Eine Rezension von Heinrich Buchholzer

 

Schließlich ohne Illusionen

Alexander Jung: Die Jobkiller

Wie die Unternehmen Millionen Arbeitsplätze vernichten.
Econ-Verlag, Düsseldorf 1997, 304 S.

 

Dies ist ein seriöses und nützliches Buch. Es informiert, stellt Ansichten vor und ermöglicht es, eigene Meinung zu bilden. Verzichtet wird auf sprachliche Mätzchen, jenen pseudojournalistischen Schnickschnack, mit dem so mancher Sachbuchschreiber sein Produkt dem Leser andienen möchte. Der Verfasser, jungen Jahrgangs 1966, ist Wirtschaftsjournalist.

In einem Nachwort bittet er um Nachsicht, „falls Details von der Aktualität überrollt werden“. Das ist gleich im ersten Kapitel der Fall. Da heißt es, für 1997 erwarte man bei Mercedes-Benz „vor allem mit der Einführung der A-Klasse, die auf das Golf-Segment abzielt, neue Umsatz- und Absatzrekorde“. Dieses auf bisherige VW-Käufer gerichtete Kalkül wird allerdings nach dem Elchtest-Umfall des neuen Klein-Mercedes nicht aufgehen. Man fragt sich, warum in einem solchen Buch, das einer größeren Sicht verpflichtet sein will, unnötig nach Aktualität gehascht, ja mit ungelegten Eiern hantiert wird - bei Drucklegung lief überhaupt noch kein A-Klasse-Wagen vom Band. Abgesehen von dieser vielleicht entschuldbaren Fehlprognose - wer hätte den feinen Stuttgarter Autobauern dergleichen Schluderei zugetraut - stimmt die Einschätzung: „Wo man hinschaut, präsentieren deutsche Konzerne hervorragende Ergebnisse. Nie haben sie so grandios verdient wie heute.“ Überall aber „schrumpft die Zahl der inländischen Mitarbeiter - die Unternehmen machen ihre Rechnung ohne die Menschen in Deutschland“.

Alexander Jung skizziert den Mechanismus, der dahintersteckt, „der banal ist und zunächst widersinnig klingt: Je produktiver die Beschäftigten arbeiten, desto überflüssiger machen sie sich selbst. Die Firmen fahren phantastische Umsätze und Gewinne ein, und sie setzen gleichzeitig ihre Mitarbeiter vor die Tür.“ Widersinnig? Das ist doch ganz im Sinne, ja der ganze Sinn des Kapitalismus - es bedurfte keines Karl Marx, um die Profitmaximierung zu erfinden.

In den USA nennt man diesen Vorgang Jobless Growth, Wirtschaftswachstum ohne Beschäftigungszuwachs, stellt der Autor fest. Mit diesem Stichwort und anderen auf die Vereinigten Staaten deutenden Bezügen hätte sich ein spezieller Ausflug über den großen Teich verbinden lassen. Von dort kommen nachweislich die wichtigsten Anstöße für deutsche Konzernstrategien. Darauf gesondert und gründlich einzugehen wäre keine nationale Schande, sondern notwendige Abrundung des großen brisanten Themas. Lediglich auf den Beschäftigungszuwachs in den USA zu verweisen und daraus Möglichkeiten für die deutsche Wirtschaft abzuleiten, ist zu kurz gegriffen - was manche als Jobwunder sehen, beruht auf speziellen, den USA eigenen Faktoren. Im einzelnen amerikanischen Unternehmen sind die Jobkiller ebenso zu Hause wie in Deutschlands Konzernen.

In vier Kapiteln, deren logische Abfolge einleuchtet, legt Jung seine Überlegungen und Schlußfolgerungen dar, bietet auch unterschiedliche Ansichten von international bekannten Fachleuten an. Als erstes wird „Das Problem“ behandelt, wer die Jobkiller sind und was sie tun, warum Politiker und Tarifparteien als Mittäter anzusehen sind (einschließlich deutlicher Worte zur bisherigen Rolle der Gewerkschaften) und wo gekillt wird, nämlich in einem Deutschland, das den dringenden wirtschaftlichen Strukturwandel noch nicht vollzogen, ja teilweise noch nicht einmal begonnen hat. Unaufgeklärt bleibt der Leser allerdings über den scheinbaren Widerspruch: Die Wirtschaftsstruktur stimmt nicht mehr, aber der Export boomt.

