Eine Rezension von Bernd Heimberger

 

Maul auf für Moskau

Juri Lushkow: Moskau - Meine Stadt. Erinnerungen und Visionen eines Oberbürgermeisters.

Henschel Verlag, Berlin 1997, 255 S.

 

Was mag man, wenn man Moskau mag? Moskau, das der Tourist sieht, ist das architektonische, das kulturelle Moskau. Es ist das Moskau, das zaristische und religiöse Potentaten im Laufe der Jahrhunderte möglich machten. Bedeutet das, sich zu den Erbauern zu bekennen, wenn man sich zu Moskau bekennt? Weit weg von der Vergangenheit lassen sich Bauten und Bauherrn leicht voneinander trennen. So kann man die Stadt unbeschwert lieben.

Konfliktreich wird“s erst, wenn man zu Moskaus Umbau und seinem Umbau-Bürgermeister Stellung beziehen soll. Seit einem halben Jahrzehnt schaltet und waltet Juri Lushkow in der Stadt. Zwar krempelt er nicht alles rund um den Kreml um, doch als gebürtiger und eingeschworener Moskowiter will er der Metropole einiges von dem zurückgeben, was seit 1917 für immer verdrängt und verloren schien. Ein Spagat, der den Modernisten - oder nur Modernisierer - und den Traditionalisten - oder nur konservativen Lokalpatrioten - zerreißt? Moskaus Erlösung aus der SU-Erstarrung garantiert gewiß nicht den forcierten Wiederaufbau der Erlöserkirche. Dennoch: Der Wiederaufbau ist ein Symbol. Wenn auch eines, das aus der historischen Kiste gekramt wurde. Also doch nichts Neues im neuen Moskau? Buckelt sich gar die Stadt, wie die gesamte Gesellschaft, die Bürden des alten Rußland auf?

Moskau ist ein Vielvölkerstadtstaat geworden. Moskau ist die multikulturellste asiatische Stadt in Europa. Lushkow ignoriert die gewordene Wirklichkeit des russischen Zentrums nicht. Er denkt, handelt, lebt nicht an der Wirklichkeit vorbei. Die alte Liebe zum alten Moskau trieb den Bürgermeister dazu, in seinem Buch Moskau - Meine Stadt vor allem „über Mühen und Freuden bei der Umgestaltung Moskaus zu einer blühenden Landeshauptstadt“ zu sprechen. Dieses stupide Amtsrussisch ist an sich nicht der Stil des Mannes, der in einem Moskauer Hinterhof aufwuchs, den er für den besten Ort der Welt hielt. Wenn der Oberbürgermeister dem Moskauer Hof-Jungen nicht den Mund verbietet, haben die Erinnerungen das Persönliche, das die Leser locken kann, sich mit den Geschicken und Mißgeschicken der 850jährigen Stadtgeschichte zu beschäftigen. Der Autor stellt fest, daß alle bisherigen Epochen die Stadtentwicklung auch immer wieder gebrochen und unterbrochen haben und das Ergebnis von Unterdrückung und Widerstand gegen Unterdrücker sind. Moskaus Selbständigkeit und Souveränität, sagt das Stadtoberhaupt selbstbewußt, hat eben erst begonnen.- Die Rivalin St. Petersburg wird“s mit Grausen hören!

Lushkows Buch ist eine bunte Mischung aus Autobiographischem, Geschichtsschreibung, Zukunftsprogramm. Private Hoffnungsäußerungen stehen neben Reden eines Laienhistorikers und großsprecherischen Planungen eines Zukunftsstadtstrategen. Der Verfasser vergißt nicht, alles zu tun, damit die Ära Lushkow tatsächlich eine Lushkow-Ära wird. Die ist nur gesichert, wenn auch reichlich über Getanes und zu Tuendes geredet wird. Das versäumten die Vorgänger im Amte, hat Juri Lushkow schnell gelernt. Insofern ist Moskaus ambitionierter mächtiger Mann schon einen guten Schritt weiter. Er hat der ganzen modernen Welt erzählt, wie er Moskau modernisiert. Das wird aufbewahrt für alle Zeit. Wird man ihn auch daran messen? Verunsicherten Interessierten sei versichert: Lushkows „Memoiren“ sind nicht die eines Moskauer Großmauls!


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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