Eine Annotation von Bernhard Meyer
Holzhüter, Rainer:
Vorsicht, Krankenhaus
Die Misere in deutschen Krankenhäusern.
Ullstein Verlag, Berlin 1996, 200 S.

Der Autor gibt sich und den Lesern zwei Prämissen vor. Das Buch „soll anders sein als die vielen anderen“ (S. 9), die den Klinikbetrieb meist nur aus soziologischer oder betriebswirtschaftlicher Sicht behandeln. Des weiteren verfolge es nicht die Absicht, „Patienten mit dem Geschilderten Angst zu machen“. (S. 180) Nach der Lektüre werden auch hartgesottene Leser als potentielle Krankenhausnutzer über die Schulmedizin, die Krankenhausärzte und -direktoren, die Verwaltungsärzte und deren Tun mehr als verunsichert sein und sich fragen: Kann man sich heutzutage überhaupt noch mit ruhigem Gewissen dem „Moloch Krankenhaus“ (S. 53) anvertrauen? Der Autor möchte den wehrlosen Patienten zur Seite stehen und alle diagnostischen und therapeutischen Anordnungen kritisch vom medizinischen und finanziellen Aspekt her hinterfragen.

Rainer Holzhüter (Jahrgang 1947) praktiziert als niedergelassener Allgemeinmediziner in Hamburg, wobei er ein überzeugter Verfechter naturheilkundlicher Methoden (Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie, Colon-Hydro-Therapie) ist. Er nimmt in seiner Schrift so ziemlich alles aufs Korn, was er nach seiner Auffassung an Unzulänglichkeiten im klinischen Gesundheitswesen entdecken kann. So ist das deutsche Krankenhauswesen eine „Misere“, wird derer gedacht, die einen Aufenthalt dort „überlebt“ (!) haben, werden Arzt„funktionäre“ als „dumm“ abgetan, vom „menschenverachtenden Umgang mit Patienten“ berichtet, der „Medizinterror in einer gewinnorientierten Spezialbabteilung“ angeprangert, der „Bypass-Wahn“ verurteilt - aber „wirksame Naturheilkundeverfahren“ gelobt.

Wer sich der von der Schulmedizin beargwöhnten, teilweise rigoros abgelehnten Naturheilkunde verschrieben hat, wird aus dieser allerdings verengten Sicht im heutigen Krankenhausbetrieb a priori genug Kritikwürdiges finden. Gewiß beherrscht das Merkantile den Stationsalltag, wird der zahlungskräftige Privatpatient durch nicht immer notwendige Untersuchungen finanziell noch mehr geschröpft als die Ersatzkassen mit ihren Kassenpatienten. Der Autor meint aber auch, vor übertriebenem Spezialistentum und dem Belegbetten-System (S. 99 ff.) warnen zu müssen. Ob er allerdings mit seinen wohlgemeinten allgemeinen Vorsätzen und Appellen, wie: die Ärzte müssen während der Visite nicht über, sondern mit dem Patienten sprechen (S. 11) und der Forderung nach einem patientenorientierten Krankenhaus (S. 186), etwas bewegen kann, muß sehr bezweifelt werden. Holzhüter will den allmächtigen Chef- und Stationsärzten einen starken, selbstbewußten Patienten, gewissermaßen einen mündigen Bürger, gegenüberstellen. Dafür gibt er dem künftigen Krankenhausinsassen „sieben goldene Regeln“ (S. 187) vor - und läßt ihn damit allein. (Abgesehen davon, daß auch ganz andere „Goldene Regeln“ denkbar wären.) Hier hätte wohl gemäß dem Anliegen des Autors der eigentliche Schwerpunkt seiner Schrift liegen müssen. Es interessiert, wie der Kranke diese Regeln gegen die Halbgötter in Weiß durchsetzen soll, welche Geschichten und Erlebnisse es dazu gibt. Dies geschieht nicht.

Seine Methode ist anders, denn er schildert aus seiner Sicht selbst erlebte oder ihm bekanntgewordene Einzelfälle und suggeriert dabei gewollt oder ungewollt einen hohen Grad von Verallgemeinerung. Namen und Orte sind natürlich verfremdet, Quellen werden nicht genannt, ja sogar nachempfundene wörtliche Reden und Dialoge in den Text geflochten. Entsprechend liest sich manches so, als ob bei einer Familienfeier irgendeiner eine schauerliche, überhöhte Story wortreich und mit Pathos zum besten gibt. Der Autor hat zur Verfolgung seiner Absichten ohne jeden Zweifel eine Negativ-Auswahl von Beispielen und Fakten getroffen, denen in gleicher Weise positive Verläufe gegenübergstellt werden könnten.

Es bleiben dem Leser zwiespältige Eindrücke zurück. Eine Mehrzahl der angesprochenen Themen (Unfreundlichkeit, Gewinnsucht, Spezialistentum, Unterbewertung der Naturheilkunde) wären ambulant tätigen Ärzten ebenso anzulasten. Und immer wieder liest und spürt man heraus, daß die Naturheilkunde eine größere Aufmerksamkeit in der Klinik verdient. Daß der Autor dieses Anliegen als Präsident zweier diesbezüglicher medizinischer Gesellschaften nicht aus dem Auge verliert, kann nachvollzogen werden. Man muß es aber nicht akzeptieren.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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