Eine Annotation von Helmut Eikermann
Ebertowski, Jürgen:
Unter den Linden Nummer 1
Der Roman des Hotel Adlon.
Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 1997, 368 S.

Rechtzeitig zur Wiedereröffnung des legendären Hotels (und kurz nach der Sprengung der letzten Bunkerreste unter dem Pariser Platz) legt Jürgen Ebertowski, Berliner Japanologe, Aikido-Lehrer und Krimi-Autor den „Roman des Hotel Adlon“ vor, den die „Morgenpost“ sofort in Fortsetzungen druckt. Die Handlung, eigentlich die Geschichte des Ex-Oberleutnants und Hotel-Detektivs Karl Meunier, spielt zwischen 1932 und 1945, mit einem deutlichen Schwergewicht vor der Machtergreifung der Nazis. Die Kriegsjahre machen kaum ein Fünftel des Textes aus. Die authentischen Personen Louis und Hedda Adlon agieren eher als Nebenfiguren zwischen ihrem Personal, schwedischen Bankiers, finnischen Taxi-Chauffeuren und maltesischen Baronen, Berliner Ju-Jutsu-Kämpfern, SA-Leuten, Artisten, Laubenpiepern und Meuniers Ex-Kameraden.

Karl Meunier ist ein Held wie von Fallada (mit einem Schuß Remarque) erfunden, einer, der sich politisch nicht engagieren will und dessen Antipathie dennoch deutlich den Nazis gilt. Die bestimmen zu seinem und zu Louis Adlons Ärger mehr und mehr das Gesicht des Nobel-Hotels. Meunier, tief in eine Liebesbeziehung mit der Artistin Vera verstrickt, die aus einer kommunistischen Familie stammt, sieht und weiß mehr, als für ihn gut sein kann. Er erlebt den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Nazis, den Reichstagsbrand und den Röhmputsch, die Olympiade und die Auswirkungen des Hitler-Stalin-Paktes, lernt Goebbels, den Lufthelden Udet, den Asien-Forscher Sven Hedin und mancherlei andere braune Prominenz kennen, und kommt doch nahezu ungeschoren durch die Wirren der Zeit - bis zum Ende des Nazi-Spuks, das auch das Ende des Hotels ist. Gefilmt von sowjetischen Kameraleuten, brennt der Prachtbau bis auf die Grundmauern nieder.

Ebertowski hat sich auch für den Schluß eine handfeste Story einfallen lassen, wie es sich für einen Krimi-Autor gehört. Sein Buch bietet ein breites und anschauliches Panorama der schlimmsten Jahre in der Geschichte der deutschen Hauptstadt. Die fast durchweg überzeugenden, nirgendwo historisierenden Geschichten treffen Berlins Seele und Kolorit so genau, wie man es sonst nur in den Büchern Zugewanderter findet. Das Haus Unter den Linden Nr. 1, seit 1937 die Nummer 77, erweist sich dafür als ein geeignetes Vehikel. Ob es der Roman des Hotel Adlon ist, wird sich erweisen. Der Verlag hat inzwischen die zweite Auflage ausgeliefert.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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