Analysen · Berichte · Gespräche · Essays

Kurt Wernicke

Delegitimierender Umgang
mit Bildern, Ritualen
und Symbolen

Von den Problemen mit einer „provozierenden“ Ausstellung

Recht gewichtig und anspruchsvoll kommt ein Katalog daher, der in Titel und Cover eigentlich so gar nicht dem offenbar anvisierten Anspruch gerecht werden kann, wie ein gewohnt seriöser Katalog einer Kunst- oder wissenschaftlichen Ausstellung angenommen zu werden. Parteiauftrag: ein neues Deutschland soll eigentlich den begleitenden Katalog zu der gleichnamigen Ausstellung abgeben, die das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin, im Zeughaus Unter den Linden, vom 13. Dezember 1996 bis zum 11. März 1997 zeigen wollte, dann aber noch bis in den Mai verlängerte - wegen der großen Publikumsresonanz, die man in solchen Fällen immer als Begründung anzuführen pflegt; aber die nach anderthalb Monaten stolz genannte Zahl von „bereits“ 20 000 Besuchern stellt sich doch eher bescheiden dar gegenüber echt problematisierenden Ausstellungen wie Marianne und Germania zum deutsch-französischen Verhältnis im 19. Jahrhundert: deren Besucher zählen, auch in Berlin, nach Hunderttausenden! Was das DHM zu einer PR-Offensive hinsichtlich der Ausstellung trieb, dürfte eher die Überraschung gewesen sein, wie wenig das Publikum aus den neuen Bundesländern mehr als sieben Jahre nach dem dort stattgefundenen „deutschen Oktober“ noch bereit ist, denunziatorische Verzerrungen seines anders als nach den Riten der Alt-BRD gelebten Lebens unkritisch über sich ergehen zu lassen.

Die mit pastosem Pinsel angerichtete Horror-Schau - die, wie man aus dem Programm zum Berliner Museumsmonat 1997 erfahren konnte, den fünften Teil „einer großangelegten Ausstellungsserie zur Kulturgeschichte der DDR“ darstellen soll (als einer der vorhergehenden Teile ist dann auch das Unterfangen von 1994 anzusehen, einer erstaunten Weltöffentlichkeit einreden zu wollen, Auftragskunst habe es nur in der DDR gegeben) - bedient zwar sämtliche Vorurteile von Minchen Niesfisch aus dem reichen Westen über die Ursprünge des Andersseins der armen Verwandten im Osten (und das wird durch eigens dafür angestellte West-Youngsters mit ihrer großen Eigenerfahrung zum vorgestellten Thema noch unnachahmlich erläuternd unterstrichen), aber sie hat doch auch zu deutlichem Widerspruch geführt, der sich u.a. ungeschminkt im Gästebuch äußert. Das veranlaßte immerhin einen der gestalterischen Protagonisten, in einem Auftritt in der „Spätabendschau“ des Berliner Fernsehsenders B1 unterschwellig anzudeuten, daß alles an der Ausstellung seriös und im Ranke'schen Sinne unparteiisch sei, und daß daher die Kritikaster nur nostalgisierende DDR-Funktionsträger sein könnten.

