Eine Rezension von Helmut Fickelscherer

Mordfall mit Überraschungen

James Patterson: Wer sich umdreht oder lacht
Aus dem Amerikanischen von Gerhard Beckmann.
Marion von Schröder Verlag, Düsseldorf 1996, 355 S.

Es gibt Krimis und Thriller, also Kriminalromane und - wie es mein nicht ganz neues Wörterbuch übersetzt - Schauergeschichten, und es gibt, oft im Fernsehen, Psychothriller, in denen mitunter ein bemühter psychologischer Tiefgang verdecken soll, daß die Krimihandlung nicht ganz logisch geraten ist. Der vorliegende Roman jedoch, auf dem Schutzumschlag als Thriller bezeichnet, ist dem Autor, einem schreibbesessenen Werbefachmann aus New York, der mehrere Bestseller veröffentlicht hat und mit dem Edgar Award geehrt wurde, gut gelungen. Er erzählt eine finstere Geschichte.

Maggie hat, um dem in mancherlei Hinsicht beschränkten Elternhaus zu entfliehen, in jungen Jahren Captain Philip Bradford geheiratet, der Dozent für Mathematik an der Militärakademie ist, sich aber lieber bei der US-Army als Held erweisen würde. Dieser an der Akademie allseits beliebte und geachtete Mann baut seinen Frust zu Hause ab, indem er Frau und Töchterchen drangsaliert und schlägt. Eines Tages wütet er im ganzen Haus und bedroht die beiden mit einem Gewehr; auch Maggie hat sich bewaffnet und erschießt ihn aus Notwehr. Schon während der Zeit ihrer Ehe hat Maggie Bradford - aus Selbsterhaltungstrieb - Texte geschrieben und vertont. Erst singt sie ihre Lieder nur der Tochter und einem zahmen Eichhörnchen vor, aber allmählich gelingt der künstlerische Durchbruch. Talent und intensive Arbeit machen sie zu einer erfolgreichen und berühmten Sängerin. „Ihre Lieder waren einmalig, ein wahres Wunder - ergreifend die Musik und das Wort wie eine Zauberkraft. Kein anderer Sänger, keine Sängerin sonst vermochte so viele verschiedene Gefühlsnuancen in ein Lied hineinzupacken - ihre Songs fingen die schwindelerregende Vielschichtigkeit modernen Lebens ein...“

Dem Erfolg als Künstlerin steht erneut Pech in einer Partnerschaft gegenüber; die Liebesbeziehung zu dem Witwer Patrick O'Malley endet abrupt mit einem tödlichen Herzinfarkt des Partners, der ihr aber wenigstens 200 Millionen Dollar hinterläßt - und einen gemeinsamen Sohn. Ihm und der Tochter widmet Maggie liebevoll all ihre Freizeit, doch bald tritt erneut ein Mann in ihr Leben: Will Shepherd, Fußballstar und Filmschauspieler, eine glänzende Erscheinung und schillernde Persönlichkeit.

Von Anbeginn der Handlung bewegen sich, vom Autor eindringlich dargestellt, die beiden Hauptfiguren - Maggie und Will - mit schicksalhafter Zwangsläufigkeit aufeinander zu.

Will und sein Bruder Palmer sind in Kalifornien geboren, aber in England bei zwei Tanten aufgewachsen, nachdem die Mutter trotz gegenteiliger Beteuerungen ihre beiden Kinder verlassen hat und der Vater Selbstmord verübte, wobei er Will, zumindest aus dessen Sicht, die Schuld an seinem Tod gab. Der Liebesverrat der Mutter und das verantwortungslose und schuldzuweisende Sterben des Vaters prägen Wills Verhalten entscheidend. Er entdeckt, daß man eigentlich allen Menschen alles Erdenkliche vorspielen kann, so wie die Eltern ihm und seinem Bruder Elternliebe und Geborgenheit vortäuschten. Mit wahrer Besessenheit und kalter Intelligenz manipuliert er die Menschen seiner Umgebung, spielt ihnen menschliche Gefühle, Zuneigung und Liebe vor, solange es ihm nützt. Und er ist nicht nur darin ein Perfektionist; nie wird er so sein wie seine Eltern, diese Versager. Beispielsweise trainiert er von früh bis spät mit dem Fußball und wird der perfekteste Fußballspieler Europas. Ein paar Jahre später reizt ihn das Angebot, der US-amerikanischen Mannschaft zum Weltmeistertitel zu verhelfen, und er steht mit dieser Elf im Endspiel in Rio de Janeiro... Nach seiner Fußballerkarriere versucht er sich - angespornt durch seinen verhängnisvollen Trieb zum kontrollierten und mitunter auch unkontrollierbaren Rollenspiel - in den USA als Filmschauspieler.

