Ein Rezension von Joachim Pampel

Dokumentarkrimi: Fortsetzung folgt?

Udo Frank/Beate Thorn: Paläste Pleiten Peanuts
Der Banken-Skandal Schneider.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1996, 399 S.

Lediglich Mord, Totschlag und andere blutrünstige Unfälle fehlen. Ansonsten sind fast alle Insignien kriminellen Geschehens gegenwärtig: Angst, Alkohol, Betrug, Charme als Waffe, Desorientierung, Entsetzen, Fluchthilfe, Geld, Haß, Intrige, Jagd nach Juwelen, Konspiration, Lüge, Meineid, Nötigung, Opfer, Pleiten, Quacksalberei, Rachegelüste, Scharlatanerie, Täuschung, Unterschlagung, Verhaftungen ...

X , Y und Z bleiben sowieso noch ungelöst. Denn es handelt sich schließlich um die Vorgeschichte eines gerade mal heranschwebenden Verfahrens: Nach fast dreijährigen Ermittlungen präsentierte die Frankfurter Staatsanwaltschaft am 6. Januar 1996 eine 466 Seiten umfassende Anklageschrift, über deren Hauptverhandlung die 29. Strafkammer des Landgerichtes der Mainmetropole noch entscheiden muß. Sie richtet sich wegen Betrugs, Kreditbetruges und betrügerischen Bankrotts vor allem gegen den Bauunternehmer Dr. Utz Jürgen Schneider und mit dem Vorwurf verschiedener Beihilfedelikte gegen dessen Ehefrau Claudia Schneider-Granzow, den früheren Bauzeichner Karl-Heinrich Küpferle und seinen iranischen Geschäftspartner Mehdi Djawadi. Und wenn das Gericht in diesem Sommer die Hauptverhandlung eröffnen sollte, könnte es eine sehr lange Geschichte werden, ein unendlicher alltäglicher Krimi sozusagen. Da kann es dann von Interesse sein, die Genesis des größten Bau- und Bankenskandals der letzten Jahrzehnte nachvollzogen zu haben.

Die Fernsehjournalisten Dr. Beate Thorn und Udo Frank zeichnen mit der Dokumentation über die im Verlaufe der Jahre 1994 und 1995 angestellten Recherchen, die unterdessen zu 12 Sendebeiträgen ihrer ZDF-Redaktion „Frontal“ führten, ein Protokoll des alltäglichen Verbrechens in tragenden Etagen dieser Gesellschaft. Das allein macht Paläste, Pleiten, Peanuts schon spannend genug für den, der es wissen will und der dafür genügend Zeit mitbringt. Und wie bei einem literarisch gestalteten, richtigen Krimi auch, ist diese sachliche Sammlung schillernder Geschäfte und profaner Betrügereien Abbild ebenso durchtriebenen wie undurchsichtigen Geschehens und voller Überraschungen. So entpuppt sich das Benutzen Abhängiger wie das von Schneiders Bauzeichner Karl-Heinrich Küpferle als bereitwilligen Bauzeichnungskorrektor schnell zur billigen aber milliardenbringenden Betrügerei. Den mit Tipp-Ex und Schnippelscher vorgenommenen Brutto- und Netto-Angaben-Austauschen, die laut Küpferle gegenüber den BKA-Ermittlern „dem genauen Betrachter hätten auffallen können“, stehen die Betriebsergebnisse der wechselnden Schneider-Gutachter kaum nach. Mit manipulierten Mietpreisen konnten zwar keine soliden Erlöse der Prestigeobjekte Zeil-Galerie, Frankfurt/Main, Palais am Lenbachplatz München, dem Wiesbadener Hotel „Rose“ oder den in Berlin erworbenen drei Objekten erzielt werden, wohl aber wurden hohe Kredite erwirtschaftet. Daß 17 Banken, zuvorderst die Deutsche Bank, ihren eigenen Angaben zufolge nur als Betrogene mitmischten, anstatt ihrem natürlichen Geldvermehrungsdrang zu folgen, gehört dann wohl zu den - allerdings profanen - „Überraschungen“.

