Eine Rezension von Birgit Pietsch

Becky räumt auf

Holly-Jane Rahlens: Becky Bernstein goes Berlin
Roman.
Aus dem Amerikanischen von Sigrid Ruschmeier.
R. Piper, München 1996, 302 S.

„Wirklich, Benno ist ein wahrer Engel.“ Zu diesem Schluß kommt Becky Bernstein, die Ich-Erzählerin in diesem Roman, der beginnt mit: „Felix war ein richtiges Arschloch.“ Was nach dem einen und vor dem anderen Verehrer passiert, ist, so die Hauptfigur, „eine Geschichte von mir und meiner Wohnung und davon, was wir erlebt haben, als wir eine Diät machten“. Ja, was haben wir denn erlebt, nachdem Felix weg war? Zuerst schaut Becky in den Spiegel, und was sieht sie da? Eine „pummelige Frau mit grauen Strähnen, plumpen Hüften, kurzsichtigen Augen und einer Wohnung, die von Staub und Erinnerungen überquoll“. Sie besorgt sich nun nicht etwa eine Brille für ihre kurzsichtigen Augen. Wie sehe ich überhaupt einer Frau im Spiegel an, daß sie eine dreckige Wohnung hat? Diese Frage bleibt unbeantwortet, stattdessen erleben wir nun Becky beim Abnehmen und Becky beim Aufräumen und Becky beim Erinnern an ihre Kindheit und ihre Ex-Liebhaber und Becky beim Plausch mit ihren Freundinnen.

Holly-Jane Rahlens ist wie ihre Romanheldin in New York aufgewachsen und wie diese kam sie vor mehr als zwanzig Jahren aus Liebe zu einem jungen Deutschen nach Berlin.

Mit vorliegendem Buch schrieb Holly-Jane Rahlens ihren ersten Roman. Nach ihren eigenen Angaben trägt Becky Bernstein goes Berlin autobiografische Züge. Während Holly-Jane Rahlens als freie Autorin und Regisseurin arbeitet, ist Becky TV-Journalistin für einen Berliner Lokalsender.

Wenn nun Becky Bernstein klagt, daß sie „Journalistin, Interviewerin, keine Geschichtenerzählerin“ sei, könnte ich nach der Lektüre des Buches das durchaus auch für Holly-Jane Rahlens nachempfinden. Es gibt schon einige witzige Episoden. Wenn etwa beschrieben wird wie Becky ihre ersten deutschen Worte lernt. Aber wo ist die Story, wo sind interessante Charaktere, wo sind bewegende Themen?

Die Dialoge von Becky mit Freundin Heike laufen nach folgendem Muster ab: „Klappte es mit den Schuhen? Und dem Thanksgiving-Ball?“

„Ich erinnere mich dunkel, daß ich Grippe kriegte und nicht hingehen konnte.“ ... „Und hast du sie denn jemals angehabt?“ fragte Heike. „Klar, aber ... ich bin ausgeruscht, ein Absatz ist abgebrochen, und ich habe mir den Knöchel verstaucht. Seitdem habe ich nie wieder hochhackige Pumps getragen.“

Welch existentielle Probleme werden hier gewälzt.

Aber wer weiß, vielleicht trifft das gerade den Lebensnerv einiger „pummeliger Frauen mit grauen Strähnen“, Mitte Vierzig. Richtig schön wird es, wenn Becky und Heike sich über Leute aus dem Osten unterhalten: „Es gab Leute im Osten, die sich mit Westprodukten solche Schreine aufbauten, mit Zigarettenschachteln, Kaffeebüchsen und Waschpulverkartons, Whisky- und Kognakflaschen. Alles. Auch Pralinenschachteln. ... Sie haben leere Schachteln auf den Altar gestellt.“ Da könnte ich mir ganz gut dieses Buch obendrauf vorstellen. Schön aufgemacht ist es ja und sogar aus dem Westen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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