Eine Rezension von Klaus Ziermann

 

Fundiertes über Buchgemeinschaften

Michael Kollmannsberger: Buchgemeinschaften im deutschen Buchmarkt
Funktionen, Leistungen, Wechselwirkungen.

Mit einem Geleitwort von Elisabeth Noelle-Neumann.
Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1995, Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München, Band 49, 274 S.

 

Daß es sich um ein gewichtiges, fundiertes und zeitgemäßes Buch handelt, ist aus berufenem Mund bereits im „Geleitwort“ zu erfahren. Kollmannsbergers Buch - heißt es dort - „kommt genau zur richtigen Zeit. Es erweckt Interesse und informiert zum ersten Mal zusammenhängend über alle Aspekte dieser interessanten Idee einer Vertriebsform, von der man hoffen muß, daß sie weiter entwickelt wird.“ (S. XII)

In der Tat: Michael Kollmannsbergers Buch - aus seiner 1993 am Münchener Institut für Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft) abgeschlossenen, aktualisierten und erweiterten Magisterarbeit hervorgegangen - ist die bislang umfassendste eigenständige wissenschaftliche Abhandlung über die Buchgemeinschaften im Buchmarkt der Bundesrepublik Deutschland nach 1945. Zu ihren Vorzügen gehören zweifelsohne:

-die gründliche Aufarbeitung des bisherigen Forschungsstandes und die zielstrebige Nutzung produktiver Ansätze in der umfangreichen einschlägigen Fachliteratur durch den Autor;

-ein tragfähiges, praxisbezogenes theoretisches Konzept, das von den gegenwärtigen deutschen Buchgemeinschaften akzeptiert, als richtig anerkannt und mit wichtigen Informationen unterstützt wurde;

-eine dialektische Betrachtungsweise, die sowohl die Einordnung der Buchgemeinschaften in die gesamten Buchmarktverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland als auch die differenzierte Analyse der spezifischen Leistungen jeder einzelnen Buchgemeinschaft gewährleistete.

Nach einer „Einleitung“, in der „Buchgemeinschaften als Gegenstand dieser Arbeit“ definiert und der „Forschungsstand zum Thema“ in Grundzügen skizziert wird, erfolgt die wissenschaftliche Analyse der Hauptaspekte in 6 Kapiteln. Unter „II. Der Buchgemeinschaftsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland“ konzentriert sich Michael Kollmannsberger vornehmlich auf die Vorgeschichte und Geschichte, den Wachstumsschub durch die deutsche Wiedervereinigung 1990, die gegenwärtigen Marktanteile der Bertelsmann-Clubs, der Büchergilde Gutenberg, der Herder-Buchgemeinde und anderer kleinerer Buchgemeinschaften, auf den Mitgliederschwund, die Gegenstrategien und das „Selbstverständnis von Buchgemeinschaften im Wandel“. Großer Faktenreichtum - vor allem auch mit Daten von 1995 - zeichnet dieses Kapitel aus.

Im Kapitel „III. Das Buch im Buchmarkt“ ergibt sich der wissenschaftliche Neuwert vorwiegend aus der genauen Charakteristik der Distributionswege für Bücher und der Preisbindung in den Buchgemeinschaften - einer Problematik, die in der bisherigen Fachliteratur kaum detaillierter untersucht wurde. Sie öffnet den Blick für eine ganze Reihe kommerzieller Aspekte des gegenwärtigen deutschen Buchmarktes und verdient schon aus diesem Grunde Anerkennung.

Die „Demokratisierung des Lesens“ und der spezifische Beitrag der Buchgemeinschaften zur Hebung der allgemeinen Lesekultur wie zur „Vermittlung spezieller Lesekulturen“ sind Gegenstand von Kapitel „IV. Buchgemeinschaften und ihr Einfluß auf die Lesekultur“. Der Beitrag der Buchgemeinschaften zu einer weiteren Demokratisierung des Lesens beruhe - Michael Kollmannsberger in einer Zusammenfassung verallgemeinert - auf drei Faktoren: „1. Buchgemeinschaften vermitteln seit Jahrzehnten Freude am Buch (nicht unbedingt an der Literatur) und Buchbesitz. 2. Sie geben Freude an der Beschäftigung mit dem Buch (Auswählen, vergleichen, verschiedene Bücher in die Hand nehmen, anlesen, etc.). 3. Sie schaffen Freude durch den Kauf von Büchern.“ (S. 112)

