Rezension

 

Der Literaturbetrieb ächzt

Hubert Winkels: Leselust und Bildermacht
Über Literatur, Fernsehen und Neue Medien.

Kiepenheuer & Witsch, Köln 1997, 283 S.

 

Noch gibt es sie, die Leser, genüßlich im stillen Winkel, ein Buch in der Hand. Und es gibt noch die Autoren, die dem Wunsch nach Leselust nachkommen. Und es gibt die Buchhandlungen, vollgefüllte Regale, Bücher über Bücher. Doch der Schein, auch der unverrückbare Augenschein trügt. Die Zeiten haben sich längst grundlegend geändert, und alles ist ganz anders. Hubert Winkels, Lesern von Büchern dadurch bekannt, daß er sie manchmal mit seinen Kritiken auf bevorstehende Lektüre einstimmt, bemerkt in der Einleitung zu seinem Buch Leselust und Bildermacht: „In einer Kultur, die sich lustvoll der Ideologie von Information und Aktualität unterworfen hat, gerät die Tätigkeit des Schriftstellers in eine Falle. Entweder er versucht, das Tempo der Reizumschlaggeschwindigkeit zu halten, und zelebriert sich und sein Schreiben als Ereignis. Oder er wendet sich, philologisch und historistisch herabgestimmt, dem bröckelnden Kanon der Überlieferung zu.“

So oder so, vielleicht liegt es bei manchen Autoren auch mittendrin, jedenfalls, meint Winkels, und er weiß es aus eigener Erfahrung zur Genüge: „Der ganze Literaturbetrieb ächzt unter dieser Alternative.“

Und sein ganzes Buch ist angefüllt mit Situationen, mit Beschreibungen, mit der minutiösen Darstellung von Inszenierungen, von Literatur und ihren Medienmachern im Fernsehen. Denn das Fernsehen, den meisten Zuschauern mag es bei so viel Mord und Krimi entgangen sein, mischt hier heftig mit. Hubert Winkels spricht von einer „mediengesteuerten Erlebnisgesellschaft“, die alles, was sich unterhaltsam zur Anschauung bringen läßt, vermarktet. Die Literatur selbst reagiert bereits auf diese Herausforderungen. Schon gibt es das Wort vom „Autorendarsteller“, also jenem Autor, der über den Rand seiner beschriebenen und gedruckten (auch der ungedruckten) Seiten hinaus öffentlich, auf Podien oder im Fernsehen zum Darsteller seiner Ideen wird. Hubert Winkels bleibt nicht bei der Beschreibung der sowieso bekannten Phänomene stehen, er versucht die lange Geschichte der Spaltung zu erkunden, die die Literatur selbst betrifft. Es ist dies die Unterscheidung zwischen unterhaltender und anspruchsvoll-seriöser Literatur selbst, worin er den Keim für viele Blüten der Gegenwart sieht.

Er entdeckt darin ein gewichtiges Stück Mediengeschichte und vertritt die Ansicht: „Die meisten Debatten, die in jüngster Zeit um die deutsche Literatur geführt worden sind, lassen sich von hier aus besser verstehen.“ Ein schlüssiger Erklärversuch, denn wer nach Publizität ruft, darf sich nicht wundern, wenn Erwartung und Geschäft, gereizt bis zur Entfesselung, deutlich als Furien nach vorn treten. Aber nicht nur in der Literatur und über sie entsteht ein Wirbel, der Taifun, immer auf Wirbel und Zerstörung bedacht, sitzt geradewegs inmitten der Literatur. Hubert Winkels: „Die deutsche Literatur wird zugleich seichter und subtiler. Dies ist die Trennlinie (Vermischungen oder Annäherungen immer eingeschlossen) des Metiers im Innern. Winkels sieht die beiden Tendenzen so: „Die forsche Anpassung ebenso wie die skrupulöse Widerständigkeit sind Fluchtbewegungen angesichts einer akuten und klar benennbaren Herausforderung.“ Die interne Spaltung der Literatur (sozusagen verteilte Arbeitswelten in der Sprachdienstwelt) „als Wirkung einer Medienentwicklung“, als Reaktion auf einen visuellen Exzeß.

Sicher befindet sich die Literatur (auch die bildende Kunst schon seit langem) an einem Scheitelpunkt. Sie kann, sobald es ans Erzählen geht, nur nach dem Fernsehen erzählen. Denn der Stoff, um den es seit Menschengedenken geht, ist täglich durchgehend in der Hand des Fernsehens. Was bleibt zu tun? Wie kann Literatur autonom bleiben? Wieder Hubert Winkels: „Doch bei sich selbst kann Literatur nur bleiben, wenn sie die a n d e r e Technik bewußt zum Bestandteil ihrer Arbeit macht. Dabei muß sie zugleich ihren tiefen Anachronismus und ihre aktuelle Randständigkeit nutzen.“

