Eine Rezension von Eberhard Fromm

Der Intellektuelle als Außenseiter

Mario Scalla: Brecht und die intellektuelle Kritik in Deutschland
Über die Versuche zur Institutionalisierung intellektueller Kritik
Argument-Verlag, Hamburg 1996, 177 S.

Der Band 37 in der Edition Philosophie und Sozialwissenschaften des Argument-Verlages enthält einen Versuch, den historischen Bedingungen, den Gründungen und der Integration von intellektueller Kritik nachzuspüren. Die versteht sich nach Ansicht des Autors „als Teil einer Geschichte der Außenseiter und ihrer versuchten, erfolgreichen oder gescheiterten Integration“ (S. 5). Es handelt sich also um eine weitere Beschäftigung mit den Intellektuellen und ihrer Position in Deutschland. Die Titelflut zu diesem Thema hat in den neunziger Jahren ständig zugenommen und scheint eine indirekte Antwort auf die Zurückhaltung und das Schweigen der Intellektuellen selbst zu den Entwicklungen seit 1989 zu sein. Immer mehr Autoren suchen nach der Antwort auf die Frage, warum sich die Intellektuellen in der Umbruchszeit so verhalten - besser: nicht verhalten - haben. Und das führt offensichtlich zu dieser Schwemme von Erklärungsmustern.

Mario Scalla nähert sich seinem Thema in drei Schritten. An die Spitze stellt er sein Verständnis von Intellektuellen und intellektueller Kritik, was er dann am Beispiel Bertolt Brecht verdeutlicht. („Brecht und das Surplus der Phantasie“, S. 11-99). Danach untersucht er die Veränderungen der literarischen Produktion zwischen dem Exil der deutschen Schriftsteller bis in die sechziger Jahre. Beispielgebend sind hier Alfred Döblin, DDR-Autoren wie Willi Bredel und Volker Braun, die „Renegaten“ Ernst Fischer und Arthur Koestler sowie für die BRD der sechziger Jahre Alfred Andersch („Literatur und Gesellschaft: Vom Roman der Revolution zur Kammermusik des bürgerlichen Rebellen“, S. 101-134). Abschließend behandelt der Autor die Gestalt des Plebejers als „ideale intellektuelle Projektionsfläche“ von Gesellschaftskritik („Der Streit um den Plebejer“, S. 135-167).

Das Bild vom Intellektuellen, das hier gezeichnet wird, ist breit gefächert. Bereits in der Antike werden Ansätze einer „intellektuellen öffentlichen Strategie“ gesehen. Unterschieden wird zwischen „repräsentativen Intellektuellen“ wie Goethe und Schiller einerseits und Außenseitern (an der „intellektuellen Peripherie“) wie Hölderlin, Börne oder Büchner. Als wichtige Kriterien werden eine „statusimmanente Sensibilität für gesellschaftliche Veränderungen, ein virulentes Krisenbewußtsein“ (S. 20) angesehen.

Der Autor ist in seiner Arbeit auf der Suche nach den intellektuellen Außenseitern und ihrem „Nestbau“, das heißt ihrem gelungenen oder mißglückten Versuch, „aus der Gesellschaft und ihrer Erkenntnis heraus einen selbstbewußten Status, materielle und kulturelle Autonomie, Spielräume und literarische Formen zu entwickeln, die nicht mit dem vorgegebenen und sanktionierten Repertoire übereinstimmen“ (S. 6). Daß er da bei Brecht fündig wird und zugleich die Widersprüchlichkeit bei Brecht vorfindet, ist nicht verwunderlich. Die meisten anderen literarischen Beispiele bleiben leider nur knappe Belege. Aber sie reizen den Leser zu weiterem Nachdenken - und sicher auch zum Widerspruch.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite