Eine Rezension von Anne Mann

Immer hübsch propper bleiben

Klaus-Peter Wenzel: Der Fall Lutz Bertram
Dokumentation einer Verstrickung.
Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 1996, 288 S

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„Er war doch ein Würschtel“.

So soll sich Christoph Stölzl, Direktor des Deutschen Historischen Museums in Berlin, nach einer mehrstündigen Podiumsdiskussion mit Lutz Bertram über den Rundfunkjournalisten geäußert haben.

Wer war Lutz Bertram?

Das Buch füllt heute, 2 Jahre nach dem schicken xten IM-Spektakel, Erinnerungslücken auf. Ein Fall wird beleuchtet - und mit ihm das Spektrum offiziöser, offizieller und öffentlicher Positionen zum Thema Staatssicherheit. Vor diesem Hintergrund agierte im Januar 1995 Lutz Bertram als Hauptfigur. Als Person ist er mittlerweile uninteressant - die Stasi-Debatte dagegen boomt. Insofern ist das Buch nicht ganz der Schnee von gestern. Und der fromme Wunsch von Christoph Links (Verleger/Freund von L. Bertram), daß sich ein gesellschaftliches Klima herstellen möge, „das nicht von Jagdszenen geprägt ist, sondern von der Bereitschaft, genau hinzuhören und auf die konkreten Lebensumstände zu sehen“ - bleibt, was er war: Wunsch eben. Das Nachdenken darüber, warum ein solches Klima nicht entsteht - nicht entstehen kann, würde möglicherweise einige desillusionierende Wahrheiten über die politischen, intellektuellen und psychosozialen Voraussetzungen und Folgen der sieben Jahre in Einigkeit und Recht und Freiheit ins Gespräch bringen. Das will und/oder kann das Buch nicht leisten.

Es bietet statt dessen eine sorgfältig zusammengestellte, umfangreiche Chronik des großen Aufschreis über Bertrams IM-Tätigkeit, gibt Auskunft über seine Lebensgeschichte (die ist schon elend traurig), vermittelt Einblick in das Aktenmaterial des MfS und veröffentlicht Ausschnitte aus der TV-Beichte im ORB, aus der morgendlichen Abschiedsgala bei Radio Brandenburg, von der Gesprächsrunde im Museum. Es ist vor allem diese Art der medialen Selbstausstellung, die den Journalisten zum quotenträchtigen Fall macht. Wahrlich ein exemplarischer Vorgang: Der Zampano des Mikrofons stellt sich von ganz alleine an den Pranger (freilich erst, nachdem er dingfest gemacht wurde), auf daß der Pranger zum Anger werde. Fanal sollte das sein für eine neue Art des Umgangs mit derlei biographischen Tretminen. Nix war. Der bei Bertram vermutete hohe IQ hatte wohl einen Blackout, als sich sein Herrchen entschied, vor die Kamera zu gehen - nur daß diesmal andere die Fragen stellten (das machten sie übrigens ganz lieb).

Ein weiterer Grund, daß L. B. vorübergehend zum Dauerbrenner geriet und die gesamte schreibende Zunft zu Laienpsychologen mutierte, ist sicher darin zu suchen, daß der nunmehrige Delinquent sich vordem mächtig gewaltig als Scharfrichter inszenierte. Vorausgesetzt, er hatte es mit passenden Leuten zu tun. Da ließ er keine Ausflüchte zu, da bestand er auf klaren Auskünften („ja oder nee“), da wurde der Anschlag auf der Klaviatur des journalistischen „Dich krieg ich“ hart und präzise. Das machte einen Heidenspaß, auch der Applaus war wunderschön. Es ist hier die Rede von Fernsehinterviews, wie z. B. mit Christa Wolf anläßlich der Veröffentlichung ihrer IM-Akte (aus den Jahren 1959 bis 62). Aufschlußreich auch Bertrams Gespräch mit Waigel: Nette Kabbelei vor der Kamera. Die Forschheit der Fragen hält sich in Grenzen. Als der Minister trotzdem ungehalten wird, zuckt der Frager brav zurück. Nun ja.

Der Sturz dann muß furchtbar gewesen sein für einen Mann mit den erträglichen und unerträglichsten Allüren, die ein Medienmensch so haben kann. Einmal Blut geleckt, schmeckt Limonade eben nicht mehr, noch dazu die eigene. Der Fall Bertram hat sich erledigt. Die „Verstrickungen“ haben letztlich (fast) alle das gleiche Ende - sie werden vergessen. Es sei denn, eine Dokumentation entsteht.

Nachtrag. Lutz Bertram, vorübergehend als Medienberater der PDS zwar kein Durchreißer, aber wenigstens finanziell gut drauf, hat sich reaktiviert und reitet mit verhängten Zügeln wieder durch die Medienlandschaft.

Also dann, Verehrtester: Vergessen Sie nicht, daß Sie heute wieder ganz besonders erfolgreich sein müssen. Und: Immer hübsch propper bleiben.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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