Solcher Argumentation war allerdings die Luft ausgegangen, seit kein Geringerer als der Mitbegründer des Neuen Forum, Prof. Jens Reich, Anfang Februar seinem Unbehagen an der schamlosen Verzeichnung öffentlichen Ausdruck verlieh. Unter der Überschrift „In der Sackgasse“ legte er den Finger auf etliche leicht sichtbare Wunden des DHM-Erzeugnisses, das sich selbstgefällig mit Beuteobjekten aus dem Fundus des 1990 intrigant geschluckten Museums für Deutsche Geschichte spreizte: daß die Ansammlung drögen Agitationsmaterials nichts, aber auch gar nichts über dessen Rezeption aussage; daß die Überlegenheitsmanie der Besser-Wessis trefflich bedient werde, was noch untersetzt werde durch das Gewäsch von begleitenden Twens, die genau zu wissen vorgäben, wie es wirklich war; daß schon konzeptionell die Frage nach der Nähe von DDR-Agitprop und allgemein präsentem Nachkriegs-Zeitgeist ausgeklammert worden sei; und: daß ein Vergleich mit westdeutscher NS-Bewältigung 1945-1961 wesentlich weniger Siegermentalität bedienen würde! Reich warf abschließend die Frage auf, ob die im Westen mit Unbehagen notierte ostdeutsche Verdrossenheit gegenüber den unbestreitbaren Werten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vielleicht gar nicht so sehr in der vorhergegangenen Indoktrination wurzele (was schon andere Ausstellungen des der traditionell staatsnahen Zeughausatmosphäre erlegenen DHM zu belegen suchten, K.W.), sondern in dem nach 1990 erneut bestätigten Mißtrauen gegenüber jedweder Indoktrination - wie sie eben auch und wiederum die infragestehende Ausstellung betreibe... Natürlich standen Jens Reich für seine Bemerkungen weder die Seiten der tiefschwarzen FAZ noch die der bündnisgrünen taz offen: Es war „Die Zeit“ vom 7. Februar, in der er sich äußern konnte (S. 51).

Dem DHM kamen Reichs Bemerkungen insofern zupaß, als es nun im Zuge seiner PR-Bemühungen um die Agitationsorgie sogar eine Podiumsdiskussion veranstalten konnte, zu der auch Jens Reich eingeladen wurde. Bei ihr kam erwartungsgemäß außer der Feststellung unterschiedlicher Positionen nichts heraus. Nichts? Nun denn, es kam heraus, daß der Fernsehauftritt im B1 wie die Podiumsdiskussion angesichts der unerwartet bitteren Reaktion auch eine Alibifunktion wahrzunehmen hatten: Der verantwortliche „Macher“ der Schau behauptete, daß er und seine Mitmacher auch etwas provozieren wollten; auf Murmeln im Publikum hin mußte er natürlich zugeben, daß das a posteriori immer und von jedem gesagt werden könne. In der distanzierenden Sprache eines - nicht immer, aber doch zumeist - liberalen Presseorgans wie der „Süddeutschen Zeitung“ wurde das Vorgeführte immerhin noch als „radikal didaktische Ausstellung“ klassifiziert - und als solche paßte das Ganze durchaus zum genius loci, der schon Ludendorff, Goebbels und Albert Norden sich hatte „radikal didaktisch“ betätigen lassen.

Der voluminöse Begleitband zu der Ausstellung fordert nun doch zu ehrlichem Erstaunen heraus, denn er hebt sich in weiten Strecken wohltuend von dem staatsnahen Agitationsauftrag ab, den die Ausstellung gern erfüllen mochte: Ein ganzes Aufgebot an z. T. wirklich sachkundigen Autoren äußert sich in dem Katalog - der ehrlich genug direkt „Begleitband“ genannt wird - zu Themen, die so oder so mit dem Streben der DDR nach eigener Identität zusammenhängen. Die Illustrationen zu den einzelnen Artikeln sind gut mit den Themen verbunden (nur auf S. 107 wird ein SED-Plakat für Wahlen in West-Berlin in den fünfziger Jahren fälschlich in das Jahr 1946 versetzt) - um so deutlicher heben sich die zwischen die Artikel eingestreuten Wiedergaben von in der Ausstellung präsenten Schaukästen ab, mit denen wohl (einem Sponsor?) vorgegaukelt werden soll, daß es sich bei dem umfänglichen Buch um einen wirklichen Katalog handele. Das führt teilweise zu kuriosen Bezugnahmen; so werden die Schaukästen „17. Juni 1953“ und „Staatsfeinde“ zwischen einem Artikel zur agitatorischen Verwertung der Stalin-Note vom 10. März 1952 (H. Stoecker) und einem zum Widerspruch zwischen SED-Propaganda für die deutsche Einheit und solcher zur sozialistischen Landesverteidigung (G. Holzweißig) plaziert. Dem sauber gedruckten und bestens grafisch gestalteten Titel würde es an nichts fehlen, wenn die Pflichtübungen zur Wiedergabe der thematischen Vitrinen fortgefallen wären. Daß Konzeption von Ausstellung und Buch keineswegs deckungsgleich sind, ist derart augenfällig, daß selbst der Herausgeber (der mit dem „Macher“ der Ausstellung identisch ist) in seinem Vorwort darauf eingeht und eine Begründung versucht, weshalb es „einigen Autoren“ (also nicht dem Herausgeber!) sinnvoll erschien, hier und da über den 13. August 1961 hinauszugehen. Gott sei Dank, möchte man sagen, denn so sind z. B. kurzgefaßte, aber inhaltsreiche Übersichten zur DDR-Münzgeschichte und zur DDR-Ordensschwemme verfügbar, auf die man gern zurückgreifen wird.

