Eine Rezension von Kathrin Chod

„Das Fahrzeug für jeden Volksgenossen“

Hans Mommsen mit Manfred Grieger: Das Volkswagenwerk und
seine Arbeiter im Dritten Reich.
Econ-Verlag, Düsseldorf 1996, 1055 S.

Ein dickes Lob für PR hätte sich Hans Mommsen für die Wahl des richtigen Zeitpunktes schon verdient. Gerade zur Herausgabe seines monumentalen Buches über das Volkswagenwerk erschienen in maßgeblichen Blättern dieses Landes Artikel über ihn. Das in fast zehnjähriger Arbeit entstandene Werk wurde darin eher beiläufig erwähnt, gelesen hatte die tausend Seiten bis dahin wohl kaum jemand. Es waren Äußerungen zur Rolle Hitlers im Dritten Reich und insbesondere bei der Judenvernichtung, die justament für Aufregung sorgten, obwohl Hans Mommsen auch in der Vergangenheit bereits derartige Thesen vertrat. Solcherart öffentliche Aufmerksamkeit, auch wenn sie nicht durch das Buch selbst hervorgerufen wird, ist bekanntermaßen nicht schlecht für den Verkauf. Dabei hat die Studie, die Hans Mommsen mit einem ganzen Stab von Mitarbeitern erstellt hat, wahrlich Aufsehen verdient. Noch immer rankt sich einerseits um das Volkswagenprojekt ein schier unzerstörbarer Mythos, während andererseits vom „Volkswagenschwindel“ gesprochen wird.

Die vorliegende Arbeit wurde von der Volkswagen AG selbst initiiert. Wobei es durchaus nicht üblich ist, daß der Auftraggeber nicht nur eine wissenschaftlich fundierte Geschichte des Unternehmens von einem bekannten und engagierten Historiker erhalten wollte; vielmehr sollte gerade der Einsatz von Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkrieges besonders berücksichtigt werden. Bewußt wird dabei den Initiatoren gewesen sein, daß sowohl Rolle als auch Verantwortung der Industrie im Dritten Reich hier exemplarisch zutage treten würden.

So erforschte der Autor die verschiedenen Bereiche des Unternehmens und beleuchtet das Volkswagenwerk als „Mikrokosmos“ in der nationalsozialistischen Gesellschaft. Der Leser erhält nicht nur eine Vielzahl technischer Details von Automobilen, Panzern und Raketen. Von Finanzierungsproblemen des Betriebes ist ebenso die Rede wie über Lehrlingsausbildung oder Architektur von Werk und Stadt. Er bekommt darüber hinaus Einblick in Sozialpolitik und Rüstungswirtschaft im Dritten Reich.

Mommsen sieht die Geschichte des Unternehmens beispielhaft „für die von Hitlers Kriegsvorbereitung und Kriegspolitik verspielten Chancen eines umfassenden konsumgesellschaftlichen Aufstiegs, der in vieler Hinsicht die Entwicklung nach 1948 hätte vorwegnehmen können“. In der Enstehungsgeschichte des Volkswagenwerkes findet er eine für das nationalsozialistische Regime typische Doppeltendenz von Modernisierung und Zerstörung. Womit der Autor wieder auf eine seiner Lieblingsthesen, die von der strukturellen Destabilisierung, der fortschreitenden Vernutzung überkommener Strukturen zurückkommt. Danach zeichnete sich das Dritte Reich durch die Tendenz zur Zerstörung gewachsener gesellschaftlicher und politischer Formen aus und war unfähig, neue zu gestalten.

Zugleich widerlegt der Autor endgültig einige Theorien. So war das Volkswagenwerk weder als Rüstungswerk geplant, noch sollte mit der Propagierung des Volkswagens von der mangelhaften Versorgungslage abgelenkt werden. Ohne Zweifel legte das Dritte Reich mit dem Volkswagenprojekt die Grundlage für die Massenmotorisierung in Deutschland. Die langjährige technische Entwicklung und die Errichtung einer gesonderten Fabrik sowie einer eigenen Stadt wären ohne die Förderung und Subventionierung, „wie sie nur in Diktaturen bereitgestellt werden können“, nicht möglich gewesen.

Die Idee eines „Tausendmarkwagens“ - da auch der einfache Mann den Anspruch darauf habe, ein Auto zu besitzen - war in der deutschen Automobilindustrie auf Skepsis und Ablehnung gestoßen. Erst Ferdinand Porsche sah darin eine Herausforderung an den Techniker, zu neuen kostengünstigen Lösungen vorzudringen, obwohl auch er 990 RM für unrealistisch hielt. Nachkalkulationen ergaben, daß sich dieser Preis auch nie hätte realisieren lassen.

