Eine Rezension von Bernd Heimberger

Rentner ohne Reue?

Siegfried Kogelfranz: Diktatoren im Ruhestand
Die einstigen Ostblockchefs im Gespräch.
Brandenburgisches Verlagshaus, Berlin 1997, 192 S.

Diktaturen dauern nicht. Auch Diktatoren haben nur ein Leben. Die meisten Diktaturen dauern kein Diktatorenleben lang. Für die meisten Diktatoren gibts ein Leben nach der Diktatur. Manchmal wird das auf den Titelseiten der Blut- und Blubberpresse aufgemischt. Manchmal melden seriöse Blätter etwas unter „Vermischtes“. Mehr als das aufgemischt Vermischte wollte der jahrzehntelange „Spiegel“-Schreiber Siegfried Kogelfranz. Dafür mußte sich der Publizist nicht auf riskante Pirsch begeben und die Diktatoren a. D. in obskuren Verstecken aufstöbern. Osteuropas abgehalfterte Herrscher-Herrn haben amtlich registrierte Adressen. Sie beziehen eine poplige oder passable Pension. Sie halten exakt Frühstückszeiten und Teestunden im popligen oder passablen bürgerlichen Ambiente ein. Sie sind Nachbarn unter Nachbarn. Niemand will ihnen an die Gurgel. Wo das allgemeiner Wille war, wurde die Tat auf der Stelle vollstreckt. Siehe Rumänien. Siehe Nicolae Ceausescu. Andere Diktatoren waren nicht Diktator genug. Sie waren die Generalsekretäre der Diktatur. Generalsekretär zu sein bedeutete nicht, Diktator zu werden. Stalins Epigonen waren, Gott sei Dank, keine Stalins. Die Sekretäre der Partei waren die Dogmatiker der Partei. Das war das Dilemma, das Diktatur ermöglichte.

Gerechterweise hätte der von Kogelfranz publizierte Band der Begegnungen mit den pensionierten Oberen der Ostblock-Politik „Gespräche mit Generalsekretären“ heißen müssen. Auch mit Rücksicht auf die aktiven, berenteten, verstorbenen Politiker des Westens, die es bei manchem Glase Wein zu mancher „augenzwinkernden Komplizenschaft“ mit den nun so eindeutig diskreditierten Despoten kommen ließen. Mit dem Titel des Buches Diktatoren im Ruhestand. Die einstigen Ostblockchefs im Gespräch geht der Verfasser forsch voran und bedient alle tagespolitischen Klischees. Auch im Text hält der gewiefte „Spiegel“-Schreiber mit der griffigen, vergleichenden „Spiegel“-Sprache Klischees vom „roten Zaren“ bis zum „Block-Fossil“ frisch. Wissend, wie wenig gleich die Gleichen waren, wie wenig gleich die gleichmacherischen Gesellschaften des Ostens. Polen konnte nicht, wie kein Land, an Albanien gemessen werden. Polen war nicht wie die Tschechoslowakei, nicht wie Ungarn. Die brüderlich verbundenen Generalsekretäre waren sich selten grün. Eine Wert-Schätzung, wie sie Gorbatschow und Jaruzelski füreinander hegen, ist die Ausnahme. Je kleiner die großen Generalsekretäre desto hämischer die Häme des Kollegen für den Kollegen. Häme ist unter dem Niveau des polnischen Patrioten, Humanisten, Intellektuellen Jaruzelski, den nun auch Kogelfranz dem Leser entdeckt. Große Offenbarungen bieten die Gespräche von Krenz (DDR) bis Alia (Albanien) nicht. Ein Grund für den Autor, die Gespräche eher zu referieren, zu interpretieren, statt sie ausführlich zu zitieren. Den Einzeldarstellungen vorangestellt, liefert der versierte Polit-Publizist den aufschlußreichen, das Wesentliche zusammenfassenden analytischen Essay „Sehnsucht nach dem Gefängnis?“, der auch ein unterhaltsamer Zeit-Geschichts-Bericht ist. Mit dem einführenden Essay schöpft der Verfasser den Rahm von seinem Buch ab. Was der Leser im Folgenden von den Rentnern ohne Reue zu hören bekommt, gibt nichts her, um die Geschichte neu zu bewerten. Auch nicht die Personen. Nicht die Länder Osteuropas. Nicht den Warschauer Vertrag. Nicht den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe. Nicht das gesamte sozialistische Lager. Nichts Neues aus dem alten Osten? Doch: das belebtere Bild einer politischen Welt, die Jahrzehnte Teil der Weltpolitik war. Personifiziert durch Namen, die nun noch einmal aufgerufen sind.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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