Eine Annotation von Bernd Sander
Bald, Detlef/ Brühl, Reinhard/ Prüfert, Andreas (Hrsg):
Nationale Volksarmee - Armee für den Frieden
Beiträge zu Selbstverständnis und Geschichte
des deutschen Militärs (1945-1990)
Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1995, 223 S.

Bisher gibt es über die Nationale Volksarmee (NVA) nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten relativ wenig Literatur. Insbesondere ihr Beitrag für den Frieden ist wenig erforscht worden, und noch weniger wurde darüber publiziert.

Die vorliegenden Beiträge in diesem Heft schließen wenigstens zum Teil diese Lücke. Die NVA wird hier nicht einseitig als ein „abgewickeltes“ Ministerium der ehemaligen DDR betrachtet, sondern „die Leistungen und der Beitrag der NVA in ausgewählten historischen Situationen beleuchtet“. In diesem Zusammenhang weisen die Autoren die häufig strapazierte These zurück, daß die NVA von der Bundeswehr „übernommen“ oder gar „integriert“ worden sei. Lediglich 2 800 NVA-Offiziere und 5 700 Unteroffiziere fanden ihren Platz in der Bundeswehr, wobei die meisten auch noch um einen oder mehrere Dienstgrade zurückgestuft wurden.

Die Autoren gehen mit Recht davon aus, daß eine Auseinandersetzung mit der NVA stets „eine souveräne Betrachtung (mit) der Geschichte der DDR“ verlangt. Sie arbeiten in ihren Beiträgen nicht schlechthin die Geschichte auf, sondern bewerten sie historisch-kritisch und ziehen die äußeren und inneren Faktoren heran, die für den Charakter und die Aufgabenstellung der NVA bestimmend waren.

Vehement wenden sie sich gegen die häufige Unterstellung, daß die NVA einen aggressiven Charakter (insbesondere als Teil des Warschauer Vertrages) hatte. Sie weisen nach, daß die Bewahrung des Friedens stets das angestrebte Ziel war, um die eigene friedliche Entwicklung zu sichern. Sie verhehlen dabei nicht, daß „der Charakter der NVA als Volksarmee und ihr friedenssichernder Auftrag Schaden durch die Entwicklung der DDR zu einem diktatorisch geführten Obrigkeitsstaat und das Machtverständnis seiner Führung“ nahm.

Im einzelnen beschäftigen sich die Autoren in 12 Beiträgen u. a. mit dem Platz der NVA in der Geschichte, mit der Militärdoktrin, dem Verhältnis zur inneren Sicherheit, der Einbeziehung von früheren Wehrmachtsoffizieren, der Auswahl von Offiziersanwärtern, dem Verhältnis zwischen traditionellem Denken und Neudenken.

Sehr interessant ist besonders die Untersuchung über das Neudenken innerhalb der NVA, was sich vorerst nicht in der Armeeführung, wohl aber in der zuständigen Sicherheitsabteilung des Zentralkomitees der SED und vor allem an der NVA-Basis entwickelte. In der NVA entstand „am Ende eines komplizierten und keineswegs abgeschlossenen Klärungsprozesses ... im militärischen Denken ... ein grundsätzlicher Wandel“, und schließlich hatte „diese Entwicklung ... zur Folge, daß das Feindbild Ende der 80er Jahre in Frage gestellt wurde ... Insbesondere im Offizierskorp bildete sich eine Denkhaltung heraus, die sich in der Zeit der Wende sehr positiv auf das Verhalten ... auswirkte“.

Die Autoren schließen mit der Festellung, daß in jener „Zeit des demokratischen Aufbruchs... unterschiedliche Gruppierungen mit Regierenden und Soldaten bewußt mit der sicherheitspolitischen Konvention gebrochen und ein Modell nichtmilitärischer Sicherheit konzipiert haben“. All das hätte „zu einem Sicherheitssystem... führen können, das auf gegenseitiger Sicherheit beruht“.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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