Rezension

 

Körperlichkeit als neue Machtform

Volker Caysa (Hrsg.): Sportphilosophie

Reclam Verlag Leipzig, Leipzig 1997, 336 S.

Die Sportphilosophie betrachtet sich als eine philosophische Teildisziplin; ihr Anspruch als selbständige philosophische Disziplin steckt noch in den Kinderschuhen. An der vorliegenden Textsammlung wird dies deutlich. Sie vereint pluralistisch die verschiedensten philosophischen Ansätze, den Sport zu betrachten, gedanklich auszuloten und stellt zudem angrenzende Bereiche, sportsoziologischer Art etwa, vor. Doch die Sportphilosophie mit ihren Schwerpunktthemen wie Sport und Ethik, Sport und Ästhetik sowie die Philosophie der olympischen Bewegung kann, obwohl noch jung als Wissenschaftsdisziplin, schon mit erstaunlichen Ergebnissen aufwarten. Dazu gehören die Anfänge der sportphilosophischen Betrachtungen aus den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts (unter anderem Max Scheler, Thorsten Veblen, Alfred Vierkandt) ebenso wie die Ernte sportphilosophischer Forschungen der zurückliegenden dreißig Jahre (zum Beispiel Elk Franke, Gunter Gebauer, Volker Gerhardt) oder die hintergründigen Gedankenwelten eines Theodor W.Adorno, Ernst Bloch, Karl Jaspers.

Herausgeber Volker Caysa hat mit seiner Sammlung keine Vollständigkeit angestrebt. Stattdessen wollte er thematische Akzente setzen, an ausgesuchten Beispielen auf den Wissensstand hinweisen und verdeutlichen, daß die Körperlichkeit mehr und mehr zur neuen Machtform der modernen Gesellschaft geworden ist. Caysa nennt den Sport im 20.Jahrhundert eine „identitätsstiftende Lebensform“. Drei „F“, so der Herausgeber, würden unsere Lebenswelt bestimmen: Fairneß, Fitneß und Fun. „Die Sportkultur ist eine Spaßkultur“, schreibt er in seinem Vorwort, „und umgekehrt. Fairneß und Fitneß werden selbstverständlich vorausgesetzt.“ Andererseits sei der Sport auch in eine „moralische Legitimationskrise“ geraten. Als Beispiele werden der Hochleistungssport mit seinen Dopingskandalen, Kinderausbeutung, Vermarktung durch das Fernsehen oder der „praktizierte Antidemokratismus des IOC“ (Internationales Olympisches Komitee) genannt.

Friedrich Ludwig Jahns Wunsch, der Sport sei „frisch, fromm, fröhlich, frei“, rief bei vielen Philosophen - wie hier nachzulesen - Skepsis hervor. „Es gibt keinen unpolitischen Sport“, schreibt etwa Ernst Bloch, „ist er frei, so steht er links, ist er verblendet, so vermietet er sich an rechts.“ Theodor W. Adorno schlägt in die gleiche Kerbe, wenn er sagt: „Der moderne Sport... sucht dem Leib einen Teil der Funktionen zurückzugeben, welche ihm die Maschine entzogen hat. Aber er sucht es, um die Menschen zur Bedienung der Maschine um so unerbittlicher einzuschulen. Er ähnelt den Leib tendenziell selber der Maschine an. Darum gehört er ins Reich der Unfreiheit ...“ Harsche Worte findet auch Thorsten Veblen, in dessen Aufsatz Sport als Restbarbarei in der Moderne unter anderem zu lesen ist: „Hinterhältigkeit, Falschheit und Einschüchterungsversuche nehmen bei jedem sportlichen Wettkampf ... einen festen Platz ein. Die übliche Verwendung eines Schiedsrichters und die genauen technischen Vorschriften, welche die Grenzen und Einzelheiten des erlaubten Betrugs und des strategischen Vorteils regeln, bezeugen den Umstand zur Genüge, daß betrügerische Praktiken und der Versuch, den Gegner zu übertrumpfen, keine Zufälligkeiten des Sports darstellen.“

Ein entgegengesetzter Gedanke findet sich bei Helmuth Plessner, der im Sport die einst gewünschte Ritterlichkeit durch das Wort Sportivität ersetzt haben möchte. Und er begreift Sportivität als „Kameradschaftlichkeit, freie Unterordnung unter die Gruppe, Pflege des Teamcharakters, Mut, Ausdauer, also Tugenden, die schon von jedem in Situationen kämpfenden Wettstreits erwartet werden können“.

Für Volker Gerhardt besitzt das Gesetzeswerk des Sports eine moralische Komponente: „Die Moral des Sports liegt ... in der aus eigener Einsicht und eigenem Antrieb erfolgten Garantie der Regeln durch mich selbst. Moralisch zu sein heißt damit im Sport nicht mehr und nicht weniger, als wirklich den Regeln entsprechend spielen zu wollen.“

Die zunehmende „industrielle Technologisierung des Körpers in unserer Kultur“ (Caysa) hat für den Sport unserer Tage eine radikale Bedeutung. „Fit und leistungsbereit zu sein“, heißt es dazu bei Wolfgang Kaschuba, „das gilt als moralische Pflicht und ethische Maxime zugleich - und wer das nicht begreift, dem hilft der Verweis auf die schärferen Anforderungen des Arbeitsmarktes buchstäblich auf die Sprünge.“

In dem vorliegenden Band wird also deutlich, wie die noch junge Sportphilosophie sich auseinandersetzt mit den verschiedensten gesellschaftlichen Mächten und Kräften, denen der Sport unterliegt, mit den Möglichkeiten des Sports, den einzelnen, die Gruppe, die Gesellschaft zu beherrschen und andererseits das Individuum durch ihn die Kraft findet, sich selbst zu begreifen und zu beherrschen. Und trotz vieler kritischer Stimmen ist an den vorliegenden Texten erkennbar: Die Sportphilosophie begreift sich nicht als Ankläger, sondern als Anwalt des Sports.

Klaus M. Fiedler


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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