Eine Annotation von Eberhard Fromm
Dittberner, Jürgen
Berlin, Brandenburg und die Vereinigung
Und drinnen tobt das pralle Leben!
Eine Innenansicht.
Edition Hentrich, Berlin 1994, 286 S.

Nachdem man den ersten Abschnitt des Buches gelesen hat, meint man zu wissen, daß es sich hier um eine Werbeschrift für die Fusion von Berlin und Brandenburg handelt. Da der Autor Jürgen Dittberner (1939) sowohl Staatssekretär im Berliner Senat als auch in der Brandenburgischen Landesregierung war, zur Zeit noch Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten ist und als Hochschullehrer an der Potsdamer Universität wirkt, wäre das so abwegig nicht. Beim Weiterlesen glaubt man zu erkennen, daß es doch wohl mehr eine Geschichte von Berlin und Brandenburg und ihrer vielfältigen Beziehungen darstellen soll. Endlich aber kommt man darauf, daß es sich eigentlich um Erinnerungen aus den letzten 25 Jahren eines politisch aktiven Mannes handelt, der von seinen Erfahrungen in Berlin und Brandenburg erzählt. Hat man das nun endlich begriffen, verwandelt sich der Text vor den Augen des Lesers in eine Beinahe-Satire zum Geschäft der Politik. Und schließlich geht es dann doch um Berlin und Brandenburg als ein Land. Richtig meint der Autor, daß dazu allein fiskalische und planerische Überlegungen nicht ausreichen, sondern: „Das Unternehmen braucht eine Philosophie.“ (S. 276) Vielleicht sollten ja die „Innenansichten“ über das pralle historische und gegenwärtige Leben dazu einen, wenn wohl auch nicht ganz ernstgemeinten, Beitrag leisten?!

Was den Informationswert betrifft, liest sich das Buch von Dittberner mit viel Gewinn. In der Menge der Erinnerungsbücher Ostberliner und Ostdeutscher über die jüngste Geschichte ihrer Region wirkt es geradezu erholsam, einmal die Sichtweise eines Westberliners zu erfahren. Nicht immer kann man mit den Positionen einverstanden sein, so wenn zum Beispiel von der allgemeinen Schwäche der Hochschulen in der DDR ( vgl. S. 171) die Rede ist - immerhin spricht hier ein Staatssekretär für Wissenschaft und Kultur. Aber das fällt weniger ins Gewicht, zumal es nicht typisch für die Sichtweise des Autors ist. Hinderlich beim Lesen wirkt dagegen der Verzicht auf die Ich-Aussage. Wenn Dittberner von sich als Person spricht, benutzt er den Begriff „der Staatssekretär“ oder ähnliche Umschreibungen, so daß man nicht immer genau weiß, ob es sich um sein persönliches Erlebnis, seine eigene Meinung oder um eine verallgemeinerte Erfahrung handelt. Wenig informativ sind auch die Kapitelüberschriften (Bis zum Ende der Mauer, Nach Brandenburg, Verwaltungsspezialitäten), die nicht deutlich machen, daß in einigen Kapiteln mehr autobiographisch erzählt wird, während in anderen stärker Erfahrungen verallgemeinert werden. Eine köstliche Satire über den Abgeordneten von heute ist unter dem Titel „Parlamentarisches“ versteckt. Hier werden elf Gebote des modernen deutschen Parlamentariers entwickelt und begründet, beispielsweise „Beifall sollst Du nur den eigenen Leuten spenden“ (S. 239) oder „Du mußt die Journalisten pflegen“ (S. 249).

Erfreulich ist das Bemühen, bedeutsame Aussagen mit Quellennachweisen zu belegen. Zu bedauern ist dagegen das Fehlen eines Registers. Wenigstens ein Personenregister sollte auch und gerade bei Erinnerungsbüchern eigentlich Pflicht sein.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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