Eine Rezension von Klaus Ziermann

 

B wie Bertelsmann

Bertelsmann. Geschäftsbericht 1995/96. Herausgegeben von der Bertelsmann Aktiengesellschaft, Gütersloh November 1996, 88 S.

 

Geschäftsberichte großer Konzerne sind in der Regel eine interessante Lektüre. Sie werden von den Vorstandsgremien zumeist sachlich gehalten, in einer nüchternen Sprache verfaßt, beurteilen Marktanteile, skizzieren bislang Erreichtes und erwägen, ohne Utopien zu verfallen, Chancen besonders von Großunternehmen für künftige Entwicklungen. Der Geschäftsbericht 1995/96 von Bertelsmann - dem mit Abstand größten deutschen und drittgrößten internationalen Kultur- und Medienkonzern - bildet da keine Ausnahme.

„Trotz widriger konjunktureller Umfeldbedingungen konnte die Finanzkraft des Hauses erneut verbessert und die internationale Position von Bertelsmann weiter gestärkt werden“ - so der vielleicht wichtigste Ausspruch vom Vorstandsvorsitzenden, Dr. Mark Wössner, der dem Leser gewissermaßen bereits beim Aufschlagen des Geschäftsberichts als Einstimmung in großen Buchstaben entgegenleuchtet. Schon auf der ersten Umschlagseite folgen unter „Bertelsmann. Auf einen Blick“ Kerndaten des Gütersloher Weltunternehmens: Umsatz 1995/96 21529 Mio. DM. Mitarbeiter Inland 24 124, Ausland 33 872, Gesamt 57 996. Kapitalverhältnisse im Konzern - Aktienkapital: Bertelsmann Stiftung 68,8 %, Familie Mohn 20,5 %, Zeit Stiftung 10,7 %. Auf Seite 2 werden die Mitglieder des Aufsichtsrates und des Vorstandes vorgestellt: ein Bundesminister a. D., zwei Repräsentanten des Vorstandes der Commerzbank, je ein Vertreter der Deutschen Bank, der Thyssen AG, der Robert Bosch GmbH, der Friedr. Krupp AG. Hoesch-Krupp Essen, der Atherton CA, USA, und dergleichen mehr. Natürlich dürfen bei Bertelsmann auch der Vorsitzende und ein Mitglied des Konzernbetriebsrates im Aufsichtsrat nicht fehlen.

Die interessantesten Passagen beginnen jedoch im Lagebericht. „Der konsolidierte Konzernumsatz wuchs weltweit um 975 Mio. DM oder 4,7 Prozent auf 21529 Mio. DM. Der Auslandsanteil liegt bei 66 Prozent und hat sich gegenüber dem Vorjahr geringfügig erhöht“, wird das Hauptergebnis des Geschäftsjahres 1995/96 eingeschätzt. Als ein weltweit ausgerichtetes und auf 5 Kontinenten tätiges Unternehmen ist Bertelsmann „in allen Regionen gewachsen, allerdings mit deutlichen Unterschieden. Um 3,6 Prozent oder 256 Mio. DM wuchs der Umsatz in Deutschland. Deutlich unterdurchschnittlich um nur 1,2 Prozent oder 85 Mio. DM ausgeweitet wurde das Geschäft im europäischen Ausland. Das Geschäft in den USA expandierte um 6,2 Prozent bzw. 306 Mio DM. Die übrigen Länder, vor allem im asiatisch-pazifischen Raum, zeigten gegenüber den etablierten Bertelsmann-Ländern besonders großes Wachstumspotential: Sie verbesserten ihr Geschäftsvolumen um 21,2 Prozent bzw. 328 Mio DM.“ (S. 8) Unter „Produktionslinien und Geschäftsfelder“ - dem umfangreichsten Teil des Berichts - werden die Ergebnisse der Bertelsmann-Hauptbereiche detaillierter vorgestellt. Die Buch AG mit mehr als 25 Millionen Buchclubkunden in der ganzen Welt „konnte ihren Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 1,1 Prozent steigern und erreichte ein Geschäftsvolumen von 6890 Mio. DM.“ (S. 20) 60 Prozent der Umsatzsteigerung entfallen auf die Buchgemeinschaften. Als weiterer Faktor für die Umsatzsteigerung in der Bertelsmann Buch AG wirkten die Titel amerikanischer Bestseller-Autoren. An der Spitze der am meisten verkauften Bücher standen 1995/96:


The Rainmaker von John Grisham ................ 4,4 Mio. Exemplare
The Runaway Jury von John Grisham ........... 2,8 Mio. Exemplare
The Gift von Danielle Steel ........................... 2,3 Mio. Exemplare
Wings von Danielle Steel .............................. 2,2 Mio. Exemplare
The Hot Zone von Richard Preston ............... 2,0 Mio. Exemplare.

