Annotation: Belletristik

Abel, Kenneth:
Die Mauer des Schweigens

Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1997, 346 S.

Joey Tangliero wäre gerne erfolgreicher Komiker mit eigener Schau, gereicht hat es allerdings nur zur Mittelmäßigkeit, und somit blieb sein Traum unerfüllt. Dafür hat der mit schrägem Humor ausgestattete Bursche es zum Ganoven und Handlanger der New Yorker Mafia gebracht. An einem Donnerstag, zwölf Stunden nach seinem Debüt im Last Laugh Comedy Club in Garden City, Long Island, wird Joey „The Wiseguy“ Tangliero von Deputy Federal Marshall Claire Locke aus dem Kofferraum einer Lincoln Limousine befreit und in Schutzhaft genommen. Wenn schon nicht auf der Bühne, so will Joey Tangliero bei den Cops „singen“. Er will auspacken und sein Wissen über die Machenschaften der Mafia und der New Yorker Paten der Staatsanwaltschaft offenbaren. Als Lohn winken Straffreiheit, Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm der Regierung und eine neue Identität, um sich ein, hoffentlich, gefahrloses Leben irgendwo in der amerikanischen Provinz aufzubauen, so daß sein Traum vom gefeierten Bühnenstar vielleicht doch noch Realität werden kann. Seine Aussagen lassen nicht nur die Mitglieder der Mafia zittern, sondern auch eine erkleckliche Anzahl korrupter New Yorker Cops. Über 16 Millionen Dollar Mafiagelder sind in die Hände bestechlicher Ermittler aller New Yorker Polizeidistrikte geflossen, um die Empfänger blind gegen die Aktivitäten der „ehrenwerten Gesellschaft“ zu machen, aber auch, um selber den einen oder anderen unleidlichen Zeugen für immer verschwinden zu lassen.

Zur gleichen Zeit wird die Tochter von Alberto Cruz, ehemaliger Colonel einer Todesschwadron der Militärjunta von Guatemala City, aus dem Harlem River gefischt. Detective Dave Moser und Partner Ray Fielding versuchen, den Mord aufzuklären. Nicht ganz leicht im wurmstichigen „Big Apple“, wo augenscheinlich gänzlich verschiedene Dinge miteinander eng verzahnt sind. Besagtem Cruz sind neben der Tochter auch noch einige Millionen gewaschener Mafia-Dollar abhanden gekommen. Um die Suche nach dem Geld will sich Cruz mit seinen speziellen Mitteln selber kümmern. Hier nun treffen die drei Erzählstränge zusammen. Für Moser, Fielding und Locke wird wieder einmal zur Gewißheit, wer die Spielregeln im Sodom und Gomorrha der Gewaltverbrechen New Yorks bestimmen: die Mafia, Hand in Hand mit korrupten Detectives, die höchst effizient „die Mauer des Schweigens“ errichtet haben.

Kenneth Abel, Pseudonym eines russischen Einwanderers, ist in der Nähe von New Orleans aufgewachsen. Der Literaturwissenschaftler, der zur Zeit an der University of Exeter lehrt, erregte bereits mit seinem Debüt-Krimi Köder am Haken Aufsehen. Sein herausragender Erzählstil in Verbindung mit hartem und schnellem Vorantreiben der Handlung bürgt für Spannung pur und intelligente Unterhaltung. Schon jetzt lassen Kritiker den Newcomer Kenneth Abel als ebenbürtigen Spannungsautor neben James Lee Burke, Elmore Leonard, Tom Kakonis, Charles Willeford und anderen Größen der amerikanischen Kriminalliteratur gelten. Der Hardboiled-Krimi hat einen neuen Vertreter zu verzeichnen, dessen weitere Romane ihm schnell eine große Fangemeinde sichern werden.

Thomas Przybilka


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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