Eine Rezension von Hans-Rainer John

 

Eine Idylle am Nil, gefährdet von Intriganten

Christian Jacq: Ramses - Der Sohn des Lichts

Deutsch von Annette Lallemand.
Wunderlich Verlag, Reinbek 1997, 446 S.

 

Wieder einmal der Versuch, Wissenschaft und Kunst, Historie und Literatur miteinander zu verbinden, und wieder einmal das Ergebnis, daß auf beiden Gebieten nicht Optimales erreicht wurde und der anspruchsvollere Leser Abstriche machen muß: Vereinfachungen und extreme Freizügigkeit im Umgang mit Geschichte auf der einen Seite, Schwarzweißzeichnung der Figuren und ihrer Gedankenwelt ohne differenzierte Charakterisierung auf der anderen. Es muß trotzdem nicht erstaunen, daß der Verlag mitteilen kann, dem Roman sei auf Anhieb ein Sprung an die Spitze der französischen Bestsellerlisten gelungen: Das Buch ist in einer sorgsamen Sprache verfaßt, und die Handlung, gut aufgebaut, enthält viele spannungsreiche Episoden. Ein Abenteuerbuch, ein bißchen eindimensional und didaktisch, wie für Jugendliche geschrieben.

Auf diesem Wege für Geschichte zu interessieren - vielleicht ist auch das kein zu unterschätzendes Verdienst, sei es um den Preis des Einbüßens an Realismus. Der Autor Christian Jacq, geboren 1947 in Paris, promovierte in Ägyptologie an der Sorbonne und gründete im Zuge seiner Forschungen das „Institut Ramsés“, das sich insbesondere der Erhaltung gefährdeter Baudenkmäler der Antike widmet. Was Wunder, daß er seine Kenntnisse und Erfahrungen nicht nur in Beiträge zur Fachliteratur, die einen engbegrenzten Kreis erreichen, einfließen lassen wollte. Der Roman schien ihm offenbar das Genre, mit dem eine große Leserschaft erreichbar war, eine populäre Darstellung vorausgesetzt. Das ist ihm offenbar gelungen.

Als Gegenstand wählte er natürlich den politischen Höhepunkt, die Glanzzeit der ägyptischen Geschichte, mit Ramses II. (1290-1224 v. Chr.) im Mittelpunkt. Ramses gelang es nicht nur, fast die gesamte alte Reichsausdehnung wiederzugewinnen, er veranlaßte auch viele bedeutende Bauten, die bis in die Gegenwart bewundert werden und die von der Unsterblichkeit der Pharaonen künden (aber auch vom Leid ungezählter Menschen, die diese Anlagen errichten mußten): das Ramesseum (der Totentempel des Ramses), die Felsentempel von Abu Simbel (1964-68 auf Kosten der UNESCO in Blöcke zerlegt und 65 Meter höher wieder aufgebaut, da sie sonst im Stausee von Assuan versunken wären), die Säulenhalle von Karmak, den Tempelhof von Luxor.

Im ersten Band Der Sohn des Lichts behandelt Jacq Jugend und Reifeperiode, die Zeit zwischen dem 14. und 23. Lebensjahr. An der Spitze von Staat und Priesterschaft steht zu dieser Zeit unumstritten Sethos I., ein kluger Herrscher, bedacht auf Gerechtigkeit, Wohlstand und Frieden. Er entwickelt und prüft Ramses, seinen Zweitgeborenen, unmerklich über viele Stationen, macht ihn mit allen Lebensbereichen des Ägypterreiches bekannt, führt ihn in den Glauben seiner Ahnen ein. (Das hat der Autor sehr geschickt arrangiert: Indem sich der Leser mit Ramses identifiziert, wird er, ohne belehrt zu werden, im Rahmen einer spannenden Handlung mit dem Leben im damaligen Ägypterstaat vertraut gemacht.) Nachdem sich Sethos von der Reaktionsfähigkeit und Lauterkeit, von Mut und Entschlossenheit seines Sohnes überzeugt hat, ernennt er ihn im Alter von 18 Jahren zum Regenten und Thronanwärter. Bis dahin war sein Erstgeborener, Chenar, als sein Nachfolger bestimmt gewesen. War es schon da zu Unstimmigkeiten zwischen den Geschwistern gekommen, so nehmen die Ränke nun zu. Natürlich will Chenar den Bruder verdrängen, ja am liebsten beseitigen, und auch Dolente, die Schwester der beiden, und deren Mann, Sary, treiben ein übles Spiel, um ein möglichst großes Stück vom Kuchen abzubekommen. Unauffällig werden Freunde und Bündnispartner angeworben, wird ein dichtes Netz für die Machtübernahme gesponnen, wird Ramses isoliert. Der indes pflegt herzlichen Kontakt zu früheren Schulfreunden, umgibt sich mit treuen und wachsamen Tieren, hängt ehrfürchtig dem Vater an, erliegt der Leidenschaft der schönen Iset, verliebt sich in die ebenso schöne, aber weit klügere Nefertari (die eine wird Neben-, die andere Hauptfrau, was ja auf Dauer nicht gutgehen kann), lebt sorglos und heiter in den Tag hinein - da stirbt nach 15 Jahren Regentschaft der verehrte Pharao. Die siebzig Trauertage, in denen das gesellschaftliche Leben im Lande ruht, nutzt Chenar für den Aufstand.