Aber eines kann er nicht, er kann nicht verlieren, jede Niederlage endet in einem gewalttätigen Haßausbruch, in einem Rausch der Zerstörung.

Die Annäherung an Maggie Bradford, deren Musik er mag und die er begehrt, soll sozusagen sein Meisterstück werden. Mit großer Geduld und Sensibilität überzeugt er die warmherzige, aber nach bisherigem Unglück mit Partnern zurückhaltende Frau von seiner Liebe. Er spielt ihr vollendet Zuneigung vor; aber es ist mehr als das: Zum erstenmal spürt er, wie eine Frau seine Zerrissenheit kurieren könnte, wie sie ihn, der quasi neben sich selbst steht und dem eigenen Spiel zuschaut, aus seiner Schizophrenie zurückholen, zu sich selbst finden lassen könnte.

Die Erwartungen sind also groß: die von Maggie, die noch nie in ihrem Leben so zartfühlend umworben wurde und die einen neuen, verständnisvollen Vater für ihre Kinder sucht, und die von Will, der sich in seinem eigenen Spiel nicht mehr zurechtfindet. Und natürlich sind die Erwartungen zu groß. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf, und bald gibt es ein Todesopfer und eine Mordanklage...

Mit psychologischem Einfühlungsvermögen und schriftstellerischem Geschick hat James Patterson seinen Krimi eindrucksvoll gestaltet. Durch vielschichtige Handlungsführung, wechselnde Erzählperspektive und gekonnte Rückblendentechnik wird Spannung erzeugt, die nach überraschenden Wendungen mehrmals kulminiert. Vom Stil her von leichter amerikanischer Schreibart, ist der Text modern aufbereitet: Wichtige Reflexionen der Protagonisten sind kursiv abgesetzt. Auch baut der Autor ganz locker reale Personen in die Handlung ein, wie zum Beispiel Barbra Streisand, die mit Maggie parliert. Und es ist gewissermaßen ein Buch der Superlative: Maggie Bradford ist ein Weltstar, Zehntausende kommen zu ihren Konzerten, eine halbe Million Kartenvorbestellungen für eine Veranstaltung, zwanzig Millionen Platten sind verkauft, elf Grammy Awards eingeheimst. Will Shepherd ist der schnellste Stürmer, der erfolgreichste Torschütze. Maggie und Will feiern die Hochzeit des Jahres. Die Welt der Reichen, weitläufige Anwesen, teure Wagen, Segeljacht, Millionenerbschaft, Mitgliedschaft im exklusivsten Club.

Aber eben auch die „Kehrseite der Medaille“: Erpressung, Prostituiertenmord, unglaublicher Presserummel, vernichtende Meinungsmache, die Notwendigkeit von Bodyguards.

Wie nicht anders zu erwarten, ist auch das amerikanische Gerichtswesen mit seinen bekannten Showeffekten ausführlich dargestellt.

Doch das ist alles nur Beiwerk im mörderischen Versteckspiel (Originaltitel Hide & Seek) von Maggie Bradford und Will Shepherd - ganz im Sinne des deutschen Titels Wer sich umdreht oder lacht. Da traut sich der Leser höchstens, rasch die Buchseiten umzu„drehen“, und das Lachen würde ihm sowieso im Halse steckenbleiben - bei soviel Spannung.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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