Das Vorwort ist übrigens ausgesprochen überheblich und explizit verzeichnend. Es ist ein Gegenbeweis gegen die Behauptung seines Autors in der angeführten Podiumsdiskussion, das agitatorische Unternehmen sei absichtlich provokativ konzipiert worden, um Reaktionen anzuregen. Denn dieses Vorwort formt sich, um die Siegermentalität selbstgefällig zu bedienen, notgedrungen die historischen Fakten so, wie sie zu einer dreisten Argumentation gebraucht werden, die von gutem Gewissen nur so trieft und nach eingebrachten bzw. mitgeschleppten Defiziten des deutschen Staates der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht fragt; man muß offen lassen, ob der Herausgeber eigentlich die Beiträge des Bandes alle zur Kenntnis genommen hat: Da wird von ihm behauptet, die KPD habe 1945 keineswegs den von ihr erwarteten massenhaften Zulauf gehabt - immerhin brachte sie es aber doch in der SBZ bis Ende März 1946 auf 590 000 Mitglieder (J. Schütrumpf anerkennt /S. 199/ gerade für 1945/46 eine Tendenz zur politischen Radikalisierung der Bevölkerung!); so werden generell der DDR bis 1960 wirtschaftliche Erfolge abgesprochen - ausgerechnet für jene Zeit, als sich die DDR-Wirtschaft mühsam genug aus ihren Kriegs- und Nachkriegsschäden herauswand und z. B. eine beachtliche Werftindustrie schuf; da wird mitleidig bemerkt, „kein Pfund Äpfel konnte man kaufen, ohne daß sie in Friedenspropaganda eingetütet waren“ (S. 15): ach Gott, da geht es dem Herausgeber doch wie den SED-Politbürokraten, die auch auf ihre eigene Propaganda hereinfielen und sie (oder auch nicht) für bare Münze nahmen! Wie leicht man Opfer eigener Häme werden kann, offerierte unlängst überzeugend eine in Berlin-Mitte erscheinende Tageszeitung, als dort ein Autor in einen ansonsten referierenden Beitrag einstieg mit der wirklich ernst gemeinten Feststellung, die Ostdeutschen hätten statt „Engel“ noch 1989 „Jahresendflügler“ gesagt (Berliner Zeitung, 12. 3. 97, Beilage, S.VI). Das Unterschlagen dieses nun bald totgerittenen Stereotyps in Ausstellung wie Begleitband liefert ein zusätzliches Indiz dafür, daß die jetzt eingeforderte a-priori-Absicht der Provokation nur eine nachträgliche Rechtfertigung ist: Wer mit voller Absicht hätte zur Diskussion provozieren wollen, der hätte sich die „geflügelte Jahresendfigur“ keinesfalls entgehen lassen dürfen!

