Wiedergelesen

 

„Gedichte von H. Heine“

Ich bin's gewohnt, den Kopf recht hoch zu tragen ...

 


Mir träumte einst von wildem Minneglühn,
Von hübschen Locken, Myrthen und Resede,
Von süßen Lippen und von bitt'rer Rede,
Von düst'rer Lieder düstern Melodien.

Verblichen und verweht sind längst die Träume,
Verweht ist auch mein liebstes Traumgebild!
Geblieben ist mir nur, was glutherfüllt
Ich einst gegossen hab' in weiche Reime.

du bliebst, verwaistes Lied! Verweh' jetzt auch,
Und such' das Traumbild, das mir längst entschwunden,
Und grüße mir's, wenn du es aufgefunden -
Dem luft'gen Schatten send'ich luft'gen Hauch.

„Zueignung“ stand als Auftakt in Heinrich Heines erstem Gedichtband, der im Dezember 1821 nur wenige Schritte von dem Ort entfernt erschien, an dem der junge Dichter im März des gleichen Jahres erstmalig den Boden der preußischen Hauptstadt betreten hatte: in der Poststraße im Nikolaiviertel.

Weniger als ein Dreivierteljahr waren vergangen, seit er sich zur Fortsetzung seines Jura-Studiums an der Berliner Universität immatrikuliert hatte. Er war in dieser Zeit in den berühmten Salon der Rahel Varnhagen von Ense aufgenommen worden, hatte sich mit E.T.A. Hoffmann angefreundet, ging bei Luther & Wegner ein und aus, zählte zu den Stammlesern der Zeitungen im Café Stehely und hatte sogar eine Prügelei mit dem Dramatiker Christian Dietrich Grabbe, weil beide für sich den Ruf beanspruchten, der talentierteste und größte Dichter des „jungen Deutschland“ zu sein.

Der zweiundzwanzigjährige Poet aus dem Rheinland war verständlicherweise um publicity für seinen poetischen Erstling bemüht. An Carl Gottfried Theodor Winkler von der „Abendzeitung“ schickte er am 16. Oktober 1821 aus der Behrenstraße 71 drei Gedichte mit dem Begleitschreiben: „Ich verlange dafür kein Honorar und verlange nur, daß sie g l e i c h abgedruckt werden ... Diese Gedichte sind nämlich enthalten in einer Sammlung, die ich der hiesigen Maurerschen Buchhandlung verkauft habe, die schon diese Woche in die Presse kömmt und wahrscheinlich in vier oder sechs Wochen unter dem Titel ,Gedichte von H. Heine‘ erscheinen wird.“ Friedrich Rassmann vom „Rheinisch-Westfälischen Musenalmanach“ kündigte er vier Tage später seine „vorzüglichsten Gedichte in einer geschlossenen Sammlung“ an und bat, für das Namensverzeichnis des Almanachs „von folgender Notiz Gebrauch zu machen“: „H. Heine, 24 (?) Jahr alt, geboren in Düsseldorf, erhielt im dortigen Gymnasium seine Schulbildung, studierte Jurisprudenz in Göttingen, Bonn und Berlin, woselbst er jetzt lebt.“

Als Ende 1821 die Auslieferung der gedruckten Exemplare mit der Jahreszahl 1822 auf dem Titelblatt begann, ging eins der ersten - sicher auf Anraten seiner Förderin Rahel Varnhagen von Ense - an Johann Wolfgang von Goethe nach Weimar. „Ich hätte hundert Gründe, Ew. Exzellenz meine Gedichte zu schicken. Ich will nur einen erwähnen: Ich liebe Sie. Ich glaube, das ist ein hinreichender Grund“, schrieb er am 29. Dezember 1821 in einer für Heine sonst nicht üblichen Diktion. „Meine Poetereien, ich weiß es, haben noch wenig Wert; nur hier und da wär manches zu finden, woraus man sehen könnte, was ich mal zu geben imstande bin. Ich war lange nicht mit mir einig über das Wesen der Poesie. Die Leute sagten mir: frage Schlegel. Der sagte mir: lese Goethe. Das habe ich ehrlich getan, und wenn mal etwas Rechtes aus mir wird, so weiß ich, wem ich es verdanke. Ich küsse die heilige Hand, die mir und dem ganzen deutschen Volke den Weg zum Himmelreich gezeigt hat, und bin

     Ew. Exzellenz
     gehorsamer und ergebener
     H. Heine
     Cand. juris.

In diesem Brief war wahrlich nichts von jenem „stolzen Muth“ zu spüren, den er zu Beginn des Gedichts „An meine Mutter“ in die Verse gesetzt hatte:

Ich bin's gewohnt, den Kopf recht hoch zu tragen,
Mein Sinn ist auch ein bisschen starr und zähe;
Wenn selbst der König mir in's Antlitz sähe,
Ich würde nicht die Augen niederschlagen.