Wie dies zu machen ist, kann nur von den Autoren, so sie es wollen und können, geleistet werden. Dies zu zeigen ist auch nicht die Absicht dieser Untersuchung, die sich vor allem mit den kuriosen Entgleisungen auf dem Buch- und Medienmarkt beschäftigt. Allerdings unterläßt es Winkels nicht, sich mit der Situation des anspruchsvollen Lesers zu befassen. Denn er ist ja gewiß auch selbst einer. Der Leser, räumt er ein, ist einsam. Das ist zunächst nicht tragisch, auch nicht elegisch gemeint. Doch unter den heutigen Literatur- und Leseverhältnissen bekomme, so Hubert Winkels, dies doch einen tragischen Sinn: „Er ist im Stich gelassen. Wenn er nicht gerade professionell mit der schönen Literatur beschäftigt ist und in der entsprechenden Subkultur der Lehrer, Dozenten oder Kritiker heimisch, bleibt er allein mit seinen Erfahrungen. Gerade hier steigen die Macher vom Fernsehen ein. Sie vermitteln dem einsamen, unberatenen, austauschsüchtigen Leser Öffentlichkeit. Was dabei herauskommt, in diesem Buch wird es prägnant in vielen Kapiteln vorgeführt, ist den meisten Lesern längst bekannt: die „Unterwerfung unter TV-gerechte Rhetorik, Physiognomik und Gestik, Themenauswahl und Zeitökonomie“ kulminiert in regelmäßig ausgestrahlten Happenings, von denen das Mainzer Literarische „Quatschtett“ besonders wirkungsvoll agiert.

Der Leser, der solche Sendungen sieht, ist vielleicht schon derart vereinsamt, daß er kaum noch zu lesen imstande ist. Denn Umfragen haben ergeben, daß durch den Autor selbst gelesene Texte im Fernsehen gänzlich unerwünscht sind. Und tritt der Autor doch einmal mit seinen Texten auf, sei es Bühne oder Bildschirm, gleitet er, es werden Beispiele geboten, zumeist aus, macht seine parodistischen Faxen oder überbietet durch Gesichtsartistik sein geschriebenes Wort. Denn der Leser, der ehemalige und auch der nochmalige, ist ohnehin längst überreizt, lebt in der Flut der aufstachelnden Medien, solange er sich erwartungsvoll ihrer noch bedient. Abschalten wäre auch eine Alternative, doch die Gewöhnung und der Zwang gehen mit der nimmermüden Erwartung immer wieder einen dubiosen Pakt ein.

Was Hubert Winkels in seinem Buch innerhalb des Bereichs Wandlung der Mündlichkeit darstellt, ist bestaunenswert. Denn wer weiß, lesend in einem Winkel dieses Landes sitzend, schon, was in allen anderen Winkeln los ist. Er zitiert genüßlich einmal den Schrifttheoretiker Walter Ong, und der meint sehr sarkastisch: „Sekundäre Oralität befördert die Spontaneität, weil wir durch analytische Reflexion erkannt haben, daß Spontaneität eine gute Sache ist. Wir planen unsere Happenings sorgfältig, um sicher zu sein, daß sie von Grund auf spontan sind.“

Immer dachte ich, es gäbe nur dieses eine Literarische Kabarett. Doch Hubert Winkels führt eine schier unerkundliche Menge solcher Gewimmel an, daß ich aus dem Staunen nicht herauskomme. Er rettet sich, angesichts solcher Ideen-Krater, auch nur mit Sarkasmen, die, schlau bedacht, weitreichend für besonnene Leser (wo sitzen sie?) angelegt sind. Einmal meint er: „Medienpsychologisch gesehen spricht nämlich einiges dafür, daß die Sprechsituation vor dem Mikrophon und der Kamera zunehmend nicht mehr als eine sekundäre, gespielte und künstliche erlebt wird, sondern gleichsam zur ersten Natur geworden ist.“

Die Geister, die mit oder ohne Literatur über Bühnen und den Bildschirm flimmern, haben bereits die Tiefen unseres unabschaltbaren Bewußtseins erreicht. Aus „Bildermacht“ wird Bilder-Nacht, auch wenn der Apparat nicht eingeschaltet ist, „imaginiert man sich auf Sendung. Die Unterscheidung zwischen Dargestelltem und Darstellung wird ebenso brüchig wie die zwischen Akteur und Zuschauer, öffentlich und privat.“

Die Folgen werden hör- und sichtbar. Ein Autor beharrt auf seiner Maxime: „Ich schreibe so laut ich kann.“ Das kann vieles bewirken.

Dem Schluß dieser friedfertigen Besprechung nahe, sei nur erwähnt, daß es auch mal wieder um das Böse gehen kann, das momentan nicht allein der Darstellung wert ist, sondern auch der Untersuchung, auch der Erzählung, auch dem Essay anvertraut wird. Keineswegs ist das Gut-Böse-Geschrei, auch wenn in ihm noch der trotzige Aufschrei des Schriftstellers stecken mag, eine modische Erfindung der Medien. Doch mit Hilfe einer weltumspannenden Technik „kann jedes Element dieser Welt Teil einer medialen Konfiguration sein oder werden, vom Sandkorn in der Wüste bis zur chinesischen Mauer, von der menschlichen Körperzelle bis zum Brillenscharnier“ (Hubert Winkels).

Wie schön versöhnlich mit all dem Heckmeck kann da ein Zitat aus literarisch vergangenen Zeiten wirken, das der Autor einmal einem Kapitel (es ist betitelt „Entwurf für eine Welt ohne Menschen“) voranstellt. Es ist so wunderlich schön, daß es hier den Rückzug des Rezensenten aus diesem Medien-Gewusel einläuten mag, stammt aus Albert Ehrensteins Prosatext „Tubutsch“ und geht so: „Wenn man mich fragte, was ich gestern erlebt habe, meine Antwort wäre: Gestern? Gestern ist mir ein Schuhschnürl gerissen.“

Helmut Hirsch


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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