Auch die gebetsmühlenartig - so natürlich auch an dieser Stelle (S. 14) - ins Spiel gebrachten 3,5 Millionen Menschen, die das Territorium der DDR 1945 bis 1961 Richtung Westen verließen, zeugen von einem Selbstverständnis, das angesichts der bemerkenswerten westwärts gerichteten Migrationsbewegung aus ebendiesem Territorium auch nach den freien Wahlen vom März 1990 doch weniger hochmütig daherkommen sollte. Natürlich waren die Fleischtöpfe Ägyptens seit biblischen Zeiten verführerisch, und so ist der seit Beginn der Industriellen Revolution festzustellende Ost-West-Wanderungsdrang durch die Existenz der DDR keineswegs zum Erliegen gekommen, zumal die DDR bekanntlich - muß es denn immer wieder repetiert werden? - die aus der gesamtdeutschen Niederlage resultierenden Reparationen faktisch allein zu bezahlen hatte. Da das Sein offenbar doch das Bewußtsein zu bestimmen scheint, ist eine hohe Zahl von DDR-Flüchtlingen bzw. -Übersiedlern also gar nicht so verwunderlich - wenngleich natürlich kein Ruhmesblatt und bekanntlich Anlaß für den Verzweiflungsakt vom 13. August 1961. Höchst verwunderlich ist allenfalls das Kleben an der magischen Zahl 3,5 Millionen; dahinter verbergen sich ja keineswegs 3,5 Millionen reale Menschen, sondern 3,5 Millionen „Aufnahmefälle“, und nie hat im zuständigen Bundesministerium jemand danach gefragt, wie oft einundderselbe reale Wanderer zwischen zwei Welten (wie etwa der prominente Schauspieler Wolfgang Kieling) zum wiederholten „Aufnahmefall“ wurde ... Welcher ältere einstige DDR-Bürger kann sich nicht an den bis zum 13. August 1961 oftmals geübten Trick erinnern, mit dem junge Ehepaare sich die Zuweisung einer Wohnung beschafften: „Republikflucht“, dann reumütige Rückkehr und Inbesitznahme einer eigenen Mietwohnung, die aus einem Fonds für „Rückkehrer“ beim Wohnungsamt kam? Eine seriöse Publikation würde doch mit den immer noch überzeugend genug wirkenden seriösen statistischen Zahlen arbeiten. Für ein wissenschaftliches Anliegen lohnt es schon, auf diese einen Blick zu werfen: nach der vom Kontrollrat angeordneten Volkszählung von 1946 betrug die Einwohnerzahl des sowjetisch besetzten Territoriums am 31. 12. 1946 18,629 Mio, und sie wuchs durch Aussiedler, Vertriebene, Heimkehrer bis 31. 12. 1948 auf 19,044 Mio an. Am 31. 12. 1961 betrug sie 17,079 Mio. Das ergibt also einen Abzugsverlust von netto 1,965 Mio Einwohnern, und selbst bei einem gewissen, für die fünfziger Jahre greifenden Geburtenüberschuß und die Berücksichtigung von vielleicht 70-100 000 Zuwanderern aus dem Westen (auch die gab es ja!) ergibt das keinen Nettoverlust von 3,5 Mio, sondern allenfalls von höchstens 2,2 Mio. Und dazu kommt noch die Überlegung, daß in dem realen Nettoverlust auch jene Vertriebenen enthalten sind, die nach vorübergehender Aufenthaltszuweisung in der SBZ weiterwanderten, um in den Westzonen angesiedelte Verwandte als Startpunkt für besseres Einfügen in ihre brutal veränderte Lebensumwelt aufzusuchen! Aber zum festgefügten Geschichtsbild der Delegitimierer gehört eben die Fixzahl 3,5 Millionen, und sie wird der deutschen Geschichtsschreibung ebenso erhalten bleiben wie die Fixzahl 18. Januar 1871, an der nach allgemeiner deutscher Schulbildung - allerdings zu Unrecht - die Geburt des wilhelminischen Deutschen Reichs festgemacht ist ...

