Eine Rezension von Andreas Fritsche

 

Ironische Berichte von unterwegs

Rudi Bentzien: „Jonas, erzähl mal von Paris“

verlag am park, Berlin 1997, 222 S.

 

Rudi Bentzien ist Berliner und hat den Beruf eines Journalisten erlernt. Und was tun Journalisten mit Vorliebe, wenn sie in die Jahre kommen? Sie erzählen ihre Lebensgeschichte, schreiben ihre Autobiographie. Das ist es, wonach sich der vielgescholtene und doch so notwendige Berufsstand zu sehnen scheint, wenn die sonnigen Tage vorbei sind und man sich mit ein bißchen Herbstsonne begnügen muß. Rudi Bentzien ist trotz allem Anschein keiner von diesen, denn ihn hat das Fieber literarischer Betätigung schon viel eher gepackt. Sicher, seine Reportagebücher, die ihn in der DDR bekannt machten, tragen noch einen gewissen journalistischen Charakter. Auch sein bekanntestes, der John-Lennon-Report von 1989. Aber sich auch einmal literarisch zu profilieren, für die Ewigkeit oder wenigstens für die nächsten Jahre, anstatt immer nur für den nächsten Tag zu schreiben, das hat ein Rudi Bentzien nicht mehr nötig. Darum hat er auch keine Autobiographie geschrieben, sondern eine Vielzahl heiterer Anekdoten aus dem Journalistenleben, die er auf neun Kapitel verteilt und zu einem Roman verknüpft.

Der Journalist Rudolf Druse, der in den siebziger Jahren mit seinem Fahrer Jonas auf Reportagefahrten für die Zeitschrift „Frohe Zukunft“ durch die ganze DDR reist, bekommt bei der ersten Begegnung von seinem Fahrer die tollsten Geschichten zu hören, deren Gipfel die Behauptung darstellt, Jonas wäre in Paris gewesen. Jonas will in Paris an allen möglichen anrüchigen Orten gewesen sein. Rudolf möchte lieber etwas über den Louvre hören, in dem Jonas natürlich nicht war. Gemeinsam fahren sie dorthin, wo Radeberger Bier gebraut wird, dorthin, wo die FKK-Anhänger leider keine 12 Bücher im Reisegepäck haben, was Jonas nicht verwundert, auch den Leser nicht, um so mehr aber Rudolfs Chefredakteur. „Ich hatte den Auftrag, eine Umfrage unter Wochenendurlaubern abzuhalten. Mein Chef lebte mit der fixen Idee, daß alle Menschen überall und zu jeder Zeit lesen müßten. Meine Umfrage sollte den Beweis erbringen, daß jeder Wochenendurlauber mindestens ein Dutzend schöngeistiger Bücher mit sich führte. Mein Chef hielt das für selbstverständlich, denn zu jener Zeit befanden wir uns gerade auf dem Weg zur gebildeten Nation.“

In diesem Stil geht es weiter. Die einzelnen Kapitel des Buches sind in sich relativ geschlossene Erzählungen, voller Anspielungen auf die damalige Politprominenz, reich an Komik, die immer dann entsteht, wenn die ideologischen Vorgaben aus dem Überbau auf die Sorgen, Freuden und Denkweisen aus der Basis - in diesem Falle der Leserschaft der Zeitschrift - treffen. Thematisch angehängt sind die einzelnen Kapitel an je eine Reportage, die Rudolf und Jonas über Land und in die Provinz führen. Insofern ist der Roman ein Berlin-Roman, als sich in Berlin das Auge des Taifuns befindet. Von hier geht alles aus, hier ist das Zentrum. Es ist eine Stärke des Romans, daß er dabei die alten Vorurteile über die Provinz nicht bestätigt, keine billigen Kalauer macht, wo sonst kaum eine Möglichkeit des ironischen Seitenhiebs ausgelassen wird. Die Sichtweise aber ist die eines Berliners, das wird auf jeden Fall jedem Rucksack-Berliner, jedem Zugezogenen aus den Winkeln des Landes, die man hierzulande - also in Berlin - für die Verträumten hält, sehr schnell klar werden.

Ein Buch voll toll-witziger Erfindungen und voller kleiner Auflehnungen, die die Auflehnenden für tolldreiste Streiche halten, so denkt man. Aber nein, der Roman ist ja ein autobiographischer Roman. Sozialistische Realsatire im Gewand eines fiktionalen Stils. 148 Seiten, die ein Lesevergnügen auf hohem Niveau gewährleisten. Leider ist das Buch an dieser Stelle nicht zu Ende. Nachdem Jonas und Rudolf fast überall in der DDR waren, treffen sie sich Anfang der neunziger Jahre in St. Petersburg wieder. Rudolf Druse, vorher immer ein unverbesserlicher „Ironiker“, ist jetzt nur noch ein Unverbesserlicher. Das Recht seiner Trauer um ein Land, das ihm immer wieder Knüppel zwischen die Beine werfen wollte, ihm aber auch ermöglichte, voller Lebenslust diesen Knüppeln auszuweichen, bleibt der Gestalt Druse natürlich unbenommen. Das Bedauern jedoch, daß Gorbatschow nicht durch einen Militärputsch rechtzeitig gestürzt wurde, zu offensichtlich, der Einspruch, Stalin habe Millionen Menschen das Leben gekostet, zu halbherzig.

Fazit: Alles, was nach der Seite 148 folgt, ignorieren samt dem Klappentext, der uns einreden will, es gehe bei dem Buch um Jonas, wo sich doch alles nur um Druse dreht, und mit den vorangehenden 148 Seiten nebst der schönen Illustration auf dem Titel (übrigens für mein Empfinden ein Herbstmotiv) seinen Heidenspaß haben.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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