Eine Annotation von Klaus M. Fiedler
Hoppe, Felicitas:
Picknick der Friseure
Geschichten.
Rowohlt Verlag, Hamburg 1996, 94 S.

Dieses Büchlein ist leicht zu lesen und schwer zu verstehen: leicht zu lesen, weil sich die Autorin einer exakten, um Genauigkeit bemühten Sprache bedient, Ergebnis nahezu besessener Wort- und Satzarbeit; schwer zu verstehen, weil die zwanzig Geschichten sich jeder Logik entziehen und im Surrealen, im Labyrinth von Träumen verschwinden und dort einer anders gearteten, einer Traumlogik, zu gehorchen scheinen. Felicitas Hoppes Helden sind sehr irdisch und doch nicht von dieser Welt. Es verschlägt sie an unbekannte Orte, an denen es für sie - und auch für den Leser - keinen sicheren Boden gibt. Von überstürzten Abreisen wird erzählt und von ungewissen Ankünften. Familien- und Kindheitserinnerungen stehen neben traurig stimmenden Märchen oder leichtfüßigen Burlesken. An einer Stelle schreibt der Vater der Ich-Erzählerin ein Buch über den Feldhasen (und die Familie mutiert allmählich zu Feldhasen), an anderer Stelle verwandelt er sich in ein Möbelstück. Eines Schneiders philosophische Sicht auf die Welt („Ein großer Geist braucht keinen Schneider“) folgt das vergebliche Bemühen des Zöllners, die Menschen vom Reisen abzuhalten. Einer sitzt im Käfig und giert nach Brotkrumen und Möhrenstücken; ein anderer schlägt nach einer obskuren Hochzeitsnacht einem Trompeter ein mit Biergläsern gefülltes Tablett über den Kopf; ein dritter wird eines Tages die schöne Tochter des Müllers bewachen, die unermüdlich Gold spinnt. Es geht lustig zu in den Miniaturen und böse, manches ist komisch und das meiste absurd und irritierend. Man wird erinnert an Schillers Wort von der Phantasie als mutwilliger Affe der Sinne, und der in ersten Reaktionen auf die Prosastücke geäußerte Vergleich mit dem grotesken Erzähler Bohumil Hrabal ist gar nicht so abwegig.

Die Wahl-Berlinerin Felicitas Hoppe hat für Picknick der Friseure 1996 den Ernst-Wilhelm-Preis in Klagenfurt und den „aspekte“-Literaturpreis erhalten.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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