Der sich vom Vorwort deutlich abhebende Text des Begleitbandes ist in sechs Hauptabschnitte eingeteilt, über deren Vordergründigkeit man streiten könnte - aber im wesentlichen sind doch die relevanten Bereiche abgesteckt, auf denen die SED auf den Spuren des Marxismus-Leninismus die Marx'sche These „Das Sein bestimmt das Bewußtsein“ auf den Kopf stellte und, Lenin folgend, ein Bewußtsein erzeugen wollte, das das Sein zu akzeptieren, zu verklären und in die gewünschte Richtung zu lenken hatte. „Staat und Partei“, „Legitimation und Tradition“, „Feiern und Schenken“, „Unsere Menschen“, „Agitation und Propaganda“ (diese naturgemäß am umfangreichsten) sind die eigentlichen Themengruppen, während das abschließende „Überleben in der Erinnerung“ dazu dient, West-Rezipienten summierende Erklärungen für „Ostalgie“ zu geben. Um es vorwegzunehmen: H. D. Schurdel (Die Hoheitssymbole der DDR), H. Bluhm (Adaption des Befreiungskriegs 1813 in der DDR), M. Gibas (Frauenleitbild und Sozialisationswirkungen), H. Gottschlich (Gründungsgeschichte der FDJ), M. Kunzel (Münzen und Banknoten der DDR), K. P. Merta (Uniformierung als Mittel der Politik; Fahnenkult in der DDR; Orden und Ehrenzeichen), A. Michaelis (Leistungssport als Mittel der Auseinandersetzung der Systeme), D. Müller (Nationales Aufbauprogramm Berlin / Stalinallee), J. Rösler (Planwirtschaft und Produktionspropaganda), J. M. Schulz (Medien und Propaganda) legen durchaus kritische, manchmal ganz unnötig höhnende, aber im wesentlichen sachlich analysierende Ausarbeitungen vor, zu denen man aus informatorischem Bedürfnis immer 'mal wieder greifen wird - obwohl Kommentare angebracht sind: Merta spart z. B. den NVA-Stahlhelm aus, von dem man doch jetzt ruhig erfahren kann, daß er bereits 1943 in Thale beschossen und nach positiven Ergebnissen für die Wehrmacht produziert, aber dort nicht mehr eingeführt worden war; Gibas' abschließendes Zitat aus einem der berühmt gewordenen Maxie-Wander-Interviews, mit dem die heimliche Sehnsucht nach nicht näher definierter „ganz fraulicher“ Selbstverwirklichung noch schnell ins Spiel gebracht wird, erzeugt angesichts der nun eingetretenen Situation auf Selbstverwirklichung fixierter Ost-Frauen nur ein bitteres Lächeln ... Mit einigem Abstand und etlichen Abstrichen wegen der oftmals artifiziell eingebrachten Häme gilt die Einschätzung auch für W. Ranke (Der Umgang mit NS-diskreditierten Riten und Symbolen der Arbeiterbewegung), wo analytisch vorgegangen wird und die Misere der „alten Garde“ - übrigens, was Ranke übergeht, von kommunistischer wie sozialdemokratischer Herkunft - benannt wird, die nur zu gern auf die Symbole ihres spezifischen Arbeitermilieus zurückgreifen wollte und im Spannungsfeld zwischen den zumeist NS-mäßig verfälschten Traditionen (die ja zu bekämpfen waren) und der Zweckmäßigkeit des Anknüpfens an mental fest verankerte Symbole für die neuaufgerichteten Ziele des Anti-Faschismus (besonders bei der Jugend) vor unausweichlichen Reibungen stand. Die tiefe Verankerung der SED-Prominenz der ersten Generation im Milieu und den Erfahrungswelten der deutschen Arbeiterbewegung geht den Autoren (mit einer deutlichen Ausnahme: J. Rösler) nicht auf, was zu köstlichen Defiziten führt: G. J. Glaeßner, der eigens über „Selbstinszenierung von Partei und Staat“ sinniert und wenigstens einige Rückgriffe auf proletarische Kultursphäre von vor 1933 parat hat, weiß bei der denunzierten Choreographie des Auftritts von Grotewohl und Pieck mit dem „historischen Händedruck“ am 21. April 1946 nicht, daß auf Grotewohls Vorschlag eine Wiederholung des Auftritts von Crispien und Wels auf dem Nürnberger Vereinigungsparteitag von SPD und USPD am 24. September 1922 ablief. Ähnliches gilt natürlich auch für die Inszenierungen zu den Aufmärschen und Feiern des 1. Mai (K. Protte) - wobei der weniger von Überlegenheitshochmut geprägte Leser sich unwillkürlich fragt, wie spontan wohl Papst-Besuche, Kirchentage, Bundessportschauen und Bundesschützenfeste abzulaufen pflegen.