Das umfangreichste Kapitel - „V. Funktionen und Leistungen der Buchgemeinschaften: Pro und Contra“ - untersucht Auswirkungen auf den Literaturbetrieb, die Programmgestaltung mittels Bestsellerlisten und Hauptvorschlagsbänden, die soziale Struktur der Mitgliederschaft, die Funktion der Programmillustrierten, die wechselseitigen Abhängigkeiten von Buchgemeinschaften, Verlagen und Sortimentsbuchhandel, ehe im kürzesten - VI. - Kapitel drei Aspekte zur „Zukunft von Buchgemeinschaften“ abgehandelt werden: „1. Das Medienumfeld für die Kulturtechnik Lesen; 2. Die Veränderungen im Buchhandel; 3. Trends bei Buchgemeinschaften.“ Michael Kollmannsberger bekräftigt - unter Berufung auf andere wissenschaftliche Publikationen - speziell in diesen beiden Kapiteln mit Nachdruck das große kulturelle Verdienst der Buchgemeinschaften, Millionen Menschen, „eine ganze Schicht der Bevölkerung“ (S. 122), dem Buch zugeführt zu haben. Das sei eine Leistung, wie sie zum Beispiel das Taschenbuch nicht aufzuweisen habe. Auch im Vergleich mit Verkaufsauflagen des Sortimentsbuchhandels könnten sich die Erfolge der Buchgemeinschaften durchaus sehen lassen: Heinrich Bölls Gruppenbild mit Dame erreichte im Bertelsmann Lesering 500000 Käufer, im Handel 266000. Die Blechtrommel von Günter Grass fand 293000 Lesering Abnehmer und 98000 Käufer im Sortiment. Boris Pasternaks Dr. Schiwago verkaufte sich 826000 mal im Club und 500000 mal im Sortiment. (S. 106/107)

Trotzdem bleibt gerade bei der Programmanalyse manches offen. Eine detaillerte Autoren- und Titelanalyse der Buchgemeinschaftsangebote steht noch aus. Das hat auch Michael Kollmannsberger erkannt, wenn er im letzten Absatz seiner Schlußbemerkung feststellt: „Weitere Forschungsarbeit ist nötig. Bei der vorliegenden Behandlung der Buchgemeinschaftsproblematik konnten zwei wichtige Komplexe nicht erhellt werden: Die interessante Frage, wie sich die Absatzzahlen von Büchern in den Buchgemeinschaften, verglichen mit jenen im allgemeinen Buchmarkt, verhalten, ließe sich nur mit betriebsinternen Daten der Unternehmen bearbeiten. Hier konnte nur fallweise auf veröffentlichte Zahlen zurückgegriffen werden. Wichtig wäre zudem eine Untersuchung, ob der indirekte Einfluß der Buchgemeinschaften auf die Verlage so groß ist, daß bestimmte Autoren im Hinblick auf die anvisierte Zweitverwertung publiziert werden oder nicht. Diese Frage nach der ,Buchgemeinschaftsfähigkeit‘ von Autoren, eine Frage von hoher Brisanz, kann hier nicht geklärt werden. Doch sie verdient es, geklärt zu werden.“ (S. 204) Ein 55seitiges Literaturverzeichnis mit 267 selbständigen Buchpublikationen, 268 Zeitschriftenbeiträgen, 104 Zeitungsartikeln und 92 sonstigen Titeln - Studien, Gesprächsaufzeichnungen, Werbeanalysen, Geschäftsberichten, Informationen, Protokollen oder unveröffentlichten Manuskripten - demonstriert noch einmal die immense Arbeit, die Michael Kollmannsberger geleistet hat, um eine Lücke in der Forschung zu schließen und Fundiertes über „Buchgemeinschaften im deutschen Buchmarkt“ aussagen zu können.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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