner Dokumentenauswahl auf das Streben nach einer Einheitspartei, die Hoffnungen, Motive und Ziele der Akteure sowie einzelne Ereignisse bei der Entstehung der SED. Daß es Widerstände gab, die Vereinigung insgesamt durchaus nicht überall nur freiwillig erfolgte, ist aus den publizierten Dokumenten kaum zu entnehmen. Editorisch fragwürdig, aber nicht unüblich ist, „offensichtliche Fehler in Textstellen“ (S. 69) ohne jeden Hinweis stillschweigend zu korrigieren. Ein prinzipieller Mangel besteht hingegen darin, die Quellen ohne jegliche Anmerkungen zu editieren, was das Verständnis vieler Dokumente und zeitgeschichtlicher Zusammenhänge erschwert. Ebenso fehlt ein Register. Auch scheint mir der „einfache“ Ausweg, Dokumente lediglich als Faksimiles abzudrucken, nicht die günstigste Lösung. Der Autor gibt an, daß ein Drittel der Quellenstücke Faksimiles seien (S. 69), tatsächlich erweist sich aber deren Seitenumfang als beträchtlich größer, nämlich 127 von 201 Seiten. Nicht einzusehen ist auch, daß bestimmte Grundsatzdokumente auf zentraler Ebene (Aufruf der KPD vom 11. 6. 1945, Aufruf der SPD vom 15. 6. 1945) nicht im Dokumententeil enthalten sind, sondern als Faksimile an verschiedenen Stellen des Vorworts zu finden sind.


© Edition Luisenstadt, 1998
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