Annotation: Belletristik

Ransmayr, Christoph:
Der Weg nach Surabaya

Reportagen und kleine Prosa.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1997, 240 S., 14 Fotos

Der Österreicher Ransmayr (43) war nach seinem Studium in Wien zunächst als Reporter und Kulturredakteur tätig. Erst nach Erscheinen seiner Romane Morbus Kitahra, Die Schrecken des Eises und der Finsternis und Die letzte Welt wurde er zu den wichtigsten deutschsprachigen Schriftstellern der jüngeren Generation gezählt, in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt und mit Literaturpreisen überschüttet (Anton-Wildgans-Preis 1990, Großer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste 1992, Franz-Kafka-Preis 1995, Franz-Nabl-Preis 1996, Europäischer Aristeion Literaturpreis 1996). Was Wunder, daß er - solcherart bekannt geworden- den Wunsch verspürte, auch einige seiner Anfängerarbeiten mögen in einem Leinenband aufgehoben werden. Er wählte die zehn wichtigsten seiner Zeitungsreportagen (1979-1989) aus und fügte ergänzend sechs literarische Miniaturen aus den Jahren 1989 bis 1996 hinzu. Nun kann man auch die schriftstellerische Entwicklungsgeschichte verfolgen, den Aufbruch eines Autors in den Ruhm.

Zweifellos hat Ransmayr einen strengen Maßstab bei der Auswahl angelegt - denn was in dem Band zu lesen ist, atmet bereits Meisterschaft. Die Reportagen sind auch nach vielen Jahren noch lesenswert, weil er stets zum richtigen Gegenstand greift und ihn durch eine prägnante Situation oder durchgehende Handlung interessant macht. Er recherchiert sorgfältig, vermittelt viele Fakten, bewahrt sich einen kritisch-sezierenden Blick und bedient sich eines anspruchsvollen Stils.

Da berichtet er vom mühsamen Leben auf der Hallig Hooge, einer weitläufigen, eingedeichten Wiese mitten im Meer, anderthalb Fährstunden vom nordfriesischen Festland entfernt. Es sind nicht die Sturmfluten, die den Bewohnern drohen, dagegen gibt es Leitdämme, Deiche, Werften, es sind die Ölbohrungen, die Tankerreinigung auf See, die Dünnsäureverklappung, die zwanzig Seemeilen vor Hooge das Meer zur Giftbrühe machen, und es sind die Scharen von Sommergästen, unter deren Getrampel die Hallig zugrunde geht. Köstlich parodistisch ist der Bericht von der Wallfahrt einer österreichischen Reisegruppe zur letzten Kaiserin Europas im Johannesstift von Zizers bei Chur, zu Zita, der Witwe von Karl I. Zwar hat die Nationalversammlung schon 1919 beschlossen, alle Herrscherrechte und Titel des Hauses Habsburg-Lothringen aufzuheben, die ehemaligen Träger der Krone und Mitglieder des Hauses des Landes zu verweisen und ihr bewegliches und unbewegliches Vermögen zu enteignen, aber die monarchistische Sehnsucht ist wohl unbezwinglich. Vom Standpunkt des Republikaners aus attackiert Ransmayr kräftig die rückwärtsgewandte Attitüde.

Aufschlußreich ist auch der Report über den dreißig Jahre währenden Bau der Staumauer von Kaprun, der zugleich österreichische Geschichtsschreibung kritisiert: Gern spricht man über die in den dreißiger Jahren entstandenen Großkraftwerkspläne und Versuchsbauten. Der düsteren Bauphase während des Krieges erinnert man sich lieber nicht; wurde sie doch ausgelöst durch einen Herrn Göring und realisiert mittels Gefangenen- und Zwangsarbeiterlagern auf den Almen, von denen man die Leichen karrenweise herabfuhr. Entkräftung, Lawinen, Steinschlag und Erdrutsche dezimierten die Reihen der Russen, Polen, Tschechen und Jugoslawen. Erst die Nachkriegszeit erhält wieder Glanz. Kriegsgefangene Österreicher unter amerikanischer Bewachung, zur Zwangsarbeit verurteilte Nazis, Heimkehrer, Heimatlose, Ausgebombte, Vertriebene und Flüchtlinge vollendeten das Werk.

Eine Reportage untersucht mittels Recherchen in unterschiedlichsten Bevölkerungsteilen den Fernseh-Bedarf, eine weitere die Situation der alten, verlassenen Menschen in den Pflegeheimen. Interessant ist auch das Porträt des Totengräbers von Hallstatt. Am Hallstätter See dauert nämlich die ewige Ruhe aus Platzmangel höchstens zehn Jahre, dann werden die Gebeine am Friedhofsbrunnen gesäubert und in den Karner geschichtet. Die Schädel werden bemalt - Eichenlaub und Efeu auf die Stirne der Männer, Blütenzweige und Blumenkränze auf die Stirnen der Frauen. Daß der Totengräber auch Bilder malt, Skulpturen schnitzt oder aus Bronze gießt, Bücher verschlingt, wird toleriert, aber daß er sich mit Briefen und auf Versammlungen ins gesellschaftliche Leben einmischt, wo er doch ans untere Ende der bürgerlichen Ordnung gehört, geht vielen zu weit ...

Die literarischen Miniaturen, zur Hälfte waren es Dankreden bei Preisverleihungen, sind meist nur vier Seiten lang, trotzdem sind sie sowohl anschaulich und eingängig als auch hintersinnig. Der Weg nach Surabaya, der dem Band den Titel gab, ist nicht nur die sehr realistische Schilderung einer Lastwagenfahrt in Indonesien, sondern auch ein Bild der freundlichen Beziehung zwischen Autor und Lesern, die Ransmayr vorschwebt. Und „Fatehpur“ zeichnet das Porträt einer Stadt im Indien des 16. Jahrhunderts, in der der Mogulkaiser Akbar der Große Maler, Dichter, Musiker, Theologen und Philosophen versammelt und jeder Richtung und Meinung einen sicheren Platz bietet. Er setzt das Bilderverbot der islamischen Orthodoxie außer Kraft und stellt jedem Priester oder Prediger einer Lehre frei, die Götter, Geister oder Heiligen der jeweils anderen Lehre ungestraft in Zweifel zu ziehen. Leider geht die Geschichte nicht gut aus. Da es Streit gibt unter den Vertretern so vieler Wahrheiten und Bekenntnisse, befiehlt Akbar Schweigen. Er läßt ein neues Dogma verkünden: Die letzte Wahrheit liegt künftig allein bei dem Einzigen, bei Akbar, dem Unfehlbaren, Unbesiegbaren und Unsterblichen.

Sicher stehen nicht alle Beiträge auf dem Niveau der hier erwähnten, aber Anregendes findet sich genug, um die Herausgabe des Bandes zu rechtfertigen.

Hans-Rainer John


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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