Eine Rezension von Heinrich Buchholzer

 

... kleine Negerlein

Ken Follett: Der dritte Zwilling

Aus dem Englischen von Wolfgang Neuhaus, Lore Strassl und Till R. Lohmeyer.
Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1997, 542 S.

 

Auf dem international seit Jahren von US-Autoren dominierten weiten Feld des Spannungsromans, alles- und nichtssagend auch als Thriller bezeichnet, behauptet sich der Engländer Ken Follett schon ein Jahrzehnt. Sein Erstling und Welterfolg, Die Nadel (1978), wurde mit Donald Southerland verfilmt. Stoffe, Schauplätze und Zeiten der Handlungen der nachfolgenden Bücher wechselten. Die Säulen der Erde ist eine Art historisches Epos aus dem Mittelalter. Ganz anders Nacht über den Wassern, als deutsche Ausgabe ebenfalls bei Lübbe erschienen, bildkünstlerische sehr gut ausgestaltet - hier spielt die Handlung im Sommer 1939 an Bord des legendären Pan-American-Flying-Clipper. Nun, in seinem zehnten Buch, hat sich der Autor eines brisanten Themas bemächtigt, das im Heute angesiedelt ist: Menschen werden geklont. Was beim englischen Schaf Dolly gelungen ist, die Schaffung von identischen Lebewesen, könnte auch mit dem Homo sapiens passieren - die wissenschaftlichen und labortechnischen Voraussetzungen dürften jedenfalls gegeben sein. Follets Buch warnt davor, es zu versuchen.

Die Handlung spielt in den USA der 90er Jahre. Der genetische Sündenfall aber liegt bereits zwei Jahrzehnte zurück. Er konnte bisher geheimgehalten werden. Follett versetzt damit die Geschichte ins Unwahrscheinliche und bietet andererseits dem Leser die gruslige Überlegung an, dies könnte vielleicht doch möglich sein oder buchstäblich schon morgen Realität werden: Unter dem Patronat der US Army sind in einem Krankenhauslabor aus der Samenzelle eines Mannes und der Eizelle einer Frau mehrere eineiige Lebewesen hergestellt und anderen Frauen implantiert worden, die nach neun Monaten je ein Kind geboren haben. Jede Mutter war und blieb in dem Glauben, es sei das eigene eheliche Kind. Die Möglichkeit für diese üblen Experimente wurde bei der klinischen Behandlung von Frauen geschaffen, die Empfängnisprobleme hatten und deshalb angeblich Hormone verabreicht bekamen. Auch die Ehemänner, sämtlich Offiziere, glaubten den Schwindel und fühlten sich seither als Väter. Ken Follett hat die haarsträubende Story mit großem Geschick wasserdicht gemacht - alles ist plausibel, für Zweifel an der Logik bleibt kein Raum. Die Meisterschaft des Autors liegt nicht darin, ein Thema aufgegriffen zu haben, das im Grunde darstellungsreif war. Sie liegt vielmehr darin, komplizierte Vorgänge, die noch dazu einen zeitlichen Abstand von zwanzig Jahren haben, verständlich und spannend zu schildern, ohne sie zu simplifizieren. Wo manch anderer Autor seitenlange populärwissenschaftliche oder pseudowissenschaftliche Erläuterungen braucht (und damit den Leser nur verwirrt und langweilt), benötigt Follett ein paar Sätze oder kurze Absätze für die vereinfachte und doch fachlich einwandfreie Aussage.

Wie in einem Film laufen die Handlungsstränge zeitlich fast parallel, die Szenen wechseln einander ab. Follett verzichtet auf extensive Rückgriffe in die Vergangenheit. Was den nichtsahnenden Frauen vor zwei Jahrzehnten angetan wurde, die Übertragung fremden Lebens in ihren Schoß, ergibt sich fast nebenbei aus Gegenwärtigem, aus Tatsachen, Überlegun gen, Ahnung und schließlich Gewißheit der beiden Hauptpersonen, einer mit Zwillingsforschung betrauten jungen Wissenschaftlerin und einem der jungen Männer, die aus der Retorte kamen. Drei gutbetuchte Bösewichte, die damals jene Klonerei in Szene gesetzt haben, werden nervös, als das erste Zipfelchen Wahrheit ans Licht kommt, und ergreifen mörderische Gegenmaßnahmen.

