Rezension

 

Wenn's nur Witz wäre!

Michael Braun:
Jericho oder Das feine Gesicht des Himmels

Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 1997, Collection S. Fischer, Bd. 90, 272 S.

 

Ach ja, die Liebe! Immer wieder die Liebe! Die Liebe, die sich um keine Rassen und Religionen, Völker und Nationen kümmert. Ach ja, Jericho! Jericho ist überall! Michael Brauns Jericho ist ein Vorort der englischen Universitätsstadt Oxford. Die Liebe ist die Liebe zweier Studenten. Eines Schwarzhäutigen und eines Weißhäutigen. Eines Burschen von den Bahamas und eines Burschen aus Berlin. Sie heißen Adrian und Benjamin und agieren in Brauns Debütroman Jericho oder Das feine Gesicht des Himmels als Alfred und Ben. Eine schöne, schlimme, sündige Liebesgeschichte? Schlimm, weil sie ihren handfesten Lauf in einem Pfarrhaus nimmt? Mitnichten! Das ist nur eine Pointe in der pointierten Liebesgeschichte zweier junger Männer. Die Pointierungen machen die an sich nicht ungewöhnliche Love-Story besser als viele vergleichbare, die bisher veröffentlicht wurden.

Die von Braun erzählte Berührungs-Beziehungs-Geschichte ist eher und mehr witzig-traurige Lebens-, denn Liebesgeschichte. Und das nicht nur, weil Lieben auch Abschiednehmen von den Geliebten bedeutet, die für Ben Clemens und Alfred heißen. Leben ist auch der ganze Oxfort-College-Alltag. Die literarische Originalität und Qualität des Romans ist in dem Witz, den Braun hat. Dem eigenen Witz. Im richtigen Riecher, den Braun fürs Witzige hat. Dem Autor ist die Wichtigkeit des Witzes so wichtig wie ein wichtiger Witz. Der Witz des Erzählers ist nicht selten vom Erzähler geklonter Witz. Er innert sofort an das bekannte Modell. Jeder Wiederholung verpaßt Braun eine neue Nase, die keine primitive Pappnase ist. Mit Witz spült der Erzähler alles Schmuddlige, Schwülstige, Spermatische aus der Story. Nicht um des reinen, gereinigten Vergnügens, soviel Vergnügliches Braun auch aus der Lebens-Liebes-Geschichte herausholt. Er tut's mit dem guten Gleichmaß der Braunschen Sprache, die der Story einiges von ihrer Spannung stiehlt. Den Verlust kann auch der Sinn des Schriftstellers für den Witz einer Situation, Stimmung, Szene nicht wettmachen. Der Witz läßt Unwichtiges wichtig werden und Wichtiges unwichtig. Wann das der Fall ist, das haben die Leser herauszufinden. Wer zu den Unterscheidungen nicht in der Lage ist, ist auch nicht Neese. Ihn trägt der flüssige bis über-flüssige Erzählstrom, in den Michael Braun lockt und in dem er nicht untergeht. Es wird gespritzt. Es darf gespritzt werden. Braun läßt lachen. Wer lacht, sieht das heitere Gesicht des Himmels. Ach ja, die Liebe! In Jericho und anderswo!

Bernd Heimberger


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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