Rezension

 

Von Uelzen bis Bacardien

Susanne Fischer: Kauft keine Frauen aus Bodenhaltung

Verlag Weisser Stein, Greiz 1995, 126 S.

 

Gegriffen hatte ich mir das Büchlein, weil mich die Karikatur auf der Umschlagseite geradezu ansprang und der Klappentext Kurzweil versprach. Wen interessiert es nicht, ob Schweine Käsegriller essen, bevor sie zu Käsegrillern verwurstet werden, oder was zuerst auf der Welt war - „das Mensch oder das Käsegriller? Oder doch das Schwein, oder aber bleibt just das bis zum Schluß, und alles andere war nur ein ausgedehntes Mißverständnis?“

Susanne Fischers satirische „Geschichten & wichtige Berichte“ führen uns in die „große Welt“, beispielsweise auf den Bahnhof Uelzen, der die Vorhölle, wenn nicht gar die Hölle selbst zu sein scheint - also Frau Fischer, ich muß schon sagen, wer fährt denn auch an einem kalten trüben Januartag mit der Bahn in eine Richtung, die unweigerlich über Uelzen führt. Ich würde das nie tun, und wenn, dann würde ich darüber nicht schreiben oder wenigstens so, daß die Uelzener sich nicht wiedererkennen. Haben Sie denn gar keine Angst vor Uelzener Racheakten? Überhaupt scheinen Sie eine Vorliebe für komplizierte Reisesituationen zu haben, wie mit dem überalterten Seelenverkäufer ins Auge des Orkans zu segeln, sich Silikonbusenfetischisten auszusetzen oder einen gewissen „Karsten“ mit einem kaputten Auto an einer Kreuzung in Tennessee herumwesen zu lassen, um dann selbst gleich hier um die Ecke (mit uns) in das Cabrio des Schnauzbartes zu springen, nicht ohne ihm vorher seinen Kotflügel verbeult zu haben. „Den vorderen linken, den er so liebt“.