Zweitens „Die Beispiele“. Sie reichen vom jobkillenden Schiffbruch des Bremer Vulkan-Verbunds über den Kahlschlag im Osten und die einseitige Sicht auf Aktionärs-Interessen bis zur Jobvernichtung durch Informationstechnologien. Verständlich und informativ ist die auf wesentliche Gesichtspunkte konzentrierte Beschreibung der weltwirtschaftlichen Prozesse, die mit Globalisierung bezeichnet werden. Ob die Vereinfachung erlaubt ist, es handele sich um keinen neuen Prozeß, er sei in einem früheren Stadium „schlicht Welthandel genannt worden“, mag dahingestellt bleiben. Zu akzeptieren ist das zulässig vereinfachte Fazit: „Aktionäre, also Kapitalbesitzer, sind durchweg die Gewinner der Globalisierung, Arbeitsplatzbesitzer oftmals die Verlierer.“

Ebenfalls bemerkenswert ist der mit Beispielen und differenzierenden Ansichten bestückte Exkurs über Shareholder Value. Auch hier bringt Jung das - bei näherem Hinsehen gar nicht so vielschichtige - Problem auf einen einfachen Nenner. „Inzwischen wird Shareholder Value gleichgesetzt mit einem simplen Effekt: Je mehr Beschäftigte ein Unternehmen abbaut, desto stärker steigt sein Börsenwert.“ - „Rausschmiß erzeugt Rendite.“ Die Möglichkeit, daß Shareholder einen ganz simplen ruinösen Reinfall erleiden können, wenn ihre Aktien in den Keller gehen, gehört schon nicht mehr zum Thema. Knapp gehalten sind die abschließenden Kapitel „Die Alternative“ und „Die Zukunft“. Der Autor ist sich offenbar bewußt, daß es keine Patentrezepte gegen den fortschreitenden Abbau von Arbeitsplätzen gibt (was der Bundeskanzler bekanntlich anders sieht). Auch das Modell VW - Viertagewoche mit Lohnkürzungen - stellt nur eine spezifische „Notlösung“ (so Jung) dar, ist nicht übertragbar auf die Breite der Wirtschaft. „Es ist keine Blaupause, mit der die Massenarbeitslosigkeit zu bewältigen ist oder sogar neue Arbeitsplätze zu schaffen sind.“

Dennoch bleibt die Sicht des Autors auf das Modell VW blauäugig. „VW hat der Konkurrenz bewiesen, daß es eine Alternative gibt zum Stellenabbau - wenn man sich Mühe gibt und beide zu Opfern bereit sind, Arbeitnehmer und Arbeitgeber.“ Tatsächlich hat VW seit Einführung „der arbeitsplatzerhaltenden Viertagewoche“ (Jung), von Ende 1993 bis Ende 1996, die Zahl der inländischen Beschäftigten um rund 18 000 auf etwa 90 000 verringert! Der Autor sagt selbst: „Heute stellt ein VW-Beschäftigter rechnerisch 57 Autos pro Jahr her, 1993 waren es im Schnitt 38,7.“

Desillusionierender Klartext wird abschließend geboten. „Mehr individuelles Risiko, weniger kollektive Sicherheit“ und „Die neue Erwerbsbiographie zerstört das alte Sozialsystem“ sind Stichworte. „Es heißt Abschied nehmen von der Vorstellung, rund 40 Jahre lang kontinuierlich beschäftigt zu sein“, resümiert der Autor und zitiert die „Financial Times“: „Das Zeitalter des verunsicherten Arbeiters ist angebrochen“ (erst jetzt? darf man fragend hinzusetzen). Jung in einer der wenigen emotional gefärbten sozialen Schlußfolgerungen: „Es fällt schwer in dieser Situation, sich zu Lebensentscheidungen wie die Gründung einer Familie oder den Bau eines Hauses durchzuringen, wenn unsicher ist, wieviel man morgen verdient und wo man Arbeit findet.“ Der Leser sollte nicht hoffen, das Buch getröstet aus der Hand zu legen. Es zerstört Illusionen, sofern vorhanden.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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