Rezension

 

Eine vergnügliche und bedenkenswerte Lektüre

Franz Fühmann: Prometheus - Die Zeugung

Hinstorff Verlag, Rostock 1996, 99 S.

 

1974 erschien im Kinderbuchverlag Franz Fühmanns Prometheus-Roman. Damals nicht möglich, aber heute schon denkbar: Man könnte den Roman dieses so unbequemen wie unbeugsamen Autors durchaus in der Schule behandeln. Gibt er doch ein grandioses Bild des griechischen Götterhimmels. Für Fühmann bildete er den Auftakt zu einem Projekt, das auf fünf Bände geplant war. Die vielschichtigen Gründe, warum sich Fühmann von ihm abwandte, sollen hier nicht erörtert werden. Um so verdienstvoller ist es, daß der Rostocker Hinstorff Verlag aus dem Nachlaß seines Autors nun doch einen weiteren Teil vorlegt: Prometheus - Die Zeugung.

Und das ist schon eine vergnügliche und bedenkenswerte Lektüre zugleich. Geht es doch nun um weitere Schritte der Menschwerdung in jenem kretischen Tal, wo die Geschöpfe des Titanen Prometheus erste Welterfahrung sammeln. Dabei ist ein Erzähler am Werk, der uns bedeuten will, wie fremd uns das Menschlich-Natürliche geworden ist. So sind die „Mätscher“ für die kluge Ziege Amalthea und ihre Kinder schon verwunderlich. „Die selbstverständlichsten Dinge des Daseins waren bei diesen Wesen geheimnisumwittert“, heißt es. Und erstaunt beobachten die Ziegen das sich liebende Paar. „Sie sprachen leise zueinander, und ganz unnützes Zeug und fortwährend dasselbe! Er sagte: ,Liebes!‘ und sie sagte ,Lieber‘ (das war ein Wort weder aus der Titanen- noch aus der Ziegensprache, das hatten sie eigens dafür erfunden!).“ Unter der Hand entsteht also auch ein munteres Aufklärungsbuch. Folgerichtig endet der Band mit der Aufregung um einen zu erwartenden neuen Erdenbürger.

Fühmann, der sich im Umfeld des Prometheus-Projekts mit den großen Mythen und dem „mythischen Element in der Literatur“ beschäftigte, verfocht damit freilich noch ein anderes Anliegen. Er wandte sich gegen eine politisch verengende Sicht auf den Menschen.

„Im Mythos“, schreibt er in seinem Tagebuch Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens, „ist immer der ganze Mensch da, auch als Geschlechts- auch als Naturwesen, aber nie auf diese reduziert.“ Diesen Disput weitet Fühmann in seinem Prometheus-Projekt noch in anderer Hinsicht aus. Schon sein erster Band hatte einen durchaus aktuellen Subtext, wenn er die Fragen von Macht und Machtmißbrauch diskutierte. Und so werden die wendeerfahrenen Altvorderen mit ihren lehrer- und elternerfahrenen Nachkommen bei der Lektüre des zweiten Bandes eine andere damit zusammenhängende Frage diskutieren. Baut doch der Titan einen „Schutzwall“, um seine Geschöpfe vor den Fährnissen der Welt zu bewahren. Aber es gibt Momente, wo er begreifen muß, daß sich selbst der „gutgemeinte“ Schutzwall und damit verbundene Glücksverheißungen als eine „Fessel“ erweisen. „Als Titan hätte er das nie erfaßt, er mußte erst ihresgleichen sein, um jene Freiheit zu begreifen, die sie brauchten, um sie selbst zu werden.“ Das wäre wohl ein Thema. All dies wird mit großer Freundlichkeit und heiterer Ironie besprochen und nicht in schwerem, bedeutungsschwangerem Ton. Das erhöht den Wert dieses Bandes, dem es auch an Spannung nicht fehlt. Ein kundiges Nachwort des Herausgebers Sigurd Schmidt und Selbstzeugnisse Fühmanns zu diesem Prometheus-Projekt bereichern das Ganze. „Hier sitze ich und forme Menschen nach meinem Bild“, sagt der Prometheus Goethes. Ein Satz, der mit Fühmannschem Hintergrund in neuem Licht erscheint. Heißt es doch in unserem Band Die Zeugung: „Erneut fand er (Prometheus, M.S.) seine bange Ahnung bestätigt. Seine Geschöpfe waren nichts als nur da und veränderten schon durch ihr bloßes Da-Sein die Welt rings um sich in einer unabsehbar bedrohlichen Weise.“

Martin Straub


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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