Und damit kommen wir dann zum gemütlichen Teil der „kleinen Welt“, dem Hamburger Kiez, in dessen Rock-Szene man „hip und cool“ hineinkommt, aus Altersgründen aber schon nach relativ kurzer Zeit wieder herauswachsen muß. In Hamburgs Postämtern sorgen derweil wollmützbewehrte Omis für lange Warteschlangen, weil sie den von Natur aus muffligen, doch von Postamts wegen zur Höflichkeit gezwungenen Schalterbeamten in stundenlange Gespräche um einen einzigen Brief verwickeln, was die restlichen Kunden veranlaßt, das Postamt wieder zu verlassen, samt Frau Fischer. Aber hat die Autorin auch nur eine Sekunde daran gedacht, daß das quengelnde „Ömchen“ vielleicht mit der Post im Bunde ist, gegen Bares versteht sich, wegen der knappen Rente vielleicht ; kann doch die Post wegen mangelnder Frequenz wieder eine Post dicht machen. Ha! Die Wollmützen lauern überall! Neben Omis gibt es auch noch Mütter und Töchter - zu diesem grundsätzlich leidigen Thema nur soviel, „urst“ ist im Osten schon kurz nach der Wende urst out gewesen, auch wenn der Duden es in seine 21., völlig neu bearbeitete Auflage von 1996 noch aufgenommen hat. Aber das nur nebenbei. Was den schlichten Kapitalismus und die Fitneßwelle angeht, da liegt Frau Fischer wieder voll im Trend. „Keiner anderen Abteilung des gesellschaftlichen Lebens ist es in den vergangenen Jahren gelungen, sich derart wichtig zu machen. Natürlich liegt das am Verschwinden der Arbeit, bisher das Wichtigste im Leben, die uns inzwischen irgendwie abhanden kam, allenfalls noch als Trauerarbeit und Beziehungsarbeit aufgespürt werden kann, als sichtbare Lohnarbeit aber unausweichlich ausstirbt“, um als „Work-Out“ in Gymnastikkurse zurückzukehren. (Also das mit dem „irgendwie“ kann ich nicht so widerspruchslos hinnehmen, da seh ich eher eine gezielte Strategie, aber bitte, es ist ja Ihr Buch). „Nachdem uns Arbeit und Geld langsam ausgehen, haben wir mit einer neuen Form der Arbeit (für die man allerdings, einmal sei es doch erwähnt, bezahlen muß) gleich eine neue Religion gefunden.“ Richtig, Frau Fischer, trotz aller Bemühungen kriegen viele heute ihren Arsch nicht mehr hoch, so oder so. Was allerdings in den Vorstädten beim Käsewurst Grillen auch nicht unbedingt nötig ist. Bedenklich erscheint mir allerdings Mausis Zustand. Mal abgesehen davon, daß sie Maulwurf mit Fledermaus verwechselt - das kann schon mal vorkommen, leben doch beide Tiere mehr im Dunkeln und wer sieht sie da schon so richtig -, ist es erschütternd, daß sie „Kappu-China-Kresse“ nicht von „Cappucino-Kresse“ ( mit zwei „c“ übrigens, Frau Fischer) unterscheiden kann und „Kapuziner“ wie „Kaputschiner“ ausspricht. Mein Gott, ist denn der Käse jetzt auch schon BSE-verseucht, und überhaupt, weshalb werden in der Hamburger Gegend Käsegriller vom Schwein und nicht vom Hering oder wenigstens der Sprotte angeboten oder ein Flunder-Schweine-Steak ... (sollte das je auf den Markt kommen, auch in umgekehrter oder beliebig anderer Reihenfolge, sichere ich mir hiermit ausdrücklich das Urheberrecht), aber ich schweife ab (da kann die Autorin mal sehen, was sie mit an sich alltäglichen Situationsschilderungen für Denkprozesse auslöst). Aber zurück zur im Herzen grünen und von Käsegrillern aufgeblähten Mausi, die darüber nachdenken wollte, ob die Bodenhaltung von Hühnern, deren Eier sie aus Öko-Gründen bevorzugt, gleichzusetzen wäre mit der Bodenhaltung von Frauen. Vielleicht, so mutmaßt die Autorin, wäre Mausi zu einem Boykottaufruf „Kauft keine Frauen aus Bodenhaltung!“ gelangt. Diese Entscheidung nimmt ihr dann ihr korngefüllter Ehemann Heinzi ab, der Schreckensvisionen von frei herumflatternden Hühnern verbreitet. Klar also, daß die jetzt schon praktizierte Bodenhaltung von Frauen gottgewollt sein müsse, jedenfalls für Heinzi-Männer. Auch das beschauliche und geruhsame Landleben ist nicht mehr das, was es einmal war. Häckselmaschinen dezimieren die Nachgeborenen. Dorfeichen, von denen man stürzt, und Kiesgruben, in die man fallen, Chausseebäume, gegen die man mit dem Auto rasen kann. Sozusagen eine fast natürliche Auslese. Logisch, daß der verbleibende Rest junger Mädchen den überlebenden Rest junger Burschen schnellstens heiratet, noch bevor der ernsthaft in Erwägung zieht, das harte Landleben mit dem angeblich leichten und lukrativeren Stadtleben zu tauschen. Doch dann kommt alles anders, die abgewrackten, aber finanzkräftigen Städter fliehen in die Dörfer, wegen der angeblichen Idylle. Die können sie aber nur kurze Zeit ertragen und folgerichtig werden die grünen Wiesen systematisch bebaut. Ein paar Chronisten, wie Frau Fischer, fliehen dann ihrerseits wieder in die Städte zurück , um das einstige Bild von Storch, Fuchs und Hase an mögliche Enkel weiterzugeben.

Schließlich offeriert die Autorin uns noch die völlig „andere Welt“, in der sie in blödsinnige Weiterbildungskurse oder in ihren Fernseher schlüpft, das System von Kettenbriefen ergründet, sich in den Nachmittag einer Kabarettistin versetzt und schließlich noch einmal nach Bacardien, einem Landgasthaus, reist, eingedenk der „ersten Bacardi-Cola“ mit fünfzehn und mit Gabi und der letzten - ohne sie.

Ein schönes Buch, Frau Fischer, wie Ihnen schon ihre Kollegin Frau Müller schriftlich attestierte.

Sabine Graßmann


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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