Auch einer der insgesamt vier Beiträge von J. Schütrumpf (Antifaschismus in der DDR) zeichnet sich neben der pflichtgemäßen Häme durch ein beträchtliches Maß an Seriosität aus. Dennoch fordert der Beitrag natürlich insofern zu Widerspruch heraus, als er schlankweg behauptet, die DBD sei „für die in der Nazi-Zeit durch die Erbhof-Gesetzgebung privilegierten Bauern“ (S. 145) geschaffen worden: Ein ernsthafter Historiker würde da doch gern um irgendeinen Beleg bitten! Was überhaupt den zweifellos ritualisierten (aber jetzt gern „verordnet“ genannten) Antifaschismus angeht, so kann man sich guten Gewissens einer Aussage von Heinz Knobloch anschließen, die da lautet: „Was den der DDR angelasteten ,verordneten‘ Antifaschismus betrifft, es gab ihn. Aber nach heutigen Vorkommnissen in Deutschland beurteilt, ist mir ein verordneter Antifaschismus immer noch lieber als gar keiner...“ (in der Vorbemerkung zur 1993 erschienenen 2. Auflage seines zuerst 1990 publizierten Buches Der beherzte Reviervorsteher). Auch die mit gewissem Recht zur Lachnummer gemachte Identifizierung des alltäglichen Arbeitsplatzes mit einem „Kampfplatz für den Frieden“ bekommt natürlich angesichts inzwischen gemachter Erfahrungen mit einer liberal-demokratischen (so definiert auf S. 25 des Begleitbandes) Gesellschaftsumwelt einen neuen Stellenwert vor der traurigen Realität, daß der Arbeitsplatz für Millionen Deutsche ein Kampfplatz zur Erhaltung ihrer Hoffnung auf Menschenwürde und individuelle Selbstbestimmung geworden ist, an den sich einige sogar durch Eindringen in die Bundestags-Bannmeile klammern.

An J. Schütrumpf wird deutlich, wie sehr Jens Reich mit seiner Beschwerde recht hat, daß in der Ausstellung - und, müssen wir ergänzen, im Begleitband mit einer einzigen Ausnahme desgleichen - jeder Seitenblick auf gleichzeitige Vorgänge in der Bonner Republik ausgespart wurde. Wie stand es denn mit dem Schicksal des 1945 auch dort beschworenen Antifaschismus und vieler, vieler Antifaschisten in der BRD? Bekamen dort nicht auch jene, die sich nicht in das vorgegebene Grundmuster einpaßten, „Stockschläge auf den Magen“ (vom West-Berliner Innensenator Lipschitz erfunden) bzw. wanderten gar rechtsstaatlich hinter Gitter? Immerhin hat es nicht in der DDR der fünfziger Jahre ein Gesetz Nr. 131 gegeben, das NS-Richtern und NS-Beamten ihre Wiedereinstellung im einstigen Rang garantierte; und wenn wir uns recht erinnern, war es nicht der Bebel-Duzfreund Pieck, der dem SS-Generaloberst Paul Hausser unter dem Datum 17. Dezember 1952 schriftlich die Ehrenhaftigkeit der Waffen-SS bestätigte, sondern der Pferdmenges-Duzfreund Adenauer. Wer mit vollem Recht die Auflösung der VVN in der DDR anprangert, könnte doch wenigstens in einer Anmerkung mitteilen, daß die VVN in der BRD aufgrund einer Anzeige des Bundesinnenministers zu einem Verbotsprozeß vor das Bundesverwaltungsgericht gezerrt wurde und im November 1962 dem Damoklesschwert nur deshalb entging, weil lautstarke internationale Proteste und der höhnische Nachweis der NS-Vergangenheit des Gerichtsvorsitzenden zur Vertagung des Prozesses ad calendas Graecas zwangen ...

