Eine Rezension von Hans Thai

Es ließ ihn wollüstig erschauern

John Saul: Blitze des Bösen
Wilhelm Heyne Verlag, München 1996, 429 S.

Fünf Jahre lang hält ein erbarmungsloser Serienkiller die Menschen in Seattle in Angst und Schrecken. Wahllos mordert er Frauen, Männer und Kinder. Unverkennbar ist seine grausame Handschrift: Die Opfer werden betäubt, gelähmt oder durch Stiche handlungsunfähig gemacht, ihnen dann bei lebendigem Leib der Brustkorb aufgeschlitzt und aufgesägt sowie Herz und Lunge herausgenommen bzw. herausgerissen. Zwei winzige Blitze, Blitze des Bösen, eingeritzt im Inneren der Brust, sind das Signum des Mörders. Treibt hier ein Wahnsinniger sein teufliches Spiel?, fragt sich bedrückt die Öffentlichkeit. Doch die Polizei kommt bald dahinter, daß es sich um einen eiskalten Sadisten mit perversen Neigungen handelt, der es äußerst geschickt versteht, jegliche Spuren zu verwischen. Er plant die Morde kühn, berücksichtigt jedes Detail und ist nahezu perfekt. Er ist eine Bestie in Menschengestalt, bar jeglichen Gefühls.

Ein Killer ohne Gefühl? Der Autor beschreibt in einem Fall den Tatvorgang und das Gefühl des Mörders so: „Zuerst zog er sich nackt aus...Das Sägeblatt schlitzte Haut und Fleisch auf; mit einem einzigen Schnitt durchtrennte er das Brustbein der Frau bis zur Mitte des Brustkorbs. Er... bog die Rippen auseinander und klemmte die größten Blutgefäße... ab..., und er griff behutsam in das Loch im Brustkorb. Er bemerkte, daß die Lungen der Frau noch kräftig arbeiteten, und nickte zufrieden... Er ließ die Finger tiefer gleiten, tastete sich zu den Lungen durch, bis er das sanftbebende Muskelgewebe fühlte. Er hielt inne; die Empfindung, Leben in seinen Händen zu halten, ließen ihn wollüstig erschauern...Seine Finger drangen tiefer, bis er schließlich die vertrauten Umrisse eines menschlichen Herzens spürte...“

Die Journalistin Anne Frank hat sich stets dafür eingesetzt, daß der für die Morde verurteilte Richard Kraven, ein attraktiver und hochintelligenter Universitätsdozent, auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wird. Der Verurteilte beteuert zwar stets seine Unschuld, aber die Indizien sind erdrückend. Und in den zwei Jahren, in denen er auf seine Hinrichtung warten muß, geschehen auch keine neuen Morde. Alles spricht gegen Kraven.

Kurz vor seiner Hinrichtung verlangt Kraven die Journalistin zu sprechen. Er verflucht sie und ihre Familie und prophezeit, daß das Morden weitergehen würde.

Tatsächlich fühlt sich Anne Frank nunmehr verfolgt und bedroht. Sie erhält geheimnisvolle Nachrichten auf ihrem Computer, und schließlich wird auf perverse Weise die Katze ihrer Tochter getötet, „seziert“- und zwar in der gleichen Art wie die menschlichen Opfer.

Und die Prophezeiung des Hingerichteten erfüllt sich auf schreckliche Weise: Das Morden beginnt erneut, wiederum nach dem gleichen grausamen Ritual. Die Polizei steht vor einem Rätsel. Fragen über Fragen werden aufgeworfen, und können dennoch vorerst nicht beantwortet werden. War Kravens Hinrichtung ein Justizirrtum? Hatte Kraven einen Komplizen, der nunmehr alleine weiter mordet? Oder ist es ein Nachahmungstäter?

Oder ist es gar Annes Mann, Glenn, der einen Herzinfarkt erlitten hatte und genau in jenen Minuten klinisch tot war, in denen Kraven auf dem elektrischen Stuhl starb? Hat das Böse von Glenn Besitz ergriffen? Denn er verändert sich in erschreckender Weise. Hinzu kommt, daß Glenn hin und wieder ein Blackout hat und sich dann nur an eine blutüberströmte Leiche erinnert, in der er nach dem Herzen tastet. Aber sein Arzt beruhigt ihn, denn seine Frau berichtet über all die Fälle sehr lebendig und in allen Einzelheiten, und Glenn hat das gelesen, so daß derartige Alpträume hierin ihre Ursache haben könnten.

John Saul hat mit diesem Horror- und Psychothriller erneut einen spannenden Roman vorgelegt, der einen schaudern läßt. Er verwischt die Grenzen zwischen Rationalität und Irrationalität; er verführt den Leser, an das Böse, an das Dämonische zu glauben und es zu fürchten. Es ist kein Buch für schwache Gemüter, das man in den Dämmerstunden liest. Es ist ein faszinierender und abstoßender Roman zugleich, den nur jene Leser zur Hand nehmen sollten, die Horrorgeschichten lieben und Unmenschliches auch verkraften. Es ist ein Buch, das Gänsehaut verursacht.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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