Eine Rezension von Sabine Graßmann

Der Schatten lauert überall

Carmen Posadas:Was hatte sie, was ich nicht habe?
Das Rebecca-Syndrom oder Wenn die Ex-Frau zum Alptraum wird.
Aus dem Spanischen von Susanne Töppler.
Wilhelm Heyne Verlag, München 1995, 142 S.

„Sie werden in Ihrem Leben von einem Geist begleitet. Er ist der Schatten ihrer vergangenen Liebe. Sie werden sich nie mehr von ihm befreien können. Und ob Sie es wollen oder nicht, er wird all Ihre künftigen Beziehungen beeinflussen.“

So leitet Carmen Posadas ihr „Handbuch zum Vertreiben von Geistern“ ein. Und sie nennt diesen bösen Geist, den es auszumerzen gilt, „Rebecca“.

Um ihre Theorie wissenschaftlich zu beweisen und praktische Lösungsbeispiele verständlich zu formulieren, bedient sich die Autorin des Romans Rebecca von Daphne du Maurier und des darauf basierenden gleichnamigen Spielfilms.

Auf so eine Idee muß man erst einmal kommen!

„Wie verhalten sich Menschen gegenüber dem Geist der Vergangenheit?“ Dieser Frage, der Grundlage ihrer Studie, geht Carmen Posada nach, indem sie die Erinnerung an eine vergangene Liebe und späteres emotionales Verhalten von Menschen miteinander in Beziehung setzt.

Um das Rebecca-Syndrom wirksam zu bekämpfen, bietet sie dem Leser drei Prototypen, mit denen er sich identifizieren kann. Das sind die drei Hauptfiguren des Films. Maxim de Winter, der jede Erinnerung an seine „Ex“ verdrängt und eine Frau sucht, die genau das Gegenteil darstellt. Die Haushälterin, Mrs. Danvers, die an ihrer ehemaligen Herrin festhält und jede andere nach deren Vorbild neu erschaffen würde. Die neue Mrs. de Winter, die ständig mit ihrer Vorgängerin verglichen wird und dem Idealbild nicht im geringsten entspricht. Viele Menschen, die vom Rebecca-Syndrom befallen sind, handeln und empfinden ähnlich.

„Wie alle bösen Geister lebt Rebecca dank unserer egoistischen Gefühle.“ Der Geist verdankt seine Existenz dem Besitzdenken der Menschen. Wie man das Rebecca-Syndrom los wird, verrät die Autorin natürlich auch. Da kann man das Monster Eifersucht bekämpfen, den Stiefmutter-Komplex beseitigen oder den Terror-Geist, der ohne Vorwarnung an eine vergangene Liebe erinnert, mit dessen eigenen Waffen schlagen.

Wer sich schon jemals mit wissenschaftlichen Studien beschäftigt hat, weiß, daß man sich gelegentlich trotz eines interessanten Themas durch abstrakte Abhandlungen und manchmal auch durch eine unlesbare pseudo-wissenschaftliche Sprache kämpfen muß. Da ist die vorliegende Studie nicht nur völlig ungewöhnlich, sondern geistreich und witzig dazu. Obwohl die Autorin, die auch auf unkonventionelle Weise Probanden befragte, Hunderte von schriftlichen Aussagen erhielt, die sie während sechs Monaten zusammentrug, klassifizierte, analysierte - hege ich leise Zweifel, daß diese Studie streng wissenschaftlichen Maßstäben genügen würde. Das hat mich an der Lektüre allerdings nicht gehindert. Und auch wer glaubt, nicht am Rebecca-Syndrom zu leiden, die Autorin bietet listig dem Leser mehrmals an, das Buch in diesem Fall einfach zuzuklappen, wird es mit etlichem Vergnügen bis zu Ende lesen. Zumal im Schlußkapitel einige fast weise Zeilen stehen, die unabhängig vom eigentlichen Thema Allgemeingültigkeit haben. Niemand soll sein vorheriges Leben verleugnen oder seine Persönlichkeit ändern. Die Vergangenheit als abgeschlossenen Lebensabschnitt zu betrachten, birgt immerhin die Chance eines neuen Anfangs in sich.

Carmen Posadas wurde in Montevideo (Uruguay) geboren, lebte in Moskau, London, Buenos Aires und wohnt derzeit in Madrid. Bekannt wurde sie als Kinderbuchautorin, mit über 15 Titeln.

1987 wurde sie einer breiten Öffentlichkeit mit einer witzigen Satire auf die spanische High-Society, einem Handbuch für den perfekten Karrieristen, bekannt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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