Rezension

 

„Ungehaltenes“ in einem großen künstlerischen Wurf

Christine Brückner: Wenn du geredet hättest, Desdemona.
Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen.

Mit Zeichnungen von Horst Jansen.
Ullstein Buchverlag, Berlin 1996, 208 S.

 

Die um drei neue Beiträge erweiterte Taschenbuch-Ausgabe bestätigt noch einmal, was für ein großer künstlerischer Wurf Christine Brückner mit ihren „ungehaltenen Reden ungehaltener Frauen“, 1983 erstmals im Hamburger Verlag Hoffmann und Campe erschienen, gelungen ist. Der poetische Einfall hat sich als äußerst produktiv und tragfähig erwiesen, und obwohl die Autorin sowohl auf theoretische Abhandlungen als auch kulturhistorische Exkurse verzichten kann, zählt das Buch zum Interessantesten, Lehrreichsten und Vergnüglichsten, das bislang über die Situation „ungehaltener Frauen“ in der Weltgeschichte geschrieben wurde. Offenbar konnte nur eine Frau - eine Schriftstellerin von Format, eine feinfühlige Psychologin und eine genaue Kennerin des Ehealltags - diesen originellen literarischen Ausflug in die europäische Geschichte seit der griechischen Antike wagen und das spezifisch Weibliche in vielgestaltigen Nuancen erfassen.

Die 14 „ungehaltenen Reden“ werden von Goethes Ehefrau Christiane in eigenwilliger Form eröffnet, und allein schon Titel, Auswahl der redenden Frauen, nicht zuletzt zeitgeschichtliche Abfolge der Wortmeldungen lassen Programmatisches erkennen: „Ich wär Goethes dickere Hälfte. Christiane von Goethe im Vorzimmer der verwitweten Oberstallmeisterin Charlotte von Stein“; „Wenn du geredet hättest, Desdemona. Die letzte Viertelstunde im Schlafgemach des Feldherrn Othello“; „Bis du sicher, Martinus? Die Tischreden der Katharina Luther, geborene von Bora“; „Vergeßt den Namen des Eisvogels nicht. Sappho an die Abschied nehmenden Mädchen auf Lesbos“; „Du irrst, Lysistrate! Die Rede der Hetäre Megara an Lysistrate und die Frauen von Athen“; „Triffst du nur das Zauberwort. Effi Briest an den tauben Hund Rollo“; „Wir sind quitt, Messieurs! Die Kameliendame an ,Marionette‘, ihre Kleiderpuppe“; „Eine Oktave tiefer, Fräulein von Meysenbug! Rede der ungehaltenen Christine Brückner an die Kollegin Meysenbug“; „Die Banalität des Bösen. Rede der Eva Hitler, geb. Braun, im Führerbunker“; „Kein Denkmal für Gudrun Ensslin. Rede gegen die Wände der Stammheimer Zelle“; „Die Liebe hat einen neuen Namen. Die Rede der pestkranken Donna Laura an den entflohenen Petrarca“; „Wo hast du deine Sprache verloren, Maria? Gebet der Maria in der judäischen Wüste“; „Die Reise nach Utrecht. Rede einer Ungeborenen“ und „Bist du nun glücklich, toter Agamemnon? Die nicht überlieferte Rede der Klytämnestra an der Bahre des Königs von Mykene“.

In seiner Struktur erinnert Christine Brückners Buch in manchem an Stefan Zweigs Sternstunden der Menschheit. Doch die Abfolge der im Doppelsinne „ungehaltenen Reden“ ist nicht chronologisch geordnet. Offenbar gehört das zum Konzept des Buches: den kulturgeschichtlichen Prozeß der Mann-Frau-Beziehungen seit Agamemnon und Klytämnestra mit seinen vorwärtsweisenden und retardierenden Momenten anhand von typischen historischen Beispielen in das Blickfeld zu rücken.

In 13 von 14 Fällen tritt Christine Brückner als Autorin konsequent hinter ihre „ungehaltenen Frauen“ zurück. Lediglich in einem Falle gibt sie sich mit eigenen Positionen offen zu erkennen: im Disput mit Fräulein von Meysenbug. So ist ein Essay über die Frauensituation 1848 und im ausgehenden 20. Jahrhundert entstanden - eine Art geistiger Zwischenbilanz über die Erkenntnisse des gesamten Buches, und sicher nicht umsonst wurde der Beitrag in der Mitte des Gesamttextes plaziert.

Ansonsten dominiert das künstlerische Vorgehen. Von den ersten Zeilen an wird sichtbar, daß Christine Brückner den literarischen Monolog als Kunstmittel meisterhaft beherrscht. So können sich die „ungehaltenen Frauen“ als beeindruckende, unverwechselbare historische Persönlichkeiten voll entfalten und auf spezifisch weibliche Weise handeln. Besondere Höhepunkte im Literarischen setzen mit ihren „ungehaltenen Reden“ Christiane von Goethe, Katharina Luther und - selbstverständlich - Effi Briest, Theodor Fontanes bekannteste Romanfigur. Die Zeichnungen von Horst Jansen fügen sich als adäquate Ergänzung des Textes harmonisch in das Buch ein und bereiten wie die Monologe Christine Brückners Genuß.

Klaus Ziermann


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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