Eine Annotation von Sabine Graßmann
Mann, Jessica:
Alles Lügen
Aus dem Englischen von Sabine Bösz.
Ariadne-Krimi,
Argument Verlag, Hamburg 1996, 288 S
.

London im September 1990. Die bekannte Kriminalautorin Anne Medlicott, gerade erscheint ihr neuestes Buch, wird zu einer Live-Talk-Show ins Fernsehstudio eingeladen. Diese Talk-Show erhebt den Anspruch, etwas Besonderes zu sein, da populäre Gäste zusammengeführt werden, die in irgendeiner Weise miteinander verbunden sind. Anne trifft dort ihre alte Schulfreundin Perdita Whitchurch, inzwischen eine erfolgreiche Malerin, die in Kürze ihre neue Ausstellung eröffnen wird, und Professor Sir Hans Hahn, Schriftsteller und Historiker, der die Werke der beiden Damen kennt und schätzt. Sir Hahn will demnächst ein Notizbuch veröffentlichen, das eine Liste mit Namen britischer Kollaborateure enthält, potentieller und tatsächlicher Verräter, die im Zweiten Weltkrieg im Fall einer Besetzung Großbritanniens zur Zusammenarbeit mit den Deutschen bereit gewesen wären.

Ein hochbrisantes Dokument, enthält es doch Namen von Männern, die nebst ihren Familien der englischen Oberschicht angehören. Mögen auch einige der Verräter und Verdächtigten inzwischen gestorben sein, doch die noch lebenden müßten jetzt in panische Angst angesichts der bevorstehenden Enthüllungen geraten...

Während der lockeren Talk-Runde darf Anne einen Blick in Sir Hahns Notizbuch werfen. „Du meine Güte, Perdita, schau mal, der Name deines Vaters steht auf der Liste!“, entfährt es ihr.

Noch übersieht Anne Medlicott nicht, was ihr diese unbedachte Äußerung einbringen wird. Sie hatte damit den Namen des „Ehrenwerten Julian Whitchurch“, jetzt Lord Blanchminster, Vorsitzender der Blanchminster's Bank, hochgradig diffamiert. An der Börse in Tokio fallen Blanchminster Aktien drastisch.

Natürlich drohen die Blanchminster Anne Medlicott eine Verleumdungsklage an. Um sie abzuwenden, gibt es zwei Möglichkeiten, entweder sie entschuldigt sich öffentlich, oder sie muß beweisen, daß Julian Whitchurch tatsächlich ein Verräter war.

Aber entschuldigen kann und will Anne Medlicott sich nicht - ihre Großmutter Hanne Silberschmidt, aus wohlhabender jüdischer Familie, floh vor den Nazis aus Deutschland nach England...

Anne, die von ihrer Mutter bewußt rein englisch erzogen wurde, kein Wort deutsch spricht und auch nur wenig über Judenverfolgung, Faschismus und Krieg weiß, beginnt zu recherchieren. Die Spurensuche führt nach Berlin ins Jahr 1936, mitten in die Olympischen Spiele.

Hier begegnet Celia Roget, eine junge Engländerin, die eine Karriere im diplomatischen Dienst anstrebt, sich deshalb in das Auswärtige Amt nach Berlin versetzen ließ, Julian Whitchurch, dem reichen Dandy, der wegen der Olympiade hier weilt, und dem Iren Declan Lea ry aus dem britischen Konsulat. Eines Tages erfährt sie, daß Familie Silberschmidt, eher deutsch als jüdisch, die mit ihren Eltern befreundet war und ein kosmopolitisches Haus führte, in einem schwarzen Wagen abgeholt wurde...

In welchen Beziehungen stehen die einzelnen Personen, was wurde aus Celia Roget, hat Michael, der Sohn der Silberschmidts, überlebt? Bei ihren Nachforschungen stößt Anne Medlicott auf ein Lügengespinst, das sie zerreißt, schreibt einen neuen Roman, dessen Stoff das Leben lieferte.

Ich habe diesen Krimi von Jessica Mann, sie studierte Archäologie und Jura, lebt in Cornwall, voller Spannung gelesen. Überraschend die Auflösung.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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