Eine Annotation von Bernhard Meyer
Minker, Margaret:
Hormone und Psyche
Frauen im Wechselbad der Gefühle.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1996. 218 S.

Die Besonderheiten der biologischen Reifung, Entwicklung und Alterung lassen die Frau ihren Körper intensiver erleben und spüren als den Mann. Diese Tatsache nutzen verschiedenartige medizinische Anbieter, um den Frauen für die Beeinflussung der naturgegebenen Prozesse allerlei solide und weniger solide Angebote zu offerieren. In den letzten Jahren entbrannte eine Debatte über die Funktion der Hormone im menschlichen, vor allem im weiblichen Lebensprozeß.

Hormone beeinflussen zyklusbedingte Stimmungsschwankungen, Depressionen nach Entbindungen oder in den Wechseljahren, Lust auf Sex oder Unlust, Aggression oder euphorische Hochgefühle. Viele Frauen horchten auf. Die Botschaft der Pharmaka verkaufenden Gilde lautet übereinstimmend, daß ein Teil der belastenden Veränderungen oder Störungen durch hormonelle Behandlungen günstig beeinflußt werden können. Teils ist davon die Rede, durch hormonelle Eingriffe z. B. den Alterungsprozeß aufzuhalten (werbewirksamer: länger jung zu bleiben). Welche Frau bleibt da gleichgültig? Die Neugierde ist geweckt, Fragen entstehen, Ärzte werden befragt, Publikationen gewälzt - in diesem Ratgeber kann sie sich verläßlich belesen.

Die „Hormone als Botenstoffe“ im Organismus werden von Margaret Minker in ihrer vielfältigen biochemischen Wirkungsweise untersucht, wobei stets eine enge Verbindung zur Psyche hergestellt wird. Diese Verknüpfung verleiht dem Geschriebenen ein hohes Maß an Realität zum Leben der Frau; sie kann den Ausführungen aus eigenem Erleben und Empfinden problemlos folgen. Darin liegt eine wesentliche Stärke der vorgelegten Publikation. Da setzt sich die Autorin mit den Östrogenen auseinander und bezweifelt, ob „die psychische und geistige Verfassung einer Frau“ von der Höhe ihres Östrogenspiegels abhängt. Wissenschaftliche Beweise fehlen bislang, so daß hier noch viel spekuliert wird. (S. 57 ff.) Wieviel Anteil an Krisen und Mißstimmungen im Leben der Frau haben die Hormone, wieviel die Psyche? Minker betont wiederholt, daß Hormontabletten und -spritzen nicht die Lösung sein können, solange die Ursachenforschung nicht abgeschlossen ist. Eine Gefahr bestünde sogar darin, den Frauen ausschließlich eine Hormonlösung zu suggerieren und gleichzeitig den bedeutenden Einfluß der Gesellschaft auf ihr Selbstwertgefühl und daraus resultierendes Unbehagen herunterzuspielen. (S. 64/65) Das Weiblichkeitsbild mit gesellschaftlichen Normvorstellungen und dem Erziehungsmuster konfrontiert zahlreiche Frauen bei etwaigen Abweichungen gegenwärtig immer stärker mit dem Problem: Mein Körper produziert die falschen Hormone. Also muß ich mit den richtigen Hormonen nachhelfen. So werden berechtigte oder vermeintliche Bedürfnisse erzeugt, worauf der konsultierte Arzt heute häufig genug noch keinen gültigen Ratschlag erteilen kann.

Die Themenpalette von Margaret Minker umfaßt Hormone und Psyche in der Pubertät, während der Menstruation, nach Entbindung, Fehlgeburt und Schwangerschaftsabbruch, nach der Gebärmutter-Operation, in den Wechseljahren. Ebenso findet sich ein Kapitel über Teenies und die Pille sowie über das zunehmend ins Gespäch kommende „Wunderhormon“ Melatonin aus den USA. (S. 164) Auch hier besticht die Verfasserin mit nüchterner Betrachtung. Sie setzt euphorischem Glauben den keineswegs ausgereiften sachlichen Iststand der Forschung entgegen. Ihre zusammenfassenden Ratschläge zum Umgang mit Hormontherapien verdienen größte Aufmerksamkeit der gesundheitsbewußten Frauen. (S. 196 ff.) Ihre Quintessenz: Ärzte und Frauen sollten vorsichtig und verantwortungsbewußt mit der ständig wachsenden Zahl hormoneller Therapieangebote umgehen. Die heutige Wissenschaft kann erst einen kleinen Teil des Hormonhaushalts beantworten, vieles muß noch offen bleiben, aber die Forschung läuft auf Hochtouren und wird neue Erkenntnisse bringen. Sie wird uns eines Tages sagen, wieviel wir von welchen Hormonen in welchem Zeitraum zu uns nehmen sollen.

Die Medizinjournalistin Margaret Minker (Jahrgang 1948) hat als Frau für Frauen einen ehrlichen, offenen Ratgeber verfaßt. Sie geht die Problemlage vollständig an und beleuchtet das Für und Wider um die Hormone allseitig. Die Art ihres Schreibens und Herangehens verbreitet Vertrauen. Die Leserin spürt den unbedingten Willen der Autorin, in die Vielfalt unterschiedlicher Aussagen Klarheit zu bringen, gewissermaßen eine Zwischenbilanz zu ziehen. Wohltuend das Empfinden, daß hier keiner Richtung das Wort geredet wird, sondern das von der wissenschaftlichen Forschung vorgelegte Material nüchtern analysiert wird. Dabei überzeugt die Breite der herangezogenen neuesten Literatur.

Dieser Ratgeber ist jeder an ihrer Gesundheit und ihrem Wohlbefinden interessierten Frau nur zu empfehlen - und den Männern ebenso.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite