Eine Rezension von Arno Steinwald

Offene Banalitäten - heilige Heimlichkeiten

Gordon Urquhart: Im Namen des Papstes.
Die verschwiegenen Truppen des Vatikans.
Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber.
Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 1995, 384 S.

Robert Hutchinson: Die heilige Mafia des Papstes.
Der wachsende Einfluß des Opus Dei.
Aus dem Amerikanischen von Harald Stadler.
Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 1996, 511 S.

Carl Bernstein/Marco Politi: Seine Heiligkeit. Johannes Paul II. und die Geheimdiplomatie des Vatikans
Aus dem Amerikanischen übertragen von Christoph Arndt, Klaus Binder, Jeremy Gaines und Hans Jürgen Baron von Koskull.
C. Bertelsmann Verlag, München 1997, 684 S.

Überrascht ist man schon, auch wenn die Vokabel ‚Mafia‘ im deutschen Titel des Buches von Robert Hutchison vorkommt, über die Vielzahl ‚plötzlicher‘ Herzstillstände. Sie befallen meist, ganz zufällig, Personen, die entweder im Begriff stehen, eine für den Vatikan unangenehme Wahrheit aufdecken zu wollen, oder sonst auf irgendeine Art und Weise lästig werden könnten. Opus Dei, ‚Werk Gottes‘, 1928 in Spanien gegründeter Geheimbund, soll unter anderem ein Ziel haben: Das Zurückdrängen der fundamentalistischen Moslem-Bewegungen. Weltweit soll das ‚Gotteswerk‘ über 80 000 Mitglieder haben und einflußreicher sein, inzwischen, als der Jesuitenorden, dem traditionsgemäß alle Greueltaten der Katholiken zugeschrieben wurden.

Hutchison zeigt sehr gut das weitgehende Einverständnis von Johannes Paul II. mit der Politik des Opus Dei. Schon der Generalissimo Franco hatte einen ‚Kreuzzug‘ gegen den Kommunismus geführt, aus Spanien kam der Gründer der Jesuiten, von Spanien aus begann der Einfluß des Opus Dei zu wachsen. Ist Spanien also das ‚Reich des Bösen‘, aus agnostisch-atheistischer Sicht? Die Antwort auf diese Frage ist eindeutig zu verneinen, Ignoranz, Intrige und Inquisitionen haben sich nie auf ein einzelnes nationalstaatliches Territorium beschränken lassen.

Hutchisons Analyse der Aktivitäten des Opus Dei ist genau belegt und abgesichert, nicht umsonst hat er bereits viermal den ‚National Business Writing Award‘ für seine Beiträge für die „Financial Post“ in Toronto bekommen. Es fällt dem in Finanzdingen nicht geschulten Leser nicht immer leicht, dem Autor bei seinen Enthüllungen auf diesem Gebiet zu folgen, hier hätte vielleicht an manchen Stellen das Lektorat mit ein paar zusätzlichen Erläuterungen helfend eingreifen müssen.

Obwohl das Buch des Autorengespanns Bernstein/Politi das Opus Dei so gut wie nicht erwähnt, ist dessen Politik doch präsent, es ist der Tenor aller drei hier zu besprechenden Bücher, daß die katholische Orthodoxie zwar in unterschiedlichsten Kleidern auftritt, ihren alleinseligmachenden Anspruch aber nie aufgegeben hat. - Gordon Urquharts Buch ist eine etwas weniger geglückte Mischung aus Bekenntnisschrift eines Sekten-Aussteigers und Zettelkasten zum geistigen Umfeld der drei von ihm untersuchten katholischen ‚Sekten‘. Der Begriff ‚Sekte‘ wird hier vom Rezensenten eingeführt, die drei „extrem reaktionären Bewegungen innerhalb der katholischen Kirche“, „Focolare Movimento“, „Comunione e Liberazione“ und „Neocatechumenate“ mit angeblich 30 Millionen Mitgliedern würden sich wohl eher im ‚Zentrum‘ der katholischen Kirche sehen wollen.

