Eine Rezension von Max Claus Resel

 

„Chancengesellschaft“ als „Kampfansage gegen Miesmacher“?

Roland Koch (Hrsg.): Chancengesellschaft

Mit einem Vorwort von Bundeskanzler Helmut Kohl.
Wissenschaftsverlag Langen Müller/Herbig, München 1997, 228 S.

 

Was „Chancengesellschaft“ en détail genau bedeutet, läßt sich - auch nach der Lektüre des Buches - schwer sagen. „Die ,Chancengesellschaft‘ steht in bewußter Gegenüberstellung zu dem aus der öffentlichen Diskussion hinlänglich bekannten Begriff der ,Risikogesell-schaft‘ ... Die ,Chancengesellschaft‘ definiert sich aus der Vernetzung der unterschiedlichen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft“, wird im vorderen Klappentext recht allgemein kundgetan. „Risiken machen müde und ängstlich, Chancen machen mutig und wach. Roland Koch, 38 Jahre und CDU-Fraktionschef in Hessen, beschreibt gemeinsam mit prominenten Autoren, wie die Gesellschaft von morgen aussehen kann, wenn wir die Chancen nutzen. Die ,Chancengesellschaft‘ ist eine Kampfansage an die Miesmacher und ein Anruf zur aktiven Mitarbeit“, heißt es - nicht weniger abstrakt - im hinteren Klappentext.

Diesmal ist es keine parteioffizielle Programmkommission, die sich in grundsätzlicher Gesellschaftsdefinition versucht, sondern ein kleiner Kreis zumeist erfahrener CDU-Politiker und ihnen nahestehender Berater, der seine Konzepte darlegt. Es sind durchaus aktuelle, zum Teil sogar brennende Probleme deutscher Politik und Wirtschaft, die in 9 Beiträgen zur Diskussion gestellt werden: „I. Ängste fürchten - Chancen wittern? Über die Befindlichkeit der Deutschen“ von Dr. Ulrich Guntram, „II. Staat ohne Schulden - Vision oder Utopie?“ von Roland Koch, „III. Moderne Technik: Wohlstandsschlüssel für 10 Milliarden Menschen?“ von Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Heinz Riesenhuber, „IV. Globalisierung - nutzen die Deutschen ihre Chancen?“ von Prof. Dr. Ulrich Steger, „V. Industrielle Fertigung auch im Hochlohnland möglich“ von Nicolas G. Hayek, „VI. Das Auto - Option einer mobilen Gesellschaft“ von Peter H. Hanenberger, „VII. Finanzdienstleitungen von Frankfurt in alle Welt“ von Klaus-Peter Müller, „VIII. Datenautobahnen - Chancen virtueller Mobilität in der Dienstleistungsgesellschaft“ von Dr. Christian Stolorz und „IX. Aktive Bürgergesellschaft - Konzept gegen den Verlust der Nähe“ von Roland Koch. Keiner dieser in ihren Teilgebieten fundierten, zumeist auch praxisverbundenen Beiträge verkennt weder die gegenwärtigen Anforderungen an deutsche Politik und Wirtschaft noch die künftigen politischen Dimensionen mit deren steigenden Aufgaben.

Die CDU braucht - nach den Wahlniederlagen der Konservativen in Großbritannien und Frankreich mit ihren noch nicht völlig absehbaren Auswirkungen auf die Verhältnisse in Bonn - offenbar wieder einmal „Anrufe zur aktiven Mitarbeit“ und mobilisierende gesellschaftliche Grundwerte, wenn sie im Wahljahr 1998 nicht von vornherein die politische Macht im Bundestag bzw. in der Bundesregierung aufs Spiel setzen will. Das ist sicher auch der entscheidende Grund, weshalb sich Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl persönlich verpflichtet sah, ein Vorwort für das Buch zu schreiben und es in seinen Aussagen gehörig aufzuwerten. Die wichtigsten Akzente, die von ihm für eine „Chancengesellschaft“ gesetzt werden, umfassen im einzelnen:

-den Wert der Freiheit: „Dieser Glaube gehört zu den Fundamenten der europäischen Zivilisation, zum Erbe der jüdisch-christlichen Tradition und der Aufklärung. Er ist eindrucksvoll bestätigt worden durch die Ereignisse des vergangenen Jahrzehnts, in deren Verlauf ein vermeintlich unerschütterliches politisches System - der Kommunismus - in sich zusammenfiel.“ (S. 8)

-den Wettbewerb als Chance: „Wettbewerb ist eine wesentliche Antriebskraft für Erneuerung und Fortschritt. Darin liegt gerade für Deutschland mit seinen großen geistig-kulturellen Ressourcen und seinem Potential an gut ausgebildeten, fleißigen und ideenreichen Menschen eine hervorragende Chance für die Zukunft.“ (S. 10)

-neue Gestaltungsaufgaben: „Unsere Tagesordnung für das 21. Jahrhundert umfaßt zum einen Aufgaben, die uns schon seit geraumer Zeit beschäftigen; von größter Bedeutung bleiben dabei die Vollendung der inneren Einheit und der Ausbau des europäischen Einigungswerks. Andere Zukunftsaufgaben stellen sich uns heute unter dem Zeichen tiefgreifenden Wandels: Wir brauchen eine erfolgreiche Wirtschaft mit innovativen Unternehmern und qualifizierten Arbeitnehmern. Wir müssen zugleich unseren Sozialstaat umbauen und den sich verändernden Bedingungen anpassen.“ (S. 11)

-Leistungseliten und Demokratie: „Wir brauchen in unserer Demokratie auch ein klares Ja zu Eliten. Damit meine ich nicht Geburtseliten, sondern Leistungseliten ... Wir brauchen überall solche Vorbilder. Ohne Menschen, die über das gewöhnliche Maß hinaus etwas leisten können und wollen - auch im ehrenamtlichen Engagement - gibt es keine gute Zukunft für unser Land!“ (S. 12/13)

-eine Kultur der Selbständigkeit: „Wir brauchen eine breite Gründerwelle im selbständigen Mittelstand, um Arbeitsplätze zu schaffen. Wir brauchen Unternehmer, die sich etwas zutrauen, die Ideen haben und Arbeitsplätze schaffen! Das erreichen wir aber nur, wenn sich eine neue Kultur der Selbständigkeit in unserem Lande durchsetzt. Ein gesunder Mittelstand ist das Rückgrat der sozialen Marktwirtschaft ... Wir müssen Sorge dafür tragen, daß Unternehmer als Arbeit-Gebende mehr gesellschaftliche Anerkennung erfahren - und nicht Mißgunst und Anfeindung.“ (S. 14/15)

So allgemein klingt das sehr gut und eignet sich sogar als Wahlappell für konservative Wählerschichten. Aber was hat das mit „Chancengesellschaft“ zu tun und wessen Chancen sollen gewahrt werden?


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite