Wiedergelesen

 

Eugen Roth: Der letzte Mensch

Carl Hanser, München 1964, 112 S.

 

Wer 1964 das Büchlein von Eugen Roth kaufte, erwartete trotz des Titels weder eine existentialistische Seelenbeschreibung noch eine Variante zu Menschliches - Allzumenschliches aus der Feder des Münchner Schriftstellers. Hatte doch Eugen Roth sich schon seit langem einen Namen mit seinen Versen gemacht, die mit den Worten „Ein Mensch ...“ begannen und leicht in die Sparte heiter-besinnlich eingeordnet werden konnten. „Ein Mensch erblickt das Licht der Welt- / Doch oft hat sich herausgestellt / Nach manchem trüb verbrachten Jahr, / Daß dies der einzige Lichtblick war.“

Ein Lichtblick für Freunde von Witz und Humor war und bleibt Eugen Roth (1895-1976) in jedem Fall. Zu vermuten ist das nach seinen Lebensstationen ja nicht unbedingt. Als Kriegsfreiwilliger 1914 vor Zypern schwer verwundet, studierte er Germanistik, Philosophie, Geschichte sowie Kunstgeschichte in München und promovierte über den Göttinger Hainbund. Er begann als Schriftsteller mit religiös geprägter expressionistischer Lyrik und autobiographischen Erzählungen, denen kein größerer Erfolg beschieden war. 1927 stieg er als Lokal- und Feuilletonredakteur in die „Münchner Neuesten Nachrichten“ ein. Eine Stellung, aus der er nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 „wegen Unzuverlässigkeit“ fristlos entlassen wurde. Roth ließ sich als freier Schriftsteller in München nieder und veröffentlichte zunächst „Ein Mensch“ - Verse im „Simplizissimus“. Die erste Sammelausgabe, die 1935 unter dem Titel Ein Mensch erschien, brachte schließlich den großen Publikumserfolg. Im nachhinein erkannte man in der unpolitisch-zeitlosen Tendenz der Texte fast schon eine politische Botschaft, was Roth wohl zum Sprecher der „Stillen im Lande“ stilisieren würde.

Eugen Roth war ein vielseitiger Dichter und Erzähler, doch eine den „Ein Mensch“-Versen vergleichbare Bekanntheit erreichte wohl nur noch Eugen Roths Tierleben für jung und alt von 1948. Den Zeilen über Wendehals und Brüllaffen bescheinigte der Verhaltensforscher Konrad Lorenz immerhin einen geradezu erstaunlichen naturwissenschaftlichen Wahrheitsgehalt. Ebenfalls 1948 kamen dann weitere Gedichte in dem Band Mensch und Unmensch heraus und schließlich 1964 besagter Der letzte Mensch 1964, dem Roth als Einführung voransetzte: „Ein Mensch, der sich zwar selber sagt / Daß Altersweisheit nicht gefragt, / Läßt trotzdem noch einmal was drucken / Und hofft, die Welt wird es schon schlucken.“

Wieder nahm er menschliche Schwächen aufs Korn und machte den kleinen Mann, der so oft Opfer der Tücke des Objekts wurde, zu seinem Helden. Komik und Witz auf der einen Seite paaren sich in Eugen Roths Reimereien mit Resignation und Melancholie auf der anderen, wie in „Vergebliche Einsicht“: „Ein Mensch, der hinnahm Streich um Streich,/ Sprach zu sich selbst: ,Ich bin zu weich! / Ab heut entfalt ich Kraft und Witz: / Ich werde hart, ich werde spitz!‘ / Doch mußt er an sich selbst verzagen: / Schon war er wieder breitgeschlagen.“

Der Witz der Verse Roths ergibt sich äußerlich an dem voll durchgehaltenen Reimprinzip und aus der unerwarteten Pointe. Die Sentenz, wonach es erstens anders kommt und zweitens als man denkt, fand in den Gedichten von Eugen Roth ihre Entsprechung.

In der heutigen Zeit wird der Bereich Alltagsphilosophie, wenn sich nicht gerade unterbe-
schäftigte Nachrichtenmoderatoren damit befassen, mittlerweile von amerikanischen Schriftstellern bedient, ob es das Peter-Prinzip oder Murphys Gesetz („Alles was schiefgehen kann, geht auch schief“) sind. So manches, was jetzt vielleicht etwas flotter formuliert ist, findet sich bereits in den Alltagsweisheiten von Eugen Roth. Auch wenn einiges leicht angestaubt und betulich klingt, hat es aber gerade dadurch einen fast altmodischen Charme und Reiz. Der
Dichter wird, was bei der Beschäftigung mit menschlichen Schwächen ja nicht selbstver-
ständlich ist, nie zum Zyniker, bleibt stets ein menschenfreundlicher Skeptiker. Seine Figuren wirken oft hilflos, ausgeliefert den Umständen, den Mitmenschen, dem Unmenschen und schließlich der eigenen Person, den eigenen Unzulänglichkeiten. Selbst wenn der Dichter wohl eine therapeutische Absicht mit seinen Reimen verfolgt, scheint er vom Erfolg seiner Belehrung nicht recht überzeugt. Verständlich daher seine Verteidigung des Pessimisten: „Ein Mensch wird ,Pessimist‘ geschmäht, / Der düster in die Zukunft späht. / Doch scheint dies Urteil wohl zu hart: / Die Zukunft ist's, die düster starrt!“

Wenn die Verse Roths eine fast zeitlose Gültigkeit haben, heißt das nicht, daß ihnen jeglicher Zeitbezug fehlt. In der Sammlung von 1964 vernimmt man etwa das Klagen über den ganzen „Wirtschaftswunder-Schmus“, den „eitlen Wirtschaftswunderwunder-Mist“. Angesichts der verwirklichten naheliegenden Träume mahnt der Humorist hier, daß materieller Wohlstand nicht allein ein erfülltes Leben garantiert.

Ebenso offenbart sich, daß die Verse von Eugen Roth keineswegs so unpolitisch sind. Selten zeigt sich die Botschaft allerdings so vordergründig wie in „Der unerwünschte Bundesgenosse“, ein Gedicht, das wohl nichts von seiner Aktualität verloren hat:

„Ein Mensch besucht, zwecks Geist-Erhellung, / Die jüngste Malerei-Ausstellung. / Doch statt erhellt, wird er verdüstert - / So daß er ziemlich hörbar flüstert, / Dies geht zu weit: dies wilde Kritzeln, / Dies Kleben, bloß aus Abfallschnitzeln! / Dies Farben-nur-aus-Tuben-Drücken / Zählt zu den frechsten Bubenstücken. / Schon hat an ihn, der laut gedacht,/Ein Unmensch sich herangemacht: /,Aufhängen sollt man das Gesindel / Anstatt der Bilder! Terror!! Schwindel!! / Gottlob, es gibt noch deutsche Männer! / Ich sehe schon, sie sind ein Kenner!‘ / Der Mensch, von Schrecken ganz gelähmt, / Entfernt sich wortlos und beschämt, / Weil er die Schleusen selbst erschlossen / Des Unrats, der ihn jetzt begossen.“

Kathrin Chod


© Edition Luisenstadt, 1998
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