Ob Zentrum oder Peripherie, mangelnde Klugheit kann man den Begründern und Betreibern dieser katholischen Sektionen nicht vorwerfen; zumindest mangelt es nicht an praktischem Verstand, wenngleich aber aus agnostischer Sicht an Vernunft. Es ist eine wohl nie oder nicht so schnell zu klärende Frage, schon gar nicht von seiten der Religionsgemeinschaften zu leisten, warum Menschen wider besseres Wissen religiösen ‚Wahrheiten‘ lieber folgen als dem vorhandenen Vernunftpotential. Vielleicht ist es die Verantwortungslosigkeit der jeweils Mächtigen, der Machtinhaber, die mit Wettrüsten, Raubmord an der uns umgebenden Natur und in uns befindlichen Natur jeglichen Versuch, vernünftig zu denken, ad absurdum führen. „Credo quia absurdum“, ich glaube blind, ohne Einsicht haben zu wollen, ist dann eventuell eine Konsequenz des schlechten Beispiels der Oberen. Robert Hutchison ist ein Held auf der Seite der Vernünftigen, wer so viele undurchsichtige Transaktionen des Vatikans minutiös beschreibt bis hin zu den allzu häufigen ‚mysteriösen‘ Todesfällen, der begibt sich auch in eine gewisse Gefahr. Zwar handeln die Drahtzieher hinter den Kulissen des Vatikans durchaus diskreter als die entsprechenden Fundamentalisten innerhalb des Islam, die mal offen, mal verdeckt zum Mord aufrufen, bedrohlich bleiben sie dennoch. Ende April 1997 gingen Fernsehbilder um die Welt, die einen katholischen Würdenträger in Peru zeigten, das Opus-Dei-Mitglied Cipriani, weinend und anscheinend erschüttert über den blutigen Ausgang der Geiselnahme in der japanischen Botschaft. Mir war, als hätte ich, zumindest für Sekunden, ein Krokodil gesehen, aber die Bilder sind so schnell, heutzutage, man kann kaum folgen und der„Beifall aus aller Welt“, wie der „Berliner Kurier“ vom 24. 4. 97 titelte, scheint zu bestätigen, daß ich wohl einer Sinnestäuschung zum Opfer fiel.

Gordon Urquharts Buch ist, wie schon gesagt, ein Bekenntnisbuch, auch ein „coming out“. Es zeigt zwar manchmal eindrucksvoll die Gewissensqualen eines mit katholischer Sexualethik konfrontierten Homosexuellen, das heißt, die ganze Unmenschlichkeit der ‚Religion der Nächstenliebe‘ wird dargestellt, man findet aber auch Widersprüche, aus der Sicht des Lesers, die schwer, das heißt eigentlich überhaupt nicht nachzuvollziehen sind: „Ich habe meinen Glauben an Gott und die katholische Kirche nicht verloren, nicht einmal den an die Lehren der Bewegung ( der focolari)...“, schreibt Urquhart. Man liest aber auch:„Die Jahre bei Focolare waren wahrscheinlich die unglücklichsten meines Lebens, obwohl uns gelehrt wurde, Leiden sei ein Teil unserer Existenz und der ‚alleingelassene Jesus‘ sei der Schlüssel zur ‚Einheit‘ (...) Die ‚Heilige Reise‘, die Focolare verheißt, ist kein Trip zur Selbsterfahrung und Selbstentdeckung, sondern zur Selbstzerstörung.“

Der Autor heiratet schließlich, hat zwei Kinder, läßt sich scheiden und nennt dafür die „wahren Gründe“: „... daß ich inzwischen in einer dauerhaften Beziehung mit einem Mann lebte.“

Hier ist es fast eine Pflicht, einen Mann zu zitieren, „der sich sein Leben lang ebenso heftig wie kundig mit Medizin, Psychologie, Therapie und Religion herumgeschlagen hat“: Albert Görres. In einer sehr angenehmen Sprache des Understatements sagt er zu unserem Thema: „Kierkegaards Satz, ob der Mond aus grünem Käse sei oder woraus sonst immer, sei für die Existenz ganz gleichgültig (...) Irrtümer über Sonne und Mond sind nicht unmittelbar heilswichtig; Irrtümer über Sexualethik können den Menschen ruinieren.“ Daneben erfahren wir zum Teil schon Bekanntes über enge Verflechtungen zwischen den genannten katholischen Laienbewegungen, dem Vatikan und der italienischen Christdemokratie. Wer sich der verquasten Sprache religiöser Statements unterziehen will, die Urquhart belegehalber häufig zitiert, dem sei die Lektüre seines Buches empfohlen.

Mit Hutchisons Untersuchung verhält es sich anders: Akribische Recherchen, eine klare und kritische Distanz zur Thematik haben ein Buch entstehen lassen, das weiß-Gott-nicht zur Nachttisch-Lektüre taugt, aber demjenigen, der an den Machtstrukturen der katholischen Kirche interessiert ist, eine Fülle von höchst eindrucksvollem Material bietet. Weit über die Enstehungsgeschichte des Opus Dei hinaus veranschaulicht Hutchison die heutige Machtfülle dieser Vereinigung. Nicht umsonst wurden vor allem die ‚Eliten‘ angesprochen, an den Universitäten die Professoren, an den Krankenhäusern die Chefärzte, in den Banken die Chefs und leitenden Köpfe. Kontakte in Regierungskreisen und Führungsgremien der jeweiligen Geheimdienste runden die Einflußnahme ab. „Ungerührt vertreten sie ( die Mitglieder des Opus Dei und [!] der Papst) selbst da streng fundamentalistische Positionen, wo diese in die Katastrophe führen müssen; beispielsweise ächten sie trotz Überbevölkerung alle Mittel zur Empfängnisverhütung.“