Insgesamt 110 Firmen umfaßte die Bertelsmann Buch AG 1995/96. Daß 58 - vom britischen ABI Building Data Neston South Wirral und dem Autohaus Verlag Ottobrunn bis zu den wissenschaftlichen Verlagen Heinrich Vogel Zürich und Westdeutscher Verlag Wiesbaden- allein auf dem Gebiet der Fachinformation tätig sind, läßt erkennen, wie viel Kraft der Gütersloher Konzern in diesem Bereich investiert und weiter zu investieren gedenkt.

Den größten Umsatz innerhalb des Bertelsmann-Imperiums erwirtschaftete 1995/96 die BMG Entertainment - eine Produktionslinie, die 200 Musiklabels in über 40 Ländern der Welt unterhält. „Der Umsatz stieg um 8,3 Prozent auf 7338 Mio. DM. Das Unternehmen setzt bei allen seinen Geschäften auf hochklassige Unterhaltung. Offen auch für strategisch sinnvolles Wachstum außerhalb des Musikgeschäftes, sucht die Gruppe stets nach Möglichkeiten, ihre anderen Unterhaltungssparten Fernsehen, Film, Hörfunk, Home Video, Interactive Entertainment sowie CD- und Musikkassettenproduktion weiter auszubauen.“ (S. 34) Bereits Mitte der neunziger Jahre hatte die BMG ansehnliche Marktanteile: 35 % in Deutschland, Österreich und der Schweiz, 30 % in den USA, 17 % in anderen europäischen Ländern, 12 % in Asien und 6 % in Lateinamerika. (S. 36) Neben Musikfirmen und Musikverlagen wie der BMG Ariola München oder BMG Songs Los Angeles-Nashville-New York sind es insbesondere die Sonopress Speichermedien und 38 private Fernseh- oder Hörfunksender, Film- oder Fernsehproduktionen von RTL plus Köln-Hannover, Premiere Hamburg, Klassik Radio Hamburg, Berliner Rundfunk, Antenne Bayern bis Gyula Trebitsch Fernsehproduktion Hamburg, Ufa Babelsberg, GEO Film Berlin oder Elf 99 Medienproduktion und Vermarktung Berlin, die Bertelsmann auch künftig hohe Profite verheißen.

Gruner + Jahr als dritter Produktionsbereich im Gütersloher Medienimperium konnte 1995/96 seine Positionen sowohl im Inland als auch weltweit ausbauen. „Der Umsatz wurde um 4,4 Prozent auf 4 579 Mio. DM gesteigert, davon im Ausland 2368 Mio. DM“. (S. 46) Allerdings verlief dieser Prozeß keineswegs konfliktlos. „Im Inland führte die allgemeine Kaufzurückhaltung der Konsumenten und der Anzeigenkunden zu einem Wachstum unterhalb der Inflationsrate. Im übrigen Europa und den USA erreichten die G + J-Tochterverlage dagegen zum Teil zweistellige Zuwachsraten“, heißt es im Geschäftsbericht. (S. 46) Hauptattraktionen von Gruner + Jahr sind - neben den großen Druckereien in Itzehoe, Waseca (USA), Dresden und Berlin - nach wie vor seine großen bekannten Publikumszeitschriften:


stern ....................... 1 214 870 Exemplare
TV Today ............... 1 146 354 Exemplare
Brigitte ....................... 982 000 Exemplare
Frau im Spiegel .......... 751 847 Exemplare
Eltern ......................... 556 012 Exemplare
Geo ........................... 526 952 Exemplare

Zu ihnen sind inzwischen weitere millionenschwere Zeitschriften im Ausland gekommen:


Family Circle ............ 5 003 227 Exemplare
McCall's ................... 4 284 939 Exemplare
YM .......................... 1 942 123 Exemplare
in den USA,


Femme Actuelle ....... 1 905 881 Exemplare
Télé Loisirs .............. 1 546 498 Exemplare
Prima ....................... 1 209 953 Exemplare
in Frankreich,


Claudia ....................... 976 456 Exemplare
in Polen.

„In den USA werden sich die großen übernommenen Zeitschriften nach der redaktionellen Verbesserung im Anzeigengeschäft neu profilieren und damit die angestrebte Rendite erbringen“, prognostiziert der Bertelsmann-Geschäftsbericht. „In einer Reihe von Ländern läßt sich auch in Zukunft Wachstum erzielen. Das gilt nach wie vor für Frankreich und den dynamischen polnischen Markt. Um die Ertragskraft zu stärken, ist es richtig, Märkte mit Perspektiven zu suchen und dort aktiv zu werden. Solche Chancen sehen wir in China und Indien, wo mit einheimischen Partnern Sondierungsgespräche geführt werden.“ (S. 53)

Die Bertelsmann Industrie - die vierte Produktionslinie, in der 31 Firmen der Branchen Druckereien/Technische Betriebe, Papierproduktion/-vertrieb, Dienstleistungen und Spezialverlage zusammengefaßt sind - sorgt mit Firmen wie Mohndruck Graphische Betriebe Gütersloh, Berryville Graphics USA, Elsnerdruck Berlin, der italienischen Papierfabrik Cartiere del Garda, eps Bertelsmann Electronic Printig Service Gütersloh oder MSN Marketing Service Wilhelmshaven für die materiell-technische Basis des Konzerns, trägt aber gleichzeitig durch ihre hohen Marktanteile wesentlich zum Buchdruck- und Buchvertrieb in ganz Deutschland bei. Unter dem Slogan „Wachsender Umsatz - Stabile Erträge“ konnte im Geschäftsbericht konstatiert werden: „Der Umsatz stieg um 4,1 Prozent auf 3549 Mio.DM, davon in Deutschland 1937 DM.“ Gleichzeitig wird auf neue Herausforderungen verwiesen. „Bestätigt wurde unsere Prognose von Mitte 1995: Die Märkte gestalten sich schwieriger, die Konkurrenz aus Weichwährungs- und Billiglohnländern nahm zu, die ohnehin rasante technologische Entwicklung in der Druckbranche beschleunigte sich weiter und die elektronischen Medien brachten zusätzliche Herausforderungen.“ (S. 56)

Die fünfte Bertelsmann-Produktionslinie - New Media - schlug sich im Geschäftsbericht 1995/96 noch nicht durch speziell ausgewiesene Milliardenumsätze, sondern mehr durch strategische Zielsetzungen und den Aufbau von bislang 16 neuen Multimedia-Firmen unter dem Namen Bertelsmann nieder. „Das Wachstum der Bertelsmann AG wird in wenigen Jahren zu mehr als einem Drittel aus Multimedia-Geschäften erzielt. Heute werden dafür die Weichen gestellt ... Bertelsmann ist in allen wichtigen Stufen der Multimedia-Wertschöpfungskette mit eigenen Aktivitäten präsent. Im Bereich der Online Gateways ist Bertelsmann durch eine strategische Partnerschaft mit dem weltweit führenden Online-Service America Online (AOL) verbunden. America Online wird seine internationalen Aktivitäten in Zusammenarbeit mit Bertelsmann weiter ausbauen.“ (S. 63) Es sind nicht nur die 16 Firmen - 8 eigene und 8 mit mehr als fünzigprozentiger Beteiligung -, die der Gütersloher Konzern in Deutschland, Großbri- tannien, Frankreich und Irland unterhält. „Durch unsere breit abgesicherte technologische Basis stellen wir sicher, daß wir den Markt auch in Zukunft mit hochwertigen Inhalten jeweils in der dafür optimal geeigneten medialen Form bedienen können“, heißt es - unter dem Stichwort „Ausblick“ - im letzten Absatz des Geschäftsberichtstextes. (S. 66)

Wer den Entwicklungsschub von Bertelsmann seit 1990 auf dem internationalen Medienmarkt verfolgt hat, wer die Fotos von den Männerteams an der Spitze jeder Produktionslinie vor sich sieht, die Konzernstruktur mit ihren 334 Firmen in 43 Ländern durchgeht und die „Kurzfassung der Bilanz“ im Anhang per 30. 6. 1996 zur Kenntnis nimmt - Anlagevermögen 3477 Mio. DM, Umlaufvermögen 2271 Mio. DM, Gesamtvermögen 5748 Mio. DM, Gesamtkapital 5748 Mio. DM, Beteiligungsergebnis 569 Mio. DM, Ergebnis von Steuern 531 Mio. DM, Jahresüberschuß 513 Mio. DM, Bilanzgewinn 536 Mio. DM -, der wird kaum an der Aussagekraft dieser Worte zweifeln können.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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