Eine Annotation von Klaus Zimmermann
Holtz-Baumert, Gerhard:
Berlin wie es im Buche steht
Literarische Spaziergänge.
Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1996, 222 S.

Gerhard Holtz-Baumert hat ein schwieriges Genre für sein Berlin-Buch gewählt: die pointierte Kurzgeschichte. Auf zwei bis drei Druckseiten eine interessante Geschichte zu erzählen, einen mehr oder weniger bekannten Schriftsteller in seinen Beziehungen zu Berlin vorzustellen, außerdem noch kurz über seine wichtigsten Werke zu informieren, schließlich die Leser zu animieren, die Orte der Handlung im Spaziergang aufzusuchen, ist nicht leicht. Gerhard Holtz-Baumert ist das in vierzig Kurzgeschichten von „Wie der Roland gestürzt wurde“ (Willibald Alexis) und „Schwieriger Besuch“ (Alfred Andersch) bis „... da laust mir der Affe“ (Carl Zuckmayer) und „Russischer Ausflug nach Charlottenburg“ (Marina Zwetajewa) mit sicherer Hand gelungen.

Berlin wie es im Buche steht beeindruckt, weil man die immense Forschungsarbeit, die Gerhard Holtz-Baumert offensichtlich über viele Jahre hinweg geleistet hat, hinter jeder Geschichte spürt. Nur so kann das Buch letztlich überzeugen. Im Entdecken vieler neuer Seiten der Berliner Kultur- und Literaturgeschichte bleibt Gerhard Holtz-Baumert keineswegs hinter dem bekannten Handbuch von Karl Voß' Reiseführer für Literaturfreunde Berlin. Vom Alex bis zum Kuhdamm zurück. Im Gegenteil: Durch Berlin wie es im Buche steht wird Karl Voß' Reiseführer für Literaturfreunde um einige interessante Autoren ergänzt, zum Beispiel Andrej Bely, Elias Canetti, Jean Giraudox, Wladimir Majakowski, Harry Graf Keßler, Mori Ogai, Erwin Strittmatter oder Marina Zwetajewa. Die Freude über solche literaturgeschichtlichen Neuentdeckungen - eine Erweiterung des internationalen Gesichtsfeldes - ist Gerhard Holtz-Baumert ebenso anzumerken wie die Liebe des Autors zu seiner Geburtsstadt.

Natürlich dominieren auch in Berlin wie es im Buche steht die Klassiker mit den anschaulichsten Stories und Anekdoten: „Der ‚Doctor Göth‘ in der Stadt (Johann Wolfgang Goethe)“, „Munteres Treiben auf dem Gendarmenmarkt (E.T.A. Hoffmann)“, „‚Die Dienste der Großen sind gefährlich‘ (Gotthold Ephraim Lessing)“, „Der napoleonische Kriegskommissar (Stendhal)“ oder „Schock für das Café Kranzler (Theodor Storm)“. Von den Beiträgen über Schriftsteller des 20. Jahrhunderts zählen die Abhandlungen über Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Hermann Hesse, Wladimir Majakowski, Heinrich Mann, Mori Ogai, Stanislaw Przybyszewski, Agnes Smedley, Carl Zuckmayer und vor allem Klaus Mann zu den gelungensten. „Das blutige Finale Berlins“ frischt fast schon Vergessenes wieder auf: Informationen über den nach dem Zweiten Weltkrieg vielgelesenen Schriftsteller und Publizisten Heinz Rein und seinen damaligen Erfolgsroman Finale Berlin.

Wer das Buch gelesen hat, wird sicher mit anderen Augen durch die Stadt gehen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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