Eine Rezension von Gudrun Schmidt

 

Emanzipation passé?

Mechthild Jansen: Das Claudia-Nolte-Phänomen

J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 1997, 206 S.

 

So phänomenal, wie der Titel vermuten läßt, ist sie nicht: die junge Familienministerin Claudia Nolte, Kohls Ziehkind, in Rüschenbluse angetreten, Politik zu machen. Eine „Ossi“-Frau im Regierungsamt. Mechthild Jansen, engagierte Sozialwissenschaftlerin aus Köln und frauenbewegt, zeichnet ein bizarres, bisweilen grobgerastertes Porträt der CDU-Politikerin. „Rund, rosig, hell, strebsam, spitzfingrig und altklug, braves Schulmädchen und altmodische Tante. Niedlich und ganz adrett bisweilen, doch keine aufregende Weiblichkeit, kein Sex, keine Erotik.“ Die Beschreibungen sind wenig schmeichelhaft. „... konventionell bis zur Selbstverleugnung, eigentlich geschlechtsneutral, ein keusches, nettes Mädchen allenfalls, oder eben Jungmutter“. Die Männer brauchen sie als Konkurrenz nicht zu fürchten, brav und lieb schaut sie, der Blick geht oft „nach oben gegen den Himmel oder in die Weite oder dankbar zum Kanzler gerichtet“.

Kam die Ernennung Claudia Noltes 1994 als Ministerin ebenso überraschend wie seinerzeit der Kanzler-Vorschlag, einen ähnlich „gewirkten“ Steffen Heitmann zum Bundespräsidenten zu küren, ging im Fall Nolte die Rechnung auf. Sie hielt - oder richtiger - kam durch. Erstaunen und Kopfschütteln aber sind geblieben. „Wie kommt es, daß dieses junge, alte Fräulein, unbeleckt von emanzipatorischem, gar feministischem Gedankengut, im Zeitalter der Frauenbewegung als Frauenministerin präsentiert wird? Weshalb gehen die Frauen nicht auf die Barrikaden? Warum fühlen Männer sich nicht beleidigt? Wieso sind Öffentlichkeit und Gesellschaft nicht zutiefst befremdet? Hat der Kanzler sie alle in die Tasche gesteckt? Ist jeder und jede schon wie Helmut Kohl?“ Fragen, die sich viele stellen, bringt Mechthild Jansen zugespitzt auf den Punkt. Die Autorin versucht in der Person Claudia Noltes, Zeitgeist zu beschreiben. Das gelingt ihr treffend. Die junge Ministerin, die jüngste, die das Land je hatte, steht für sie als Symptom für konservative Politik. Mehr noch: für das Ende der Ära Kohl.

Ausführlich und differenziert analysiert Mechthild Jansen die Frauenpolitik der Bundesregierung. Einbezogen in die Betrachtung sind ebenso Positionen der SPD, der Grünen und der Gewerkschaften. In der Rückschau wird offenbar, wie Emanzipation und Selbstbestimmung zunehmend wieder von traditionellen Rollenbildern überlagert werden sollen. Hatte Rita Süssmuth, 1985 zur Frauenministerin berufen, noch eigenes politisches Profil, ehrenwert ihr Versuch, eine Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen, kam ihre Nachfolgerin Ursula Lehr mit den politischen Spielregeln der Herren überhaupt nicht klar. Minuspunkte handelte sie sich u. a. ein, als sie gegen eines der heiligsten CDU-Tabus verstieß und befand, öffentliche Kindererziehung sei schon von klein auf notwendig, damit Frauen berufstätig sein können. Angela Merkel sollte Ostfrauen-Repräsentanz in der Zeit des Übergangs symbolisieren, denn den Frauen in den neuen Bundesländern sollten keine allzu heftigen Veränderungen auf Anhieb zugemutet werden. Obwohl Angela Merkel einige Gesetze wie die Verlängerung des Erziehungsurlaubs auf drei Jahre zum Abschluß brachte und im heftigen Streit um den § 218 eine vermittelnde Position einnahm, ließ sie jedoch eigenes frauenpolitisches Profil kaum erkennen und beschleunigte damit den Wandel der CDU-Frauenpolitik. „Nach und nach wurde die Frauenpolitik Wichtigerem geopfert und nur noch oder wieder als bloße Sonderpolitik für eine vermeintliche Gruppe von Schwächeren betrieben. Die jeweils unauffälligere Ministerin verschob die Politik ein Stück weiter nach rechts, nachdem die Auffälligere zuvor Prügel bezogen hatte. Mit jeder neuen Ministerin wurde die frauenbewegte Öffentlichkeit dankbar für die vorherige. Auch das ist eine psychologische Wirkung, die den politischen Abbau auf nützliche Weise begleitete“, konstatiert die Autorin. Während Rita Süssmuth für „Liberalisierung und Weitung konservativer Horizonte“ steht, personifiziert Claudia Nolte „Deliberalisierung und Verengung“. Mechthild Jansen resümiert, daß die vereinigte Bundesrepublik in den neunziger Jahren erneut eine konservative Zeit wie in den fünfziger Jahren durchläuft, „ökonomisch härter und zugespitzter, politisch und kulturell oberflächlicher und kurzlebiger“.

Schade, daß der Blick auf die „Schwestern“, Gemeinsames und Trennendes zwischen Ost und West, zu kurz gerät. Bei allen Defiziten, die es in der DDR gab, stimmt es einfach nicht, nur von „verordneter Emanzipation“ zu sprechen. Wir waren es! Wir haben es nur nicht so benannt und ständig darüber gesprochen. Es stimmt, Berufstätigkeit war für die Frauen in der DDR von staatlicher Seite gewünscht und „verordnet“, doch die Mehrheit der Frauen hat sich damit auch identifiziert. Berufstätig zu sein gehörte ganz selbstverständlich zum Lebensentwurf. Und daran wollen zum Kummer der Regierung und zum Nachteil für die Arbeitslosenstatistik die Frauen festhalten. Schlimmer noch, auch in den alten Bundesländern läßt sich dieses Bestreben nicht mehr zurückdrängen.

Die Berufung Claudia Noltes in ein Ministeramt bezeugt die Verkennung von Tatsachen, sie ist in einer Zeit tiefer Umbrüche „das Phänomen eines kindlichen Spiels von Erwachsenen, die glauben mit modischem Rollentraining über die Probleme der Realität hinwegkommen zu können“.

Solche Umbruchzeiten können aber auch eine Chance für Frauen und Männer sein, gemeinsam nach Alternativen zu suchen.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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