Rezension

 

Wenn Engel singen ...

Eva Ibbotson: Die Morgengabe

Aus dem Englischen von Mechthild Sandberg.
Goldmann Verlag, München 1996, 383 S.

 

Als der britische Professor Quinton Somerville, ein weltweit anerkannter Wissenschaftler, die Studentin Ruth Berger, eine Halbjüdin, Ende der dreißiger Jahre vor dem kommenden faschistischen Terror aus Wien rettet, ahnt diese überhaupt nicht, was alles auf sie zukommen wird.

Ruth ist nicht nur eine sehr begabte Studentin, sondern auch eine äußerst attraktive junge Frau, die einfühlsam ist und manchmal ausschließlich gefühlsmäßig reagiert. Auch das macht sie sehr symphatisch. Für Somerville ist sie eine faszinierende junge Frau, aber vor allen Dingen ist sie die Tochter des von ihm verehrten Professor Berger, der mittlerweile mit seiner Frau auch in London im Exil leben muß. Er will Ruth und ihrer Familie helfen.

Er geht mit ihr eine Scheinehe ein, um ihr die Ausreise nach London zu ermöglichen. Doch hier kommt sie in eine ziemlich verrückte Welt. Die Welthauptstadt London ist voll von Emigranten aus Deutschland und Österreich, und alle müssen sich irgendwie durchschlagen. Da gibt es den einstigen Heldentenor, der sich nun als Butler verdingen muß, einen Dichter, der nunmehr Kaffeehauskellner ist, eine Kunststudentin, die als Kammerzofe tätig ist. Auch Ruth muß sich zunächst als Kindermädchen verdingen. In London werden um diese Zeit im wahrsten Sinne des Wortes Schicksale durcheinandergewirbelt. Und Ruth ist in diesem nicht mehr zu übersehenden Trubel mittendrin.

Schließlich erhält sie durch Vermittlung einen Studienplatz an jener Universität, an der Professor Somerville lehrt, der sie aber eigentlich hier gar nicht will, denn er dringt auf die Scheidung. Und Ruth ebenso. Aber das alles stellt sich schwieriger heraus als einst gedacht. Außerdem hat Ruths Verlobter Heini, ein begnadeter Pianist, aus Wien seine Ankunft in London angekündigt, der hat von den bisherigen Verwicklungen und von der Scheinehe keine Ahnung.

Er wird in London bei seinen Konzerten begeistert gefeiert, insbesondere, wenn er Mozart spielt. Und die Autorin schreibt dazu sehr schön: „Wenn die Engel für Gott singen, dann singen sie Bach, aber wenn sie zur Freude singen, dann singen sie Mozart, und Gott lauscht heimlich.“

Auch die Beziehungen zwischen Ruth und Somerville werden immer komplizierter. Sie versuchen, sich aus dem Weg zu gehen - und mögen sich dennoch immer mehr. Und aus der Scheinehe wird nach vielen komplizierten und teils komischen Verwicklungen doch noch etwas, und zwar etwas sehr Schönes.

Eva Ibbotson hat mit Die Morgengabe einen einfühlsamen, sehr zärtlichen Liebesroman voller Wärme vorgelegt. Er besticht vor allen Dingen durch eine treffende Charakterisierung der Personen und durch eine sehr schöne Geschichte um eine Flaschenpost, die geschickt dann und wann immer wieder in den Roman eingewoben wird. Eva Ibbotson, in Wien geboren, kam 1933 nach England. Sie machte als Physiologin eine Wissenschaftskarriere und war nebenbei als Schriftstellerin tätig. Mittlerweile lebt sie als freie Autorin in Newcastle upon Tyne. Die Morgengabe ist ihr erster auf deutsch erschienener Roman und kam innerhalb kurzer Zeit in die Bestsellerliste in Deutschland.

Die deutsche Zeitschrift „Brigitte“ schrieb zu Recht: „Ein kluges und wunderbar leichtes Buch- mitreißend erzählt, so daß man es bis zu letzten Seite atemlos liest.“

Bernd Sander


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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