Ob und wie Goethe auf Heines Brief geantwortet hat, ist nicht bekannt.

An Hofrat Adolf Müllner schrieb Heinrich Heine am 30. Dezember 1821 weitaus bescheidener: „Den beiliegenden Band Gedichte übersende ich Ew. Wohlgeboren bloß, weil ich eine Rezension derselben im ,Literaturblatte‘ zu sehen wünsche. Ich gewinne viel, wenn die Rezension gut ausfällt, d. h. nicht gar zu bitter ist. Denn ich habe in einem hiesigen literarischen Klub gewettet, daß Hofrat Müllner mich parteilos rezensieren wird ...“ Helfrich Bernhard Hundeshagen legte er - offensichtlich ebenfalls in Erwartung einer positiven literaturkritischen Wertung - in einem weiteren Schreiben vom gleichen Tag nahe, daß Kenner „in meinen Gedichten Studium des Volksliedes, Kampf gegen Konvenienzpoesie und Streben nach Originalität nicht verkennen werden.“

Die erste grundsätzlichere Rezension zu Heines Gedichtband kam jedoch aus der Feder
von Karl August Varnhagen von Ense. „Der hier auftretende Dichter - denn so müssen wir ihn doch wohl nennen - hat ausgezeichnete Anlagen“, stand da zu lesen. „Seine Lieder kommen aus einer ächten Quelle, es ist Anschauung und Gefühl darin. Nachahmung, bewußte und absichtliche, ist auch dem gereiften Dichter noch erlaubt, die willkürliche aber dem anfangenden, bei der Masse von Gebildeten, fast unvermeidlich; in ihr selbst jedoch kann sich das S e l b s t ä n d i g e zeigen. So möchte hier allerdings Einiges an Uhland, Anderes an Rückert erinnern; aber dies gilt mehr von der Tonart, als von dem Gehalt, und muß vielleicht auf
eine höhere, gemeinschaftliche Quelle, die allen deutschen Dichtern gehört, nämlich die
Quelle unseres deutschen Volksliedes überhaupt, zurückgeführt werden. Das Eigenthümliche arbeitet sich aus diesem Überlieferten hier überall mit Kraft empor, und bloß Nachgemachtes ist uns nirgends vorgekommen. Besonders glücklich erscheint uns Hr. Heine in seiner dichterischen Auffassung der Gegenstände; es zeigt sich darin oft ein höchst sinnreicher und anziehender Humor, wie z. B. in den ,Traumbildern‘ und mehreren anderen Gedichten. Kein Schwall von Worten, kein herkömmliches Füllwerk. Die Sprache ist kraftvoll und gedrungen, auch zart und lieblich, wo es seyn soll. Doch ist beiderlei Ausdruck, sowohl des Kräftigen als des Weichen, auch zuweilen verfehlt; das ausgebildete Selbstgefühl wird dem Dichter schon anzeigen, welche Bahn er strenger ein zu halten habe. Die Verse, von sehr mannigfacher Gattung, sind mit Kunde und Gewandtheit gearbeitet; schwierige Reime sind jedoch eine Klippe, an der selbst W. Schlegel und Tieck nicht immer vorbei schiffen; wo sie gerathen und wo sie mißlingen, muß kein zu großes Gewicht auf sie gelegt seyn; das Beste in dieser Art haben noch stets Goethe (besonders im ,west-östlichen Divan‘ und neueren Gastgeschenken und Rückert geleistet.“1

„Zueignung“, „Belsatzar“ („Belsazer“), „Die Grenadiere“ und „An meine Mutter“ gehörten zu den schönsten Gedichten in Heines poetischem Erstlingswerk. „Loreley“ - das wohl populärste seiner Gedichte, das sich nach der Vertonung sehr schnell einen Rang unter den bekanntesten deutschen Volksliedern sicherte - kam erst später dazu; es heißt, er habe es gedichtet, als er sich bei seiner unwiderruflich letzten Abreise aus Berlin auf dem Weg nach Lüneburg befand.

Die von der Maurerschen Buchhandlung Ende 1821 edierte Ausgabe der „Gedichte von H.Heine“ wurde im Laufe der Zeit erheblich erweitert und neu gegliedert. Seit 1827 erschien sie unter dem Titel Buch der Lieder. Insgesamt dreizehn Auflagen, die ihn weltberühmt machten, konnte Heinrich Heine noch erleben - was für eine Leistung für einen Lyriker der damaligen Zeit.

Klaus Ziermann

 

1 In: Karl August Varnhagen von Ense:
   Literaturkritiken.
   Herausgegeben von Klaus F. Gille.
   Niemeyer Verlag, Tübingen 1977, S. 31/32


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite