Eine Rezension von Karl-Heinz Arnold

Kolportage mit kleinen Fehlern

Michael Jürgs: Die Treuhändler
Wie Helden und Halunken die DDR verkauften.
Paul List Verlag, München 1997, 2. Auflage, 480 S.

Von der zweiten Auflage eines Buches möchte man erwarten, daß offensichtliche Unsauberkeiten und Fehler entfernt sind, am besten auch solche, die erst auf den zweiten Blick sichtbar werden. Diese Erwartung wird hier enttäuscht. Da wird unbewiesen und wahrheitswidrig behauptet, die von der Regierung Modrow gebildete (erste) Treuhandanstalt sei als „Sündenbock“ konzipiert worden. Da wird Günter Mittag zum „Wirtschaftsminister“ ernannt, „der in den 221 Kombinaten zur Kontrolle der Direktoren eine Stasi-Ebene installierte“ (was denn doch etwas anders vor sich gegangen ist). Da soll der unsägliche Gerhard Pohl gleich zweimal, nämlich „unter Modrow und unter de Maizière Wirtschaftsminister“ gewesen sein (was nur auf das letzte Kabinett der DDR zutrifft). Da ist von einer Geheimen Verschlußsache „b 5 1158/89“ die Rede, die SED-Spitzen kannten sie angeblich „spätestens seit dem 30. Oktober“. Aber bei der „Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlußfolgerungen“, aus der Jürgs einige Stellen zitiert, handelt es sich um die noch nicht beschlossene Politbüro-Vorlage „Geheime Verschlußsache ZK 02 - Politbüro - Beschlüsse 3./666 47/89 vom 31. 10. 1989“, Kurzsignatur ZK 02 47/89 - 666. Sie war vor diesem Datum nur den Verfassern, nicht dem Politbüro bekannt.

Da findet man - um den Bereich der Kleinigkeiten zu verlassen - Bemerkungen des Autors zum Treffen Kohl-Modrow am 3. 2. 1990 in Davos, die nur zurückhaltend als Erfindungen zu bezeichnen sind. Der Kanzler habe „seinem DDR-Kollegen“ dort „schon mal unter Brüdern geraten, sich intensiv um Begriffe wie Währungsunion zu kümmern und sich alle Gedanken aus dem Kopf zu schlagen, als Hilfe für seine Übergangsregierung der nationalen Verantwortung doch noch ein paar Millionen Mark Solidaritätsbeitrag zwecks Verwaltung seiner Schrotthalde zu bekommen“.

Tatsächlich hat Kohl in dieser von beiden Seiten zurückhaltend geführten Unterredung weder die angedeutete Tonart gewählt noch zu diesem Zeitpunkt einen Solidarbeitrag für die DDR abgelehnt. Er fragte Modrow vielmehr wörtlich „Was braucht die DDR?“ und bekam Antwort, die abschließend durch ein Papier ergänzt wurde. Das Stichwort Währungsunion ist von keiner Seite gefallen. In einer Aktennotiz, gefertigt am 5. Februar im Sekretariat Modrow, heißt es wahrheitsgemäß: „Kohl betonte, er halte die Währungsfrage für das wichtigste zu lösende Problem und suche ungeachtet wahltaktischen Verhaltens nach einem Weg, die DDR zu unterstützen. Unter dem Stichwort ,Währung‘ sollte man ihm doch binnen 48 Stunden zwei bis vier ,unorthodoxe Denker‘ benennen, mit denen eine ,spektakuläre‘ Aktion überlegt werden könnte (welcher Art, deutete Kohl nicht an)“.

Jürgs bemüht sich auch an anderer Stelle um freizügige Geschichtskorrekturen. Zu den damaligen Diskussionen über den Umtauschkurs Mark/D-Mark bei einer künftigen Währungsunion behauptet er: „Nur Insider kennen schon sehr viel früher die Kohl-Aussage, daß aller Wahrscheinlichkeit nach und trotz aller Bedenken eigentlich für Privatkonten 1:1 und in der Wirtschaft 1:2 gewechselt werden wird.“ Hierzu gehören „Insider aus der Begleitung Modrows, die am 6. Februar mit ihm in Davos waren, wo ihn Kohl schon mal vorab ins Bild gesetzt hatte“. Die Wahrheit ist: Modrow war bereits am 5. Februar mittags wieder in Berlin. Und weder in Davos noch sonstwo wurde er von Kohl „vorab ins Bild gesetzt“ - über Währungsunion und Umtauschkurs ist kein Wort gefallen. So haben auch die beiden einzigen „Insider aus der Begleitung Modrows“ nichts erfahren. Die Begleitung des Ministerpräsidenten in Davos bestand nämlich nur aus zwei Leuten, man flog zu dritt in der Touristenklasse einer Linienmaschine ab Berlin-Tegel; es waren dies der bewaffnete Personenschützer F. und Modrows Persönlicher Mitarbeiter A. Dieser war bei der Unterredung im Hotel Belvedere ebenso still zugegen wie Kohls Referent Neuner und Frau Kohl, zuständig für Tee, Kaffee und Petits fours (die unberührt blieben). Soweit eine notwendige Korrektur der Erfindungen des Michael Jürgs, eines ehemaligen Chefredakteurs des „stern“, von dem man Seriosität erwartet hätte.

Über 11 Kapitel wühlt der Autor sich professionell durch den weitgehend publiken Wust von Fakten, die zu Vorgeschichte, Geschichte und Nachwehen der Treuhandanstalt gehören, versucht ihnen neue Nuancen abzugewinnen oder hinzuzufügen. Aufgewärmtes über die für die DDR-Industrie tödliche Währungsunion ist ebenso flott zusammengestellt wie weniger Bekanntes zur Abwicklungs- und Honorarpraxis der Treuhand. Dies jedoch bleibt in der kritischen Substanz hinter einschlägigen Berichten des Bundesrechnungshofs zurück. Insgesamt ergibt sich aus der von Fakt zu Fakt hechelnden Schilderung der Eindruck, Jürgs habe zu wirtschafts- und währungspolitischen Zusammenhängen weniger Bezug als etwa zu Romy Schneider und Axel Springer, die er publizistisch vorgestellt hat. In diesem Buch erweist sich zudem die Machart des Illustrierten-Special als ungeeignet für die umfangreiche Darstellung einer komplizierten Materie mit Anspruch auf Akzeptanz durch Sachkundige. So nähert sich das Sachbuch der Kolportage.

Die branchenübliche Schnoddrigkeit eines Enthüllungsjournalismus kann die Schwächen des Buches vielleicht kaschieren. Manches ist kaum noch Geschmacksache, wirkt abstoßend. Beispielsweise wenn von der „Unfähigkeit der Ostdeutschen an sich“ die Rede ist oder ohne einen Hauch der Distanzierung ein Treuhandchef zitiert wird: „Selbst wenn man denen die modernsten Maschinen hinstellt, können die meisten damit einfach nicht umgehen.“ Jürgs bezeichnet die DDR-Bürger als „Volksgenossen“, damit jeder weiß, was er zu assoziieren hat, und meint, ein leitender DDR-Mitarbeiter der (neuen) Treuhandanstalt sei „nicht frei vom miefigen Stallgeruch des alten Stinkesystems“. Hierzu passend wird eine angeblich verbreitete westdeutsche Meinung über die Ostdeutschen mitgeteilt: „Irgendwie riechen die anders, und diesen Geruch ertragen Westler nur, solange sie die Zonis noch brauchen“. Die pseudorichterliche Attitüde, über Leute so zu urteilen, daß sie wie abqualifiziert erscheinen, verschont auch Treuhandmanager aus dem Westen nicht. So ist ein vom bayerischen Wirtschaftsministerium abgeordneter leitender Beamter „korrekt und unbestechlich, wenn auch ein Mann bar jeglicher Visionen und Strategien“.

Bei solchen häufigen, einer internen Personalakte würdigen Einschätzungen fragt man sich, woher der Autor wohl seine überheblichen Visionen bekommen hat. Das Buch legt mehrere Vermutungen nahe, Namen aus der Umgebung der Frau Breuel sind hochachtend genannt. Der Ex-Präsidentin selbst - „Ich habe mich immer als Anwalt des Ostens positioniert“ - wird jede denkbare Ehrenrettung zuteil. Der Versuch, einen pfleglichen Übergang der DDR in die Marktwirtschaft ohne die rasche und harte Hand der Anstalt zu denken, wird nicht unternommen. Jürgs wirft den „Machern aus Bonn“ von Westerwelle bis Kohl vor, „so zu tun, als hätte es nie eine Alternative gegeben“. Dies sei „allerdings gelogen. Sich für die Einheit feiern zu lassen und die Verantwortung für die Folgen auf andere zu schieben, mag politisch geschickt sein. Aber schamlos, denn die verantwortlichen Politiker waren nun mal die von CDU und CSU und FDP“. Aber auch der Autor selbst sieht keine denkbare Alternative, vertritt letztlich die These der von ihm gescholtenen Macher in Bonn mit eigenen Worten: „Der Vorwurf an die Treuhandanstalt, alles plattgemacht zu haben, stimmt deshalb so platt nicht. Es gab nicht mehr viel plattzumachen.“ So schreibt man wahre Geschichte.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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