Sein bester Kunstgriff gelangt Follett, indem er die geschätzten Leser bis etwa zur Buchmitte im Glauben läßt, es handele sich nur um Zwillinge, nämlich um einen jungen Mann, der zügellos ein Verbrechen begeht, aber nicht erwischt wird, und um einen zweiten, der genauso aussieht wie der Verbrecher und deshalb verhaftet wird, jedoch nicht der Täter ist. Seine Unschuld aber kann er gegen das erdrückende Indiz völliger Identität mit dem Verbrecher zunächst nicht beweisen.

Als sich dann herausstellt, daß weder der eine noch der andere junge Mann der Täter sein kann, läßt Follett seine erste Katze aus dem Sack, (auf die man eigentlich schon wegen des Buchtitels hätte kommen können): Es gibt offenbar d r e i identische junge Männer. Der unschuldig Verdächtigte, gegen Kaution noch auf freiem Fuß, macht nun Jagd auf den dritten Mann, den wahrscheinlichen Täter, und zwar mit Hilfe ebenjener jungen Wissenschaftlerin, die sich vor allem mit dem Sozialverhalten eineiiger Zwillinge beschäftigt. Indem sie den weit zurückliegenden ungeheuerlichen Vorgängen Schritt für Schritt auf die Spur kommt, wird sie für die Kloner zur Gefahr und selbst zur Gejagten.

Gegen Ende der mit steigender Spannung und unverzichtbarer Erotik versehenen Geschichte springt eine zweite Katze aus dem Sack, die man nun wirklich nicht erahnen konnte; aber dies soll hier nicht verraten werden. Nur soviel, die Klone sind die Nullserie der von den Bösewichten gewünschten weißen Herrenrasse. Die Absicht formuliert der Spiritus rector der Dreierbande: „Perfekte Kinder für die Mittelklasse und Sterilisation für die Armen. Wir könnten damit beginnen, das rassische Gleichgewicht Amerikas wiederherzustellen. Das war immer unser Ziel schon seit den Anfangstagen.“ Und das naheliegende Argument, die Armen würden sich auch künftig schneller vermehren als die Reichen, wird gekontert mit dem Hinweis auf die Möglichkeiten, die sich einer der drei Rassisten ausrechnet: Mit den aus Genforschung und Privatkliniken profitierten Millionen kann er die nächsten Präsidentschaftswahlen gewinnen, zum mächtigsten Mann der USA werden. Dann will er die weiße Mittelklasse durch Einführung eines pauschalen Einkommensteuersatzes von zehn Prozent ökonomisch stärken und zugleich für alle Frauen, die von der Fürsorge leben, zwangsweise empfängnisverhindernde Injektionen einführen.

Follett läßt offen, ob der vom Willen zur Macht getragene künftige Übermensch-Präsident etwa Nietzsche gelesen hat. Das braucht er ohnehin nicht, da die Herrenmoral in den USA ihre eigenen Wurzeln hat. Die inzwischen fündig gewordene junge Wissenschaftlerin faßt die Strategie der Kloner so zusammen: „Die Zucht des perfekten Amerikaners: intelligent, aggressiv und blond, eine Herrenrasse.“ Dafür wurden aus dem Reservoir der Army, die ja an so beschaffenen Soldaten interessiert ist, zwei nichtsahnende Musterexemplare ausgesucht. Sie lieferten die Samen- und die Eizelle. (Bei der Aktion „Lebensborn“ der Nazis mußte man sich noch auf die natürliche Einzelherstellung beschränken.)

Neben diesem Ausblick, für den sich wohl mancher Besserverdienende in den USA (und nicht nur dort) erwärmen könnte, bringt Follett noch einen interessanten Aspekt ins Spiel. Er läßt den Leser an Überlegungen zum Einfluß von genetischem Erbe, sozialem Umfeld und Erziehung auf die Entwicklung von Kindern teilhaben. Was, so wird im Laufe der Handlung gefragt, bestimmt vorrangig die Natur eines Kindes, sein späteres Verhalten, seinen Lebensweg? Antworten werden allerdings nur angedeutet, die Phantasie des Lesers ist gefragt. Tatsächlich haben sich trotz gemeinsamer Gene die Klone völlig unterschiedlich entwickelt. Da diese Phänomene lediglich kurz mitgeteilt werden, ist die Substanz des Buches in dieser Hinsicht etwas mager. Aber Follett wollte ja kein wissenschaftliches Werk über mögliche Verhaltensmuster nicht existenter Klone schreiben, sondern einen Unterhaltungsroman. Der ist ihm - wieder einmal - trefflich gelungen. Und noch dazu mit so ernstem Hintergrund.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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