Abgelehnt vom Reichsverband der Automobilindustrie, wäre das „Lieblingsspielzeug des Führers“ auch schnell zu Grabe getragen worden, hätte nicht die Deutsche Arbeitsfront den Bau übernommen. Hier gelingt dem Autor ein aufschlußreiches Bild der sozialutopischen Vorstellungen der Nazi-Zeit. Was sowohl mit dem Wagen als auch mit Werk und Stadt geplant war, widerspiegelt den Wortsinn des Begriffes Nationalsozialismus - eines Sozialismus unter rassistischem Vorzeichen. Das Amt „Kraft durch Freude“ suchte die künftigen Volkswagenfahrer „zu einer Gesinnungs- und Erziehungsgemeinschaft zusammenzufassen und Hitlers Versprechen, daß der Kraftwagen nicht länger ,ein klassentrennendes Mittel‘ sein werde, durch die Schaffung einer besonderen Absatz- und Verkaufsorganisation zu realisieren“. Neben dem „gewaltigsten deutschen Automobilwerk“ sollte „eine vorbildliche deutsche Arbeiterstadt“ mit umfassenden Betreuungs- und Freizeiteinrichtungen entstehen. Das meiste davon blieb im Ansatz stecken, und auch die „Vision der Volkswagen-Fahrergemeinschaft wurde ... in eine Volkswagen-Sparergemeinschaft überführt“. „Kraft durch Freude“ reduzierte sich auf „Kraft durch Vor-Freude“. Wie Hans Mommsen nachweist, hätte das Sparsystem, auch abgesehen von der politischen Entwicklung, nicht funktioniert. Nach einer Anlaufzeit wäre die kontinuierliche Finanzierung der Produktion zusammengebrochen, da mit Preisen operiert wurde, die weit unter den Kosten lagen. Und selbst mit den zu niedrig angesetzten Preisen wäre der Volkswagen für die breite Masse unerschwinglich geblieben.

Mit der Darstellung der Rüstungsproduktion im Volkswagenwerk zeigt Mommsen die mangelhafte wirtschaftliche Kriegsvorbereitung, die eklatant dem offiziell verkündeten Rüstungsstand widersprach. Mit Einschätzungen von Rüstungsprojekten als „Scheinlösungen“, „Vabanquespiel“ und „unkoordiniert“ wird auch das Bild von Albert Speer als dem großen Organisator demontiert: „Das alles war durch ständige Improvisation und unaufhörliche Veränderung der Plangrundlagen, zugleich widersprüchliche und einander aufhebende Rüstungsdirektiven geprägt.“

Mommsen schildert die Umwandlung des Werkes in einen Rüstungsbetrieb; wodurch sich die Gelegenheit bot, den Maschinenpark trotz des Krieges wesentlich zu erweitern. Gleichzeitig gelangte der Betrieb durch die Rüstungsproduktion aus der Verlustzone. Das Volkswagenwerk konnte so „im Verlauf von nur wenigen Jahren an die Amortisationsgrenze herangeführt werden, was ohne die Bedingungen der Kriegswirtschaft schwerlich möglich gewesen wäre“.

Dementsprechend wird auch die Haltung der Betriebsführung zum Einsatz von Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen rein ökonomisch motiviert dargestellt: „Hinter diesem Schritt stand die sich als zutreffend erweisende Erwartung, daß sich unter den Kriegsgefangenen ein hoher Anteil von dringend benötigten Metallfacharbeitern befinden mußte.“ So beschreibt der Autor zwar seitenlang die Ausbeutung der KZ-Häftlinge, räumt dann aber lediglich ein, „daß der zivilen Seite, der Leitung des Volkswagenwerkes und ihren Vertragsfirmen, eine Mitverantwortung an den Vorgängen auf dem Laagberg zufiel, darf hinter den Verbrechen der SS nicht zurücktreten.“ Damit kann natürlich jeder leben. Worin ganz konkret diese Mitverantwortung bestand und wer persönlich mitverantwortlich war, bleibt offen.

Während viele Einschätzungen der am Volkswagenprojekt Beteiligten sicherlich zu einem Verständnis dieser Zeit beitragen, erscheint die Empörung über die nahezu zwei Jahre währende Inhaftierung von Ferdinand Porsche doch angesichts der behandelten Lebensumstände von Zwangsarbeitern, KZ-Häftlingen und Kriegsgefangenen etwas unangemessen.

Ungeachtet dieses Einwandes bleibt, daß mit dieser Studie ein Maßstab für die Darstellung von Industriegeschichte gesetzt wurde. Es fällt nicht schwer, dieses Buch herausragend im Umfang wie in Tiefe und Differenziertheit zu nennen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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