Das Interessante und zugleich Schwierige an diesem Buch ist, daß direkte Verbindungen zwischen italienischer Mafia, Politik und Opus-Dei-Leuten aufgezeigt werden. Schwierig ist die Lektüre zeitweise deshalb, weil der Durchschnittsleser einmal nicht den Überblick über das reiche Archiv des Autors hat und ihm zum anderen auch der Durchblick für internationale Finanzgeschäfte und ihre Hintertürchen fehlt. Finanzkrisen des Vatikans werden zu Bankenkrisen da, wo eine entsprechende ‚Verquickung‘ vorhanden ist, und dies ist nicht allzu selten der Fall. Eigentlich ist diese Studie über die „heilige Mafia des Papstes“ ein Wirtschaftskrimi großen Stils, und man wünscht sich einen großen Regisseur, ‚heidnischer‘ Grundstimmung, der sich dieses Sujets entsprechend annimmt. Es wäre möglich, daß er gewisse Schwierigkeiten bei den Dreharbeiten hätte, plötzliche ‚Herzstillstände‘ immer eingeschlossen. Die Fülle des Materials gäbe Stoff für eine ganze Serie von Krimis, auch käme die ‚Globalisierung‘, Lieblingsausrede konservativer Kreise für mangelnden Willen zur Umverteilung, nicht zu kurz.

Was den weltanschaulichen Background angeht, so ist die Biographie über Johannes Paul II. gut geeignet nachzuhelfen. Ein Amerikaner, Carl Bernstein, und ein Italiener, Marco Politi, haben dieses Buch verfaßt, leider hat der Verlag nicht sagen wollen, wer welche Kapitel dieses insgesamt wenig kohärenten Textes geschrieben hat. Nach anfänglichen Elogen, vielleicht von Politi geschrieben, der im Klappentext als Doyen der Berichterstatter aus dem Vatikan bezeichnet wird, gewinnt doch allmählich ein kritischer Ton die Oberhand, und man legt die Biographie über Johannes Paul II., über Karol Woytila, doch mit einem gewissen Erkenntnisgewinn aus der Hand. Die Verlagspolitik von Bertelsmann leuchtet nicht ganz ein, aber vielleicht ist das Rezept ein ganz billiges, um möglichst viele Leser zu erreichen.

Schwerlich dürfte sich der nicht-professionelle Leser aufraffen, die Leseolympiade des Rezensenten nachzuvollziehen, circa 1.600 Seiten zu einem Thema: Katholizismus, Papst und Geld und politisch-reaktionäre Klubs und Bewegungen. Es ist hier also der Versuch zu unternehmen, dem Leser diesen Marathon zu ersparen und ihm sozusagen nur die Höhepunkte der durchstreiften Landschaften anzubieten: Obwohl die Bücher von Hutchison, Urquhart und Bernstein/Politi zusammengehören, kann man ihre Gesamtlektüre nur schlechterdings empfehlen. Hutchisons Buch ist dann unabdingbar, wenn ein Zeitgenosse glauben (!) sollte, der Katholizismus des ausgehenden zweiten Jahrtausend unserer Zeitrechnung wäre, summa summarum, eine saubere Sache und habe mit Mafia und kriminellen Machenschaften nichts zu tun. Die Biographie über Woytila von Bernstein/Politi zeigt zwar auch einen Papst, der die Kette von Verbrechen im Namen der Menschlichkeit bereut und zeitweise auch öffentlich Buße tut, sie präsentiert aber auch ein Individuum, dessen reaktionäres Weltbild sich in vielen Punkten kongruent zeigt mit den Vorstellungen der bei Urquhart und Hutchison genannten Organisationen. Woytilas persönliche Tragik, die des polnischen Patrioten, der aus Anlage und durch harte Schicksalsschläge zum introvertierten Priester wird, der gleichzeitig das Erlebnis der Natur sucht, umgeben von jungen Leuten beiderlei Geschlechts, der dann, zielstrebig, möchte man nach der Lektüre fast sagen, seine Berufung zum Antikommunisten entdeckt und schließlich zu einem seiner Totengräber, zumindest in Polen wird, dieser Mensch Woytila wird sehr eindringlich dargestellt. Auch hier kann man nur raten, aus wessen Feder dies stammt. Trotz der ärgerlichen Mängel einer eingangs zu unkritischen, lobhudeligen Darstellungsweise ist die Biographie über den Papst Johannes Paul II. das lesbarste Buch der drei hier im Kontext Katholizismus vorgestellten. Ohne Hutchisons Aufklärungsarbeit zum Opus Dei und seinem Einfluß auf den Papst und die katholische Kirche insgesamt würde die von Bernstein /Politi gebotene Sicht aber doch unvollständig sein.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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