Besonders hübsch kommt der mehrmals anzutreffende Hohn zum Personenkult hinsichtlich Wilhelm Piecks daher: Tatsächlich wird (S. 32) die Popularität Adenauers als Herausforderung für eine Vaterfigur in der DDR beschworen (die u. a. auch die aus der deutschen Geschichte - auch und explizit der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung! - herrührenden und zu Recht angeführten „paternalistischen Tendenzen der SED“ bediente), ohne schamrot den zeitgenössischen Adenauer- und Erhard-Kult zu reflektieren, mit dem ganze Bundestagswahlkämpfe bestritten wurden. Dabei wissen es doch einige Autoren durchaus besser, wie sehr der Kalte Krieg an seiner europäischen Nahtstelle beide deutsche Seiten involvierte: Die im vorliegenden Band vertretenen Autoren G. Diesener und R. Gries fungierten 1996 als Herausgeber eines Sammelbandes Propaganda in Deutschland. Zur Geschichte der politischen Massenbeeinflussung im 20. Jahrhundert. Selbst das DHM hat auf seiner seriösen Strecke 1992 eine vielbeachtete Ausstellung (Der Kalte Krieg in Deutschland 1945-1963) offeriert, die sich mit der Selbstdarstellung und dem Feindbild der beiden deutschen Staaten im Kalten Krieg beschäftigte, und der Herausgeber des jetzigen Begleitbandes zeichnete damals sogar verantwortlich für den durchaus sachlichen Katalog, der beide Seiten ohne Vorurteil beleuchtete (er weiß es also, soweit ihm nicht Alzheimer zu unter stellen ist, weitaus besser, als er nun tut ...). Aber das war damals ein letzter Ausläufer jener kurzen Zeit (Sommer 1989 bis Sommer 1990) friedlicher Koexistenz zwischen DHM und Museum für Deutsche Geschichte, an deren Stelle seither der Auftrag zur Delegitimierung der DDR getreten ist.

Dabei ist das gute Gewissen der Delegitimierer bestens entwickelt, weil man gar nicht auf die Idee kommt, kritische Fragen an die vertrauten eigenen Lebensmuster zu stellen: Stolz berichtete der Generaldirektor des DHM anläßlich der Eröffnung einer Ausstellung zu den Sammlungen und Erwerbungen seines Museums, daß man die Leuchtreklame von einer Brücke über der Autobahn Berlin-München erworben habe (inzwischen hängt sie im DHM-Foyer), die da „Plaste und Elaste aus Schkopau“ anpries und den - wörtlich - „herostratischen“ Versuch der DDR belege, eine eigene deutsche Sprache zu schaffen. Vom Boden einer verludernden Muttersprache her, die keine Kinder mehr, sondern nur noch Kids kennt, die Arbeit durch den Job und das Erholen durch Relaxen ersetzt sowie das Werbungswort unkaputtbar erfunden hat, gerät das Recht zu solchem hochnäsigen Urteil zwar ins Zwielicht - aber das kommt angesichts des verbissen verfolgten Delegitimierungskonzepts offenbar den Delegitimierern nicht in den Sinn. Es fällt zudem auf, daß zwei besonders augenfällige Höhepunkte der SED-Propaganda in den fünfziger Jahren weder thematisch noch in Schaukästen abgearbeitet werden: die Volksbefragungen vom Juni 1951 (Für Friedensvertrag mit Deutschland oder für Remilitarisierung?) und vom Juni 1954 (Für Friedensvertrag und Abzug der Besatzungstruppen mit bzw. aus ganz Deutschland?) fehlen. Warum wird nicht die jeweilige SED-Propaganda - wenn schon nicht analysiert, so doch wenigstens - angeprangert, mit der die Bevölkerung veranlaßt wurde, bei Abstimmung in der Kabine mit 95 bzw. 93 Prozent für einen Friedensvertrag (und 1954 zudem für Abzug der Besatzungsmächte) zu stimmen? Weil das Grundgesetz solche Volksabstimmungen nicht kennt und daraus Fragen entstehen könnten? Weil das Problem der Besatzungsmächte (bzw. seit 1955 Verbündetenkontingente) seit dem Ende des Kalten Krieges neu überdacht werden müßte, aber ganz im Gegenteil in einer Verschwörung des Schweigens unter der Decke gehalten wird?

