Eine Annotation von Bernhard Meyer
Lautmann, Rüdiger:
Der Homosexuelle und sein Publikum
Ein Spagat zwischen Wissenschaft und Subkultur.
MännerschwarmSkript, Hamburg 1997, 192 S.

„Homosexuelle gehören für die Normalsichtigen zu ‚den anderen‘. Toleranz läßt sie leben, schützt sie vielleicht sogar vor Angriffen, solange sie einem vom Leibe bleiben.“ (S. 63) So lautet eine der wissenschaftlichen und zugleich praktischen Lebenserfahrungen von Prof. Dr. Dr. Rüdiger Lautmann (Jahrgang 1935), berufener Soziologe an der Universität Bremen. 1995 gelang es dem seit Anfang der 70er Jahre bekennenden schwulen Akademiker, für zunächst drei Jahre das Forschungsprojekt „Schwullesbische Studien Bremen“ ins Leben zu rufen. Obwohl er seine wissenschaftliche Arbeit auf diesem Gebiet nur als „Randerzeugnis“ gesehen wissen will, brachte er es auf eine beachtliche Publikations- und Vortragsliste. Und natürlich auf umfangreiche Erfahrungen mit seinem lesenden und hörenden, vornehmlich intellektuell geprägten Publikum sowie seinen akademischen Fachkollegen. Zwischen seiner beruflichen Karriere und dem privaten Leben sowie innerhalb der beiden Sphären übt der Autor lebenslang einen „Spagat“ zwischen Homoforschung und Universität, schwuler und normaler Lebenswelt, Subkultur und Alltag, Links und Rechts. (S. 19) Wie weit ist der Anfangsechziger dabei gekommen?

Seine Publikation stellt 13 zwischen 1973 und 1996 entstandene Reden und Aufsätze vor. Anhand dieser manifestierten öffentlichen Auslassungen zeichnet Lautmann seinen Weg als Wissenschaftler und Schwuler, der sich zunehmend engagiert in die bundesweiten Debatten um die gesellschaftliche Stellung und die Rechte von Schwulen und Lesben eingeschaltet hat. Es entsteht das selten öffentlich gemachte Profil eines Wissenschaftlers, dessen Sexualität direkt mit seinem soziologischen Forschungsgegenstand verknüpft ist. Als klassisches Vorbild dafür könnte der homosexuelle Mediziner Magnus Hirschfeld (1868-1935) gelten. Lautmann nun versieht seine gesammelten Äußerungen mit kommentierenden Bemerkungen aus gegenwärtiger Sicht, ohne daß die ursprüngliche Originalität darunter leidet.

Den Leser erwarten äußerst unterschiedliche Themen bei den Vorträgen und Essays. Da findet sich seine Expertenansicht zur Homosexualität auf einer F.D.P.-Anhörung von 1981 ebenso wie ein Radiobeitrag von 1984 anläßlich der Suspendierung des ranghöchsten bundesdeutschen Generals bei der NATO, Günther Kießling. Der 40. Jahrestag des Grundgesetzes 1989 bewog den Autor zu einer grundsätzlich gehaltenen Ansicht über die Homosexuellen in der bürgerlichen Demokratie. Spät erst (1993) seine Position zu „Aids und Homosexualität“. Kontrovers wurden seine Ansichten zur Pädophilie und Kindesmißhandlung diskutiert - Liebhaber oder Täter? Überraschend seine Chance, 1987 eine Rede an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt vor schwullesbischen DDR-Intellektuellen zu halten, deren Zusammenkunft einer förmlichen Organisierung unter dem Dach der Kirche gleichkam. Aus alldem wird für das letzte Vierteljahrhundert Auflockerung und Entwicklung wie gleichermaßen verbliebene Verkrustung und Ablehnung erkenntlich. „Aufmerksamkeit, Feindseligkeit oder Gleichgültigkeit“ (S. 8) offenbart sein Publikum ihm gegenüber bis heute. Und das Interesse seiner universitären Kollegen an wissenschaftlicher Zusammenarbeit ist ablehnend wie eh und je.

Lautmanns Spagate werden sich fortsetzen, denn die Kontrahenten sind noch immer ziemlich weit auseinander.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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