Eine Rezension von Klaus Ziermann

Liebesliteratur als „eine Art Privatliteratur, nur für mein Weib“

Stefan Heym: Immer sind die Weiber weg und andere Weisheiten
Marion von Schröder Verlag, Düsseldorf 1997, 208 S.

An diesem Buch ist alles schön: die Texte, die Illustrationen, die Aufmachung und das Papier. Stefan Heyms Idee, seiner Frau „besonders an Geburts- und Feiertagen“ statt Halsband oder Ring, Pullovern, Schals, Handschuhen oder Schokolade eine Geschichte zu schenken, erwies sich als äußerst produktiv. So ist über die Jahre hinweg „eine Art Privatliteratur, nur für mein Weib“ entstanden. Zum Glück für den Leser ist - wie im „Nachwort“ glaubhaft versichert wird - dann auch noch ein Verleger gekommen „und hat erfahren, bei einem Glas Wein oder zwei, von der Sammlung, und hat was lesen wollen davon, und dann hat er gesagt, er will die Geschichten allesamt haben und drucken, und so ist ein Buch daraus geworden mit schönen Zeichnungen und buntem Einband bloß weil ich nicht gewußt hab was ich meiner Liebsten schenken soll zu ihrem Geburtstag und zu Feiertagen.“ (S. 204)

Es ist das bislang wohl originellste und eigenwilligste Buch, das Stefan Heym vorgelegt hat. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich bei den 13 Geschichten von „Altersweisheit“, „Russisch-Römisch“, „Jerusholayim die heilige Stadt und wie ich hab meine Handtasche dort verloren“, „Was es ist zu sein berühmt“, „Der Nachbar“, „Woher soll ein Mensch wissen“, „Bojberik in dem Atlantik“, „Bojberik an dem großen Fluß“, „Die Freudsche Fehlleistung“, „Das Tischchen“, „Grüne Männerchen“, „Eijze vom lieben Gott“, „Die Computer-Frau“ und „Immer sind die Weiber weg“ um mehr oder weniger komische oder traurige, zuweilen auch banale Alltagsgeschichten, die im harmonischen Zusammenleben zweier Eheleute zu Hause, auf Ämtern oder auf Reisen passierten. Doch wie sie erzählt werden, ergibt die Kunst.

Stefan Heym hat eine Erzählweise gefunden, die literarisch überzeugt. Die Altersweisheit ist allen seinen Geschichten anzumerken, und die Gabe, alle Geschehnisse mit dem Abstand einer reichen Lebenserfahrung souverän und weise schildern zu können, gibt ihnen eine spezifische Erzählperspektive. In einigen Fällen schließt das einen gehörigen Schuß aufheiternder Selbstironie des heute Vierundachtzigjährigen ein, so zum Beispiel beim Beschreiben, „Was es ist zu sein berühmt“: „Wie ich noch jung war und hineingekommen bin in was der Herr Dr. März genannt hat Pubertät wenn er meinen Eltern hat erklären wollen meine meschuggenen Reden und meine Bleichheit im Gesicht, hab ich werden wollen berühmt. Ich hab nicht gehabt eine athletische Figur; ich hab ausgesehen eher dicklich und meine Füße sind mir durcheinandergekommen wenn das Klavier gespielt hat einen Dreivierteltakt in der Tanzstunde und mein Profil ist nicht gewesen kühn oder markant, also ich bin nicht gewesen besonders attraktiv und ich hab gewußt, wenn ich machen will einen Eindruck auf die Welt um mich herum und besonders auf die Mädchen bleibt mir nur, ich muß werden berühmt.“ (S. 51)

Zum unverwechselbaren Flair des Buches gehört auch der liebenswürdige, private, intime Charakter des Erzählten. Das harmonische Einvernehmen mit dem Ehepartner, dem die Geschichten als Erinnerung an gemeinsame Begebenheiten und bestandene Prüfungen im Leben zugedacht sind, wird von der ersten bis zur letzten Seiten sichtbar. Daraus resultiert eine verschmitzte geistige Übereinstimmung mit dem Partner und dem Leser, die man nahezu allen Geschichten anmerkt. Was sollte zum Beispiel ein Mann wie Stefan Heym, wenn seine Frau aus ihm unerklärlichen Gründen verschwunden ist, auch anderes tun, als zu Hause aufgeregt und Gott vertrauend auf sie warten? „Und was tut Gott? Nach einer Weile, einer kleinen, hör ich den Schlüssel im Schloß und ich renn zur Tür, ganz atemlos, und mein Weib steht da und kuckt mich an, und ich kuck sie an und ich seh sie denkt ich werde einschreien auf sie und verlangen zu wissen wie konntest du nur und was man so fragt wenn das Weib ist weggewesen urplötzlich und verschwunden, und sie hat schon aufgebaut ihre innere Abwehr, aber ich heb meine Hände nur und leg meine Arme um sie mit Zärtlichkeit, und wie ich seh daß sie staunt und nicht weiß worauf ich hinauswill sag ich ihr wie froh ich bin und sie lieb hab daß sie gekommen ist noch rechtzeitig zu hüten mein Herdfeuer.“ (S. 200/201).

So ist in der Endkonsequenz aus Altersweisheit und viel Lebenserfahrung ein Buch mit eigentümlicher Liebesliteratur - nicht nur für reifere Jahrgänge - entstanden. Das jüdische Kulturelement, das darin auf Schritt und Tritt zum Tragen kommt, gehört zur literarischen Substanz der von Stefan Heym erzählten Geschichten. Ich kenne kein anderes Buch in der neueren deutschen Literatur, in der Deutsches und Jüdisches in Denkweise und sprachlichem Ausdruck so originell, einfallsreich und tiefsinnig miteinander verflochten sind wie in Stefan Heyms Immer sind die Weiber weg und andere Weisheiten. Der Marion Schröder Verlag hat gut daran getan, daß er die Geschichten nicht nur von Horst Hussel adäquat illustrieren ließ - was dem Leser ein zusätzliches Vergnügen bereitet -, sondern am Ende des Buches auch noch zwei Seiten „Worterklärungen“ anfügte, die die wichtigsten jüdischen Begriffe und weltliterarischen Bezüge erläutern, in denen sich Stefan Heym in seinem eigenwilligsten Erzählband bewegt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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