Wie Ramses aus der Trauer erwacht, die Macht ergreift, mit den Intriganten abrechnet und 43 Jahre lang über Ägypten herrscht, wird Gegenstand des zweiten Bandes, Der Tempel der Ewigkeit, sein. Zu hoffen ist, daß dann auch der Machtfaktor Priesterschaft ins Spiel kommt, daß nicht nur von des Ramses Siegen, sondern auch von seinen Niederlagen (zum Beispiel beim Versuch, die Hethiter aus Nordsyrien zu verdrängen) die Rede ist, daß nicht nur seine gewaltige Bautätigkeit gepriesen, sondern auch dargestellt wird, wie er dabei die Kräfte seines Reiches überfordert. Denn im ersten Band tendiert Jacq dazu, undialektisch alle Widersprüche auszusparen.

Sethos und seine Ehefrau Tuja sind da das ideale Herrscherpaar, Übermenschen ohne Furcht, Schwächen und Tadel, edel und gerecht, gesegnet mit überirdischen Kräften und Eigenschaften. Sie herrschen gänzlich unangefochten, das ganze Volk bringt ihnen nur Liebe und Verehrung entgegen, ihre Anwesenheit wird von jedem als Gnade empfunden, nur Amtsträger fürchten die strenge Kontrolle. Sethos vor allem spricht vor lauter Würde nur in Lehrsätzen zum Mitschreiben. Und Ramses ist natürlich schön, stark, groß und kräftig, geschickt und gelehrsam, selbstlos und begabt mit einem tiefen Gefühl für sein Land und die Natur, für Mensch und Tier. Chenar dagegen, der Intrigant, ist nicht nur machtgeil, sondern auch dick, häßlich und feige. Selbst seine Bestrebung, Krieg durch die Entwicklung von Handel und Wirtschaftsbündnissen überflüssig zu machen, wird vom Autor sofort mit negativer Bewertung belegt. Natürlich ist auch Dolente unförmig und unschön und hat ständig mit fettiger Haut zu kämpfen.

Auch wird das Leben in Ägypten wohl allzu idyllisch geschildert. Die Natur ist zauberhaft, reich und spendabel, alle Bauern, Handwerker, Soldaten und Händler sind wohlhabend und zufrieden, die Frauen selbstbewußt und frei (während sie in dieser Zeit in Griechenland angeblich hinter den Gittern der Frauenhäuser mit verhüllten Gesichtern vegetieren und sich den Männern nur unterwürfig nahen), Sklaven gibt es offenbar überhaupt nicht. Ist das möglich? Zerstörten nicht Handel, Kriege und Besitzungleichheit die alte Sippenordnung, und schufen sie nicht den frühesten despotischen Klassenstaat? Waren nicht Haus- und Feldsklaven üblich, und war nicht überhaupt die Lage der arbeitenden Schichten durch Frondienste angespannt? Wer schuf denn den Reichtum, wer ermöglichte die Üppigkeit, in der die Oberschicht auch laut Jacq schwelgte? Und was die paradiesische Natur angeht, da fehlt jeder Hinweis auf die undendlichen und entbehrungsreichen Bemühungen, das fruchtbare Land durch ständige Verbesserung des Bewässerungssystems mittels Schöpfwerken, Staubecken, Wasserhebevorrichtungen, Kanälen, Dämmen, Überflutungsbecken, Teichen und künstlichen Seen der Wüste abzuringen.

Dichterische Freiheit ist wohl auch, daß der Autor eines Tages, so um 1270 v. Chr., die schöne Helena mit ihrem Gatten Menelaos, begleitet vom Dichter Homer, aus dem Trojanischen Krieg heimkehrend, in Ägypten anlanden läßt. Anfänglich soll nur die Flotte repariert werden, später bilden die Griechen, zum Bleiben eingeladen, eine Kolonie, und am Ende verbündet sich Menelaos mit Chenar zum Aufstand gegen Ramses. Historiker gehen davon aus, daß der Trojanische Krieg 1194-1184 v. C. stattgefunden und Homer unter Umständen 750-650 v. Chr. gelebt haben könnte. Eine Begegnung mit Ramses ist also unwahrscheinlich, aber warum soll ein Romancier sich daran stören? Ein Vor- oder Nachwort, eine Fußnote oder ein Kommentar sollte aber doch wohl, scheint mir, seine Schaffensmethode umreißen. Hat der Leser nicht das Recht zu erfahren, was als historisch gesicherte Wahrheit betrachtet werden kann und wo die schriftstellerische Fiktion beginnt?


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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