Obwohl diese Art Spannungen des Dokumentarkrimis weniger der Kunst der Autoren zuzuordnen ist, kann sich eine Darstellungs-Methode beider durchaus an den Maßstäben waschechter Kriminalliteratur messen lassen. Mit dem Bau- und Immobilienhai Schneider ist der Haupttäter zwar schnell geortet, aber noch lange nicht gefaßt. Als das ZDF-Team Frank/Thorn am 11. Mai 1995, fast ein Jahr nach dem deutschen Haftbefehl, ein Tonband mit der Stimme des seitdem „auf Anraten der Ärzte an unbekannten Ort in Urlaub“ Flüchtigen erhält, beginnt nicht nur die übliche Verfolgungsjagd bis zu der zwei Tage später erfolgenden, in diesem Fall unspektakulären und sogar komische Züge tragenden Ergreifung. In diesen Zwei-Tage-Spannungsbogen packen die Autoren den ganzen Prozeß ihrer seit 1994 andauernden Recherchen, Veröffentlichungen und Verwicklungen. Und dabei gelingt ihnen, im alltäglichen Geflecht des gewöhnlichen kapitalistischen Geschäftsgebarens ein schillerndes kriminelles Spektrum aufzublättern. Sie fördern ein Beziehungssystem zutage, dessen innere Quelle sich aus den Abgründen zwischen gemeinnützigem Aufklärungsanspruch und krimineller Energie zu speisen scheint. Kreditgeber und Geldwäscher tummeln sich darin ebenso wie Fluchthelfer und Nachrichtenhändler, Anwälte und alle Arten Abzocker, Finanziers und Filous, Polizisten und Pleitiers.

Daß die geprellten Mittäter weder des Täters selbst habhaft werden noch ihre bei Schneiders Bau- und Immobilienlotterie zur Vermehrung eingespielten Millionen zurückbekommen, versteht sich in diesem kriminellen Umschlagprozeß von selbst. Irgendwie muß ja alles den normalen Gesetzen der Gesellschaft entsprechen.

So kann man denn von den Dokumentaristen nicht verlangen, dem eigentlich kriminellen, aber eben durch diese Normalität geschützten Verbrechen weiter nachzuspüren, als die Handelnden des Vorganges das tun. Hessens Finanzminister Ernst Weltecke, in dessen Blickfeld sich wesentliche Momente des Kriminalgeschehens vollzogen, bedauert dann auch resignierend, daß „gegen kriminelle Energie, Gutgläubigkeit und Verletzung der Sorgfaltspflicht kein Gesetz helfen“ könne.

Bisher haben die Ermittlungsbehörden auch noch keine greifbaren Hinweise dafür gefunden, daß die „Banken wußten, daß Schneider lügt“. Für den Prüfbericht Dr. Ludwig Stauchs vom „Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen“, worin ein Mitverschulden der Banken an Schneiders Pleite, insbesondere durch „Sorgfaltspflichtverletzung bei der Kreditbearbeitung“, konstatiert wird, hat sich noch kein anwendender Ankläger gefunden. Dagegen ist bekannt, daß die Deutsche Bank, deren Vorstandsprecher Kopper die von Schneider unbezahlten Handwerkerrechnungen in Millionenhöhe als Peanuts gegenüber seinen 1,5 Mrd. Forderungen an den Pleitier bezeichnete, 1995 trotz (oder infolge?) ihrer Gesetzesverstöße 400 Millionen Steuern mittels Wertberichtigung einsparte und zudem einen gigantischen Jahresüberschuß von 1,2 Milliarden DM erzielte ...

Ein neuer Krimi mit Beginn des Schneiderprozesse im Sommer 1997? Vor überspannten Erwartungen wird gewarnt: Geld stinkt nicht, und das der Banken nun schon überhaupt nicht ...


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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