Leuchtend hebt sich von der geradezu böswilligen Ausklammerung eines kritisch-sezierenden Systemvergleichs zur Bundesrepublik der schöne Grundsatzartikel von H. Münkler („Das kollektive Gedächtnis der DDR“) in der Themengruppe „Überleben in der Erinnerung“ ab, in die neben dieser tiefauslotenden Analyse nur noch zwei läppische Aufsätze eingeordnet sind, die ebenso an anderer Stelle hätten auftauchen können: Offenbar soll der schlüssigste Beitrag des ganzen Bandes nicht die Ehre einer abschließenden Thematisierung genießen. Münkler untersucht unter seinem Begriff „kollektives Gedächtnis“ das, was in der DDR „Geschichtsbewußtsein“ genannt wurde, und kommt im Vergleich von BRD und DDR auf deren Gründungsmythen zurück: für die DDR der antifaschistische Widerstand; für die BRD Währungsreform und Wirtschaftswunder. Man muß Münkler zustimmen, wenn er nüchtern feststellt, daß im Bewußtsein der Bundesbürger der reale Alltag mit seiner starken D-Mark immer wieder nachdrücklich den BRD-Gründungsmythos reflektierte, während der DDR-Gründungsmythos mit jedem Jahr blasser und blasser wurde - der Schreiber dieser Zeilen hat selbst erlebt, wie das Auftreten immer mehr vergreisender anfaßbarer Widerstandskämpfer bei Kindern und Jugendlichen der DDR zunehmend die gegenteilige statt die beabsichtigte Vorbildwirkung erzeugte. Wo die auf eigenen Erfahrungen aufbauenden Mythen (das „kommunikative Gedächtnis“) nicht mehr greifen, bedarf es zur Rechtfertigung eines „kulturellen Gedächtnisses“, das den Boden für das Einpassen der Gegenwart in einen gewissen Ablauf (von wem oder was der auch immer bestimmt sein möge) hergibt. Dieses - nennen wir es althergebracht und vertraut - Geschichtsbild beruht nach Münkler auf drei Säulen: der narrativen, der rituellen und der ikonischen. Da haben wir in kürzester Form den Hintergrund aufgedeckt für den gedanklichen Ansatz der Politbürokratie für Geschichtspropaganda, rituelle Feiern und das Überziehen des Landes mit Gedenkstätten und Denkmalen! Wenn Münkler dabei jene Kapriolen beim Namen nennt, die die DDR-Geschichtswissenschaft schlagen mußte, um unangenehme Tatsachen zu übergehen oder zurechtzubiegen, so bleibt auch dem Beteiligten wirklich nur die Einsicht in tatsächlich abgelaufene Prozesse der Verdrängung oder gar Verfälschung. Allerdings hängen solche Vorgänge nicht ursächlich mit Kommunismus, SED oder DDR zusammen, sondern mit dem ganz objektiven Legitimationsbedürfnis neuentstandener Staaten, die ihrem Staatsvolk nach der ersten Euphorie in den unausweichlich folgenden Bedrängnissen des Alltags keineswegs zumuten können, sich lediglich als Ergebnis politischen Kalküls zu sehen: Slowenen, Slowaken, Belorussen, Moldawier, türkische Zyprioten stehen jetzt z. B. vor demselben Problem, vor dem schon 1919 etwa die Esten und Letten standen, nämlich sich eine motivierende Nationalgeschichte zusammenzubasteln. Und vielleicht darf daran erinnert werden, daß der 1990 schnell wieder ad acta gelegte, in den achtziger Jahren erfundene „Verfassungspatriotismus“ als identitätsstiftend gedachte Nationalmotivation der BRD auch als Kunstblume auf dem Reißbrett entstanden war?

Unbefriedigend bleibt der Blick in das Autorenverzeichnis. Die Viten der Artikelschreiber sind mehr als einmal nichtssagend und weisen eine konkrete wissenschaftliche Stelle erst ab 1992 auf. Am auskunftsfreudigsten sind noch die der beiden einstigen Mitarbeiter des Museums für Deutsche Geschichte, die sich ihrer soliden museologischen bzw. - wie es jetzt heißt - musealwissenschaftlichen Ausbildung nicht zu schämen haben.


Parteiauftrag: ein neues Deutschland.
Bilder, Rituale und Symbole der frühen DDR.
Herausgegeben von Dieter Vorsteher,
Koehler und Amelang, München/